Dōgen - Shōbōgenzō

Der Titel Shōbōgenzō 正法眼蔵

Der Titel 正法眼蔵 Shōbōgenzō des Hauptwerkes von Zen-Meister Dogen wird von Nishijama / Linnenbach als 'Schatzkammer des wahren dharma - Auges' übersetzt: Shō aufrecht - (in der Zusammensetzung gelesen Hō) Gesetz, dharma - Gen Auge und Jō (gelesen Zō) Schatzhaus.

蔵 Zō lautet in einer anderen Lesung Kura . Eine Kura gehört in Japan zu jedem wohlhabenden Haus. Es ist das "Schatzhaus", in dem alle wichtigen Dokumente und Besitztümer aufbewahrt werden, damit sie vor Feuer geschützt sind. Die Kura ist meistens ein einzelstehendes Haus neben dem Haupthaus, das dick mit Lehm verputz ist und mit feuerfesten Türen geschützt ist. In den vollständig aus Holz errichteten Städten war die Kura von äußerster Wichtigkeit. In der Kura wird alles aufbewahrt, was vor Feuer und Diebstahl geschützt werden muss. Damit sichert die Kura die Schätze der Tradition und das Weiterleben der Familie. Bei einer großen Feuersbrunst in Kyoto wurde auch die Kura der Seidenweber-Familie Yuko vernichtet. Damit waren alle unterlagen über die Webmuster der Seidenbrokate, welche die Familie über eine lange Zeit gesammelt hatte vernichtet. Verzweifelt beendete die Familie ihr Handwerk. Erst einige Generationen später begann ein Familienmitglied wieder, die Webmuste zu sammeln und das Handwerk neu zu begründen.

Dōgen hinterlegt den gesamten Schatz seiner Erfahrung und seines Denkens in diese Schatzkammer, damit sie für die Nachwelt aufbewahrt werden kann. Der Inhalt dieser Schatzkammer besteht aus einer Reihe von Lehrreden, die Dōgen vor Mönchen und Laienanhängern gehalten hat und die von ihm oder anderen Personen niedergeschreiben worden sind. In der Regel wird jeweils am Ende eines Kapitel das genaue Datum vermerkt. Im Kapitel Genjōkōan heißt es:

Shōbōgenzō Genjōkōan
Geschrieben in der Mitte des Herbstes im 1. Jahr Tempuku (1233) und dem Laienschüler Yō Kōshû aus Chinzei anvertraut.
Im vierten Jahr Kenchō (1252) (in die Sammlung Shōbōgenzō) aufgenommen.

Es ist, als würde Dōgen durch die genaue Zeitangabe, die sogar noch zwischen der Entstehungszeit, der Überlieferung durch den Laien und schließlich die Aufnahme in das Shōbōgenzō unterscheidet, die absolute Authentizität und Richtigkeit der Überlieferung gewährleisten.

Ähnlich verfährt auch Platon in vielen seiner Dialoge. Im Dialog Symposion wird z.B. berichtet, wie ein Freund den Apollodoros trifft, und ihn nach dem Gastmahl fragt, an dem Sokrates teilgenommen hat. Aber Apollodoros war selbst nicht zugegen, denn das Ereignis liegt nun schon so lange zurück, dass er selbst noch zu jung war, um daran teilnehmen zu können. Er hat vielmehr von Aristodemos davon gehört, der ein Teilnehmer des Gastmahles gewesen ist. Seither hat Apollodor schon vielen Anderen davon erzählt und niemand hat jemals diesen Erzählungen wiedersprochen. Damit ist die Autentizität des Berichtes gewährleistet, zumal der eigentliche Verfasser Platon völlig in den Hintergrund tritt. Die Erzählung ist nicht subjektiv von Platon oder Apollodoros gefärbt und schon durch viele Ohren geprüft. Damit stellt der Bericht eine "objektive" und vielfältig geprüfte "Wahrheit" dar.

Letztendlich spricht auch nicht der Herr Dōgen seine persönliche Meinung aus, er sagt nur mit seinen Worten das "wahre" dharma, das letztlich immer gültig und nicht an eine bestimmte Zeit gebunden ist.

Shōbō 正法 heißt das aufrechte, richtige, genaue, sichere Gesetz. Shō kann aber auch die Bedeutung haben von Gerechtigkeit, Normalität, Vollständigkeit, Original. In der Philosophie bezeichnet Shō eine These.
Bezieht sich das Shō, wahr, aufrecht, richtig auf das Auge, das ein echtes, nicht täuschandes Auge ist oder auf das dharma? Es ist das wahre dharma, welches vom Auge wahr-genommen wird. Wenn das Auge nicht blind oder verblendet ist, wird es das dharma so wahr - nehmen wie es von sich aus ist. Dann sind sowohl das dharma wahr als auch das Auge. Zwischen dem wahrnahmenden Auge und dem dharma besteht keine Trennung. Gen ist wörtlich nicht das Auge, sondern der Augapfel. Gen ist nicht nur das Auge, sondern "der Blick für..", das offene Auge, das sich einer Sache öffnet, die sich zeigt und sie einläßt. Das Sehen des dharma - Auges übersteigt das normale Sehen. Im Genjōkōan heißt es:

"Auch, wenn man (mit) Leib und Herz zusammen Farben anschaut ... ist es nicht wie wenn ein Spiegel das Spiegelbild aufnimmt, nicht wie der Mond im Wasser. Während die eine Seite sich erweist, bleibt die andere dunkel."

Das Sehen, auch wenn man mit Herz (Geist) und Leib zusammen schaut, ist kein Sehen des Ganzen. Wir sehen immer nur perspektivisch. Die eine Seite ist hell, die andere bleibt dunkel und verborgen wie die Rückseite des Mondes. Das Sehen ist immer perspektivisch und zugleich, ob wir es wollen oder nicht "subjektiv". Sonne, Mond und Sterne sind aus der Sicht der Himmelswesen anders als aus der Sicht der Menschen und das Meer ist aus der Sicht der Fische anders als aus der der Menschen. Aber es gibt ein Sehen, das dieses perspektivische Sehen übersteigt, es ist das Sehen mit dem EINEN Herzen, dem Ishin 一 心. Wir sehen nicht mehr nur perspektivisch. Wird das so dharma erblickt mit dem einen Herzen, nicht nur gesehen, so wird es "im Augapfel zu einer runden Kugel geformt, sind es vier-, fünfhundert Liter" heißt es im Kapitel Shinjin gaku dō. Das Wahr-nehmen des dharma mit dem sehenden Auge sprengt jede Vorstellung unseres Sehens mit den leiblichen Augen.

DHARMA - HŌ 法

Aber was ist eigentlich dharma, japanisch Hō , chinesisch gelesen Fa?


autor: g.staufenbiel   | © myōshinan chadōjō / teeweg.de