Dao De Jing Nr 1.8GEN - DUNKEL
Das Schriftzeichen 玄 XUAN, japanisch GEN ist bereits vorher aufgetaucht in der Schreibung für das Geheimnis. Es zeigt den Kokon einer Seidenraupe. Im Inneren, im Dunkel verbirgt sich das Wesentliche, die Seidenraupe, die hier ihre Verwandlung zum Schmetterling vollzieht. Wenn diese Verwandlung vollendet ist, kommt der Schmetterling hervor in das Licht. Die Außenhülle des Kokon zeigt dem Betrachter eine Außenseite, die das Wesentliche verbirgt. Bleibt der betrachtende Blick an der Hülle hängen, so wird das Geheimnis im Inneren nicht erkannt. Jede Verwandlung vollzieht sich im Verborgenen. Das Saatgut keimt im Dunkel der Erde, der Embrio wächst verborgen im Dunkel des Mutterleibes. Aber wir Heutigen haben die Ehrfurcht und Achtung vor dem gehemnisvollen Dunkel verloren und versuchen, alles sichtbar zu machen. Aber selbst, wenn man den Embrio sichtbar macht, braucht er die Dunkelheit und Geborgenheit des Mutterleibes, um heranzureifen. Aber das frühe griechische Denken kennt das geheimnisvolle Dunkel. Heraklit spricht vom Kosmos, der wie ein Haufen Kehricht wirkt. Kosmos ist in seiner ursprünglichen Bedeutung der leuchtende Schmuck, der ins Auge fällt. Das findet sich noch im neugriechischen Kosmeia- Schmuck oder in unserem Wort Kosmetik. Der Schmuck leuchtet und blendet das Auge, das auf diese Weise davon abgehalten wird, die Dinge in ihrem verborgenen Wesen zu sehne. Die Priesterinnen im Tempel von Ephesus, in dem Heraklit offenbar einmal das Priesteramt versehen hatte, weben jedes Jahr neu den Kosmos. Das ist der kostbar verzierte und geschmückte Mantel, mit dem die Statue der Artemis eingehüllt wird. Bleibt der Blick an diesem Mantel hängen, so sieht er nur Außenseite. Die Statue selbst soll wohl ein einfacher, unbehauener und schon vom Alter gezeichneter Baumstumpf gewesen sein. Die Gottheit selbst entzieht sich dem Blick um so hartnäckiger, je kostbarer der Schmuck leuchtet. Der Kehrricht, von dem Heraklit spricht, der sarma ist der Tempelschutt. Wenn der Tempel gereinigt wurde, dessen Inneres den neugierigen Blicken entzogen ist und den außer den Priestern niemand betreten durfte, so wurde aller Schmutz nach außen gekehrt. Jetzt ist dieser Kehrricht für alle sichtbar. Auch dieser Schmutz ist heilig, weil er aus dem Inneren des Tempels stammt, aber es ist nur Kehricht und Schmutz. Wird das Innere nach außen gebracht, so ist es nicht mehr heilig, es ist nur noch Kehrricht. Ähnlich ergeht es den Strohunden in China (Daodejing Nr 5). Sie sind so heilig, dass der Priester fasten muss, um sich ihnen nähern zu können. Wenn sie ihren Dienst als Opfergaben getan haben, werden sie auf die Straße gekehrt, die Leute treten sie mit Füßen und die Brennholzsammler sammeln sie ein zum Verbrennen und Heizen.
Yugen - Noch dunkler und das TORIm Daodejing ist nicht die Rede vom Dunklen, sondern vom YOU XUAN, japanisch YU-GEN, dem "noch, wieder, weiter Dunkel. Im Rigveda heißt es:
Nicht existierte Nichtseiendes, noch auch existierte Seiendes damals - nicht existierte der Raum, noch auch der Himmel jenseits davon. ...
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Der Zen-Buddhismus, der in China aus der Begegnung mit dem Daoismus entstanden ist, hat das Bild des Tores immer wieder aufgegriffen. Der Zen ist sosehr mit dem Daoismus verbunden, dass man sagen konnte, der Vater des Zen sei Buddha, aber die Mutter Zhuangzi. Ja, man kann sagen, der Daoismus kam in der Form des Zen nach Japan. Kan, oder nach einer anderen japanischen Lesung Seki, ist das Tor an der Grenzbarriere, an dem die Durchreisenden kontrolliert werden. Dieses Tor ist so fest verschlossen, dass nicht einmal eine Maus einen Durchschlupf finden könnte. Es liegt nicht in der Macht der Reisenden, die in ein anderes Reich hinüber wollen oder vielleicht auch müssen, dieses Tor zu öffnen, dafür ist es zu fest verriegelt und zu gut bewacht. Je mehr man sich bemüht und anstrengt, auf die andere Seite zu gelangen, desto fester geschlossen scheint es zu sein. Das Reich auf der anderen Seite lockt mehr und mehr, dort ist die große und offene Weite, die Freiheit und die Ruhe, hier ist die Welt der Hast und Zerrissenheit, des Streites und der Auseinandersetzung. Aber es gibt keine Möglichkeit, den Durchgang in den anderen Bereich zu erzwingen. Auch keine List und kein Trick hilft. Ein Samurai hatte sein ganzes Leben geübt, den Schrei des Hahnes im Morgengrauen nachzuahmen. Als er versuchte, den Wächter der Osaka Grenzbarriere, einer der am schwierigsten zu überwindenden Grenzschranken der Edozeit mit diesem Hahnenschrei zu täuschen, bemerkte dieser den Trick sofort. „Es gibt keine Möglichkeit, die Osaka – Schranke, die Grenzbarriere zum Satori, zu überschreiten, indem man in der Nacht den Hahnenschrei nachahmt.“Kan ist nicht nur die Schranke, die ein Gebiet vom anderen trennt, es ist auch die Trennung von Innen und Außen. Der Eingangsbereich des japanischen Hauses heißt Gen-Kan 玄関. 玄 Gen ist das Unscheinbare, Dunkle und Verborgene, das Geheimnisvolle und Mysteriöse. Im Inneren des Hauses, in dem für den Fremden geheimnisvollen Dunkel, ist der Ort der Ruhe. Kein Außenstehender kann die Schranke zum Inneren des Hauses übertreten und die Ruhe stören. Jeder, der hindurchgehen darf, ist hier zu Hause. Er hastet und irrt nicht mehr außen in der Fremde herum, er hat den Ort der Ruhe gefunden, der sein eigener Ort ist. Nach vielen Jahren der Meditation über „Kan“ gelang Daitô Kokushi der plötzliche Durchbruch, als ihm eines Tages ein Schlüssel zu Boden fiel. Es war, als hätte dieser entglittene Schlüssel mit einem Schlag den Riegel vom Durchgang in den anderen Bereich geöffnet. Ein ganz alltäglicher Vorgang ohne jedes geheimnisvolle Mysterium hatte ihm die Lösung gebracht.Seine Zen Erfahrung war so klar und sicher, dass er nicht anders konnte, als ein Gedicht zu verfassen, das er seinem Lehrer übergab:
Die Barriere ist verschwunden, alle Richtungen sind weit und offen. Der lebendige Weg weitet sich nach Norden, Süden, Osten und Westen, in alle Richtungen. Es gibt weder Grenzbarriere noch Nicht-Barriere. Das Gewitter, nicht bloß in seiner höchsten Erscheinung, sondern in eben dieser Ansicht, als Macht und als Gestalt, in den übrigen Formen des Himmels, das Licht in seinem Wirken, nationell und als Prinzip und Schicksalsweise bildend, daß uns etwas heilig ist, sein Drang im Kommen und Gehen, das Charakteristische der Wälder und das Zusammentreffen in einer Gegend von verschiedenen Charakteren der Natur, daß alle heiligen Orte der Erde zusammen sind um einen Ort, und das philosophische Licht um mein Fenster ist jetzt meine Freude; daß ich behalten möge, wie ich gekommen bin, bis hieher ! Zwar weitet sich der Weg in alle Richtungen, aber eigentlich gibt es auch keine Richtungen mehr, so wie es weder Gast noch Gastgeber gibt, da alle Unterschiede, die ein Einzelnes ausgrenzen, verschwunden sind. Am Abend ruhend, heimgekehrt an den Ort des Ursprunges, kann er beliebig wieder hinausgehen und in alle Richtungen umherziehen, da es weder ein Innen noch ein Außen gibt. Wie in der Geschichte vom Hirten, der auszog, um seinen Ochsen zu finden, ist er heimgekehrt und hat vergessen, dass er je seinen Ochsen, sein eigentliches Selbst verloren hatte. Daitô Kokushi hat nach dieser Erfahrung 20 Jahre unter der Gojo-Brücke in Kyoto gelebt. Unter die Bettler gemischt übte er dort Zazen, um seine geistige Reife weiter zu trainieren. Als Daito Kokushi das "Tor" durchschritten hatte, stellte er fest, dass eigentlich überhaupt kein Tor und keine Schranke existiert. Er konnte hin und her gehen, einmal in das ganz Alltägliche, einmal in die Offene Weite. Norden, Süden, Osten und Westen treffen sich hier an diesem Ort und es gibt keine Beschränkungen mehr.![]()
Das all-gemeine GeheimnisDas Tor, von dem hier die Rede ist führt zum 衆妙, dem zhong miao, japanisch shû myo.![]() Steht das nicht ganz und gar im Gegensatz zu dem Dunklen, ja noch Dunkleren als dem Dunklen? Das ist keineswegs so. Je gewöhnlicher, allgemeiner und immer anwesend etwas ist, umso hartnäckiger verbirgt es sich dem Blick.
Martin Heidegger analysiert in seinem Werk "Sein und Zeit" den Umgang des Menschen mit Zeug. Immer schon und ganz allgemein völlig ungeklärt gehen wir mit Zeug um: Werkzeug, Nähzeug, Schreibzeug usw. Dieses Zeug ist derart selbstverständlich zu-handen (nicht vorhanden), dass wir völlig ungeklärt das Zeug in die Hand nehmen und damit "handeln". Das Zeug wird erst dann auffällig und bewußt bemerkt, wenn es nicht da ist, wenn es fehlt. Eben war der Hammer noch zuhanden und wir haben völlig selbstverständlich damit gehämmert. Jetzt, wo er weg ist, wo er fehlt, wird er auffällig. Wir bemerken in der Regel das Zeug erst, wenn es fehlt oder seinen Dienst versagt. Dieses auffällig werden im FEHL läßt das Zeug ins Bewußtsein rücken. Je besser das Zeug zuhanden ist, umso weniger nehmen wir es wahr. So ist es mit nahezu allen Dingen, die uns all-täglich umgeben. Der ganz gewöhnliche Gebrauch läßt die Dinge in die Unsichtbarkeit verschwinden. In dem Lehrgespräch des Weisen Aruni mit seinem Sohn Shvetaketu aus den Upanishaden belehrt Aruni seinen Sohn:
"Hier dieses Stück Salz lege ins Wasser und komme morgen wieder zu mir." Im 22. Kapitel des Zhuangzi (22.6) gibt es eine kleine Geschichte:
Meister Tung Kuo fragte Zhuangzi: In den Aufzeichnungen des chinesischen Zenmeisters Chao-chou (japanisch: Joshu), dem Chao-Chou Chan-Shih Yu-Lu wird ein Gespräch mit seinem Lehrer Nan-ch'uan (Nansen) berichtet.
Der Meister (Joshu) fragt Nansen: "Was ist das Dao?"
AnmerkungenHeraklit Fragment 124ὅκωσπερ σάρμα εἰκῆ κεχυμένων ὁ κάλλιστος κόσμος hosper sarma eikê kexhymenôn ho kalloston ho kosmos zurück |