FRIEDRICH HÖLDERLINHÄLFTE DES LEBENS
Mit gelben Birnen hänget Das Gedicht scheint eine naive Naturschilderung zu sein. Vollkommen sinnlich und sehr genau nachvollziehbar werden die Bilder gezeichnet. Vollreife Birnen hängen an den Bäumen, die sich unter dem Gewicht nach unten neigen, darunter blühen in voller Pracht die wilden Rosen und auf dem See schwimmen die Schwäne. Aber die Naivität täuscht. Das Gedicht ist das Ergebnis einer genauen und tiefgreifenden philosophischen Reflektion.
Umkehrung der PhilosophieEs existiert ein eigenartiges Dokument, dessen Handschrift wohl am ehesten Hegel zuzuschreiben ist, die Diktion entspricht aber mehr dem Freund Schelling, während der Inhalt mit einem Brief Hölderlins übereinstimmt, den er an den Herausgeber des "Philosophischen Journals" Immanuel Niethammer in Jena geschickt hat. Vielleicht ist das Papier in einer schwärmerischen Diskussion der drei Freund entstanden. Hölderlin, der nach seiner Zeit in Jena inzwischen in Frankfurt am Hause des Bankiers Gontard Hauslehrer war, schreibt in dem Brief an Niethammer, dass er viel Zeit zu philosophischen Studien habe und dass er ausführlich Kant und Reinhold studiere. Aber:Die Philosophie ist eine Tyrannin, und ich dulde ihren Zwang mehr, als dass ich mich ihm freiwillig unterwerfe. In den philosophischen Briefen will ich das Prinzip finden, das mir die Trennung, in denen wir denken und existieren erklärt .. (und) den Widerstreit verschwinden .. machen. Wir bedürfen dafür ästhetischen Sinn. Der ästhetische Sinn ist für Hölderlin keineswegs eine Kunstlehre oder Ästhetik. Er denkt das Wort ganz aus der grieschischen Sprache. Ästhetik ist ganz einfach die sinnliche Wahrnehmung. Hölderlin möchte also den Widerstreit zwischen Denken und Existieren zum Verschwinden bringen, indem er die Sinnlichkeit stärkt. In dem Papier heißt es:
Zuletzt die Idee, die alles vereinigt, die Idee der Schönheit. ...
Die Ideen sind hier im kantischen Sinne gedacht. Die Vernunft, oder der Verstand, was für Kant das Selbe ist, kann beliebige Urteile bilden. Aber nur solche Urteile, die an der sinnlichen Erfahrung überprüft werden können, sind beweisbar. Freiheit, Gerechtigkeit, Unsterblichkeit oder Gott sind nirgendwo in der sinnlichen, der "realen" Welt vorzufinden, demzufolge auch nicht beweisbar. Sie existieren (nur) als Ideen im Verstand. Die sinnliche Wahrnehmung und der Verstand stehen bie den höchsten Ideen in krassem Kontrast.
Die erste Strophe folgt sehr genau einem Muster, das häufig bei Hölderlin zu finden ist. Man kann deutlich eine Bewegung von oben nach unten feststellen. Ganz oben die Birnen, darunter neigen sich die wilden Rosen zum See, der ganz unten liegt. Die Mitte des Gedichtes wird durch die Schwäne gebildet, die ihre Köpfe noch tiefer bewegen, sie "tunken das Haupt ins heilignüchterne Wasser". Unwillkürlich empfindet man, wie das Bild sich am Wasser spiegelt: je tiefer man geht, desto mehr spiegelt sich das Oben. Das Bild ist in "Menons Klage" noch vollständig ausgebaut. Beim Niedersehen in die Wasser spiegeln sich die silbernen Wolken und das ätherische Blau. Die Schwäne bilden genau die Mitte des Bildes: sie schwimmen auf dem Wasser, haben aber zugleich das Haupt unter dem Wasserspiegel. Genau an der Wasserlinie reflektiert sich das Bild: das erste, was sich widerspiegelt, sind die Schwäne. Darum steht die Zeile "Ihr holden Schwäne" genau in der Mitte der Strophe.
Hinunter sinket der Wald,
O ihr Stimmen des Geschicks, ihr Wege des Wanderers!
"Darf, wenn lauter Mühe das Leben ein Mensch aufschauen (zum Himmel) und sagen, so will ich auch sein?" Immer wieder vollzieht Hölderlin die Bewegung vom Himmel, dem Sitz der Göttlichen weiter zu den Wolken, die den Himmel verdecken, hin zu den Menschen, die ihr Leben ZWISCHEN Himmel und Erde verbringen bis hin zur Erde. Diese Struktur zeigt das innige Zueinandergehören von Himmlischen, Göttlichen, den Sterblichen und der Erde. Im Gedicht "Griechenland" ist das Zueinander - Gehören zugleich ein Hören: jeder trägt seien Teil zur großen "Schicksalssynphonie" bei. Martin Heidegger wird von dieser hölderlinschen Struktur angeregt, den philosophischen Terminus "Das GEVIERT" zu bilden. Das Geviert ist das Spiel der Vier: Himmel Erde, Göttliche und Menschen, die jeweils einander ihr Wesen zuspielen. Aber die Götter, bzw. die Göttlichen sind in "Hälfte des Lebens" doch gar nicht genannt? Warum das so ist, wird sich erst später zeigen.
Allerdings "verletzt" die erste Strophe eine wichtige Regel der Haikudichtung: die Jahreszeit ist nicht eindeutig festzustellen! Die Birnen sind vollreif und gelb - golden. In einer Fassung der Mnemosyne heißt es:
Reif sind, in Feuer getaucht, gekochet
Euch ihr Liebenden auch, ihr schönen Kinder des Maitags, Auch die Schwäne sind das reine Bild der Liebe:
Aber wir, zufrieden gesellt, wie die liebenden Schwäne, Das Gedicht ist auf eine sehr eigenartige Weise entstanden. Hölderlin hat an der unvollendet gebliebenen Hymne gearbeitet, die mit den Worten .."Wie wenn am Feiertage ..." beginnt. Er versucht hier, die Aufgabe des Dichters zu reflektieren. Wenn die Dichter reinen Herzens sind, können sie mit bloßem Haupt unmittelbar unter den Gewittern Gottes stehen und das Lied, das dieses göttliche Feuer enthält, an die Menschen weiterreichen, die so gefahrlos dieses Feuer empfangen können.
Doch uns gebührt es, unter Gottes Gewittern,
Doch Weh mir! wenn von "Darf, wenn lauter Mühe das Leben der Mensch aufschauen und sagen, so will ich auch sein?" Hölderlin gibt eine Antwort mit einer sehr deutlichen Einschränkung: "Ja. Solange die Freundlichkeit noch am Herzen, die Reine, dauert, misset nicht unglücklich der Mensch sich mit der Gottheit!" Was aber, wenn die 'Freundlichkeit' nicht mehr ist? Wenn die Menschen sein wollen wie Gott? Wenn das Herz nicht rein ist, muss der Gesang misslingen. Man projiziert, um der eigenen Not zu entkommen, Wunschbilder, die in die Irre leiten. Nietzsche schreibt:" Nachdem ich lange genug den Philosophen zwischen die Zeilen und auf die Finger gesehen habe, sage ich mir: man muss noch den größten Teil des bewussten Denkens unter die Instinkt-Tätigkeiten rechnen, und sogar im Falle des philosophischen Denkens. Oder noch viel drastischer:Pfui über die Mahlzeiten, welche jetzt die Menschen machen...! Selbst wenn hochangesehene Gelehrte zusammenkommen, ist es dieselbe Sitte, welche ihren Tisch füllt .. und aufregende Getränke müssen die Schwere im Magen und Gehirn .. vertreiben... Pfui, welche Künste und Bücher werden der Nachtisch solcher Mahlzeiten sein! ..(Die reiche Klasse in England hat ihr Christentum nötig, um ihre Verdauungsbeschwerden und ihre Kopfschmerzen ertragen zu können!) Hölderlin ringt um die Reinheit seines Denkens, das gerade nicht - im schlimmsten Fall "aus geblähten Eingeweiden" oder verletztem Herzen herrührt. Im "Gang aufs Land" heißt es:... es sei als in der bleiernen Zeit. Dennoch gelinget der Wunsch, ... Nur dass solcher Reden und auch Der Schritt und der Mühe Wert der Gewinn und ganz wahr das Ergötzliche sei. Zwar ist auch "Schwärmerei und Leidenschaft gut", aber das Leiden ist mindestens ebenso eine notwendige Voraussetzung dass "der Wunsch gelinge".
Das tiefe Gefühl der Sterblichkeit, des Veränderns, seiner zeitlichen Beschränkungen entflammt den Menschen, dass er viel versucht, übt alle seine Kräfte, und läßt ihn nicht in Müßiggang geraten. und man ringt solange um Chimären, bis sich endlich wieder etwas Wahres und Reeles findet zur Erkenntnis und Beschäfftigung. In guten Zeiten giebt es selten Schwärmer. Aber wenns dem Menschen an großen reinen Gegenständen fehlt, dann schafft er irgend ein Phantom aus dem und jenem, und drückt die Augen zu, dass er dafür sich interessieren kann, und dafür leben."
Die Rose
Es ist viel darüber spekuliert worden, ob Hölderlin hier seine persönliche Verzweiflung und seinen Schmerz formuliert. Natürlich kann kein Dichter oder Denker unabhängig von persönlicher Erfahrung schreiben. Ein später Entwurf trägt den Vermerk "Von der Apriorität des Individuellen über das Ganze" - ohne persönliche Erfahrung ist das "Ganze" nicht zu verstehen, bleibt jedes Denken abstrakt und trocken. Aber ein Denken, das nur im Persönlichen Verhaftet bleibt, wird nicht frei. Erst, wenn es gelingt, das Allgemeine daraus abzuleiten, gewinnt es Freiheit und Größe. In der ganz rechten Spalte hat Hölderlin das Gedicht "Im Walde" notiert, dessen Anfang so lautet:
Im Walde.
so flieht das getroffene Wild in die Wälder, Der Hirsch ist Christus selbst! Hubertus war so erschrocken, dass er seine Waffen fortwarf, sich aus Zweigen und Gräsern eine Hütte tief im Walde baute und dort als christlicher Einsiedler betete und meditierte: "Du edles Wild - aber in Hütten wohnet der Mensch" Die Legende kommt erst im 14. /15. Jahrhundert in das Abendland. Sie geht auf eine alte buddhistische Legende zurück. Bevor Buddha als Prinz Gautama zur Welt kam, war eine seiner Inkarnationen ein Hirsch namens Sarabha. Er wurde vom König gejagt und floh tiefer in den Wald. Vom Jagdeifer und von Gier, das Tier zu töten verblendet stürzte der König in eine tiefe Schlucht, aus der er nicht wieder herausfand. Voller Mitleid ging Buddha - Sarabha zum König und trug ihn auf seinem eigenen Rücken aus der Schlucht und brachte ihn in seine Residenz zurück. Manche Bilder zeigen diesen gewaltigen Hirsch im Kreise einer großen Herde. Um ihn zu kennzeichnen, malte man ein Kreuz über seinem Kopf. Ein solches Dokument wurde von Jesuitischen Missionaren ins Abendland gebracht, wo man dann den Hirsch wegen des Kreuzes über seinem Kopf als Verkörperung von Christus deutete. Das "edle Wild" ist ganz und gar eingebettet in die Natur. Es ruht im Dunkel des Waldes. Wird es verletzt, so "bereitet ... die Erde ihr stärkendes Heilkraut". Nur die Wunde, die der Mensch geschlagen hat, will nicht heilen: der Mensch selbst ist zerrissen von diesem unheilbaren Leid. Die Dreigliedrigkeit des Textes, der um das WEH MIR entsteht, ist kein Zufall. Hölderlin hat sehr genau über seine Dichtung reflektiert und die Strukturen philosophisch durchdacht. Im Stuttgarter Foliobuch, dem selben Heft, in dem sich der Entwurf "Wie wenn am Feiertage" findet, steht folgender Text:
Das lyrische, dem Schein nach idealische Gedicht ist in seiner Bedeutung naiv. Es ist eine fortgehende Metapher EINES Gefühles. Diese Forderung greift Hölderlin im Stuttgarter Folioheft auf. Er notiert hier: Der tragische Dichter tut wohl, den lyrischen, der lyrische den epischen, der epische den tragischen zu studieren. Denn im tragischen liegt die Vollendung des epischen, im lyrischen die Vollendung des tragischen, im epischen die Vollendung des lyrischen. Denn wenn schon die Vollendung von allem ein vermischter Ausdruck von allen ist, so ist doch eine der drei Seiten in jedem die hervorstechendste. Das tragische, lyrische und epische sind drei Weisen des Dichtens, wie Hölderlin das in der griechischen Dichtung vorfand. Er bildet daraus die drei "Töne", das Heroische, das Idealische und das Naive. Diese "Töne" sind für ihn nicht nur Stimmungen, sondern sie sind Bestandteil einer dreistufigen Dialektik. Das "Heroische" ist das Kämpferische. Es muss in seinem Inneren aber Einsicht in das Idealische haben, sonst bleibt es blind und weiß nicht, wofür es kämpft. Das Idealische ist das Reine, in sich Vollkommene. Es ist aber in sich so abgehoben vom Leben, dass es wirkungslos bliebe, wenn es im Kern nicht das "Naive" enthielte. Das Naive ist die Verwirklichung des Idealischen im Alltäglichen. Das Naive, das nicht die Erinnerung in sich behält, dass es aus dem Kampf des Heroischen, das um die Verwirklichung des Idealischen kämpft hervorgegangen ist, ist dumpf. Die erste Strophe etwas von "Heimkunft" ist dem Ton nach Heroisch. Drin in den Alpen ist noch helle Nacht, das Dörflein schlummert, aber ganz tief unten kämpft und tost das Chaos und bringt unerschöpfliche Gaben hervor. Die zweite Strophe steigt auf zum Idealischen: Ganz droben aber, über dem Schnee, im reinen Licht wohnt der Vater "allein". Der Vater ist allein, weil es hier in diesen Höhen ohnehin nur noch das Eine gibt. Aber er ist auch All - Ein, "längst schon Alles und Eines genannt!" Mitten in der Strophe beginnt der Wechsel zum Naiven: Der Vater scheint Leben zu geben geneigt, erfreut vorsichtig die Herzen der trauernden Menschen und schickt neues Leben hinunter. Das Naive schildert, wie der Dichter über den Bodensee setzt und wieder die heimatlichen Fluren betritt, wo alles neu blüht und grünt und alles vertraut "scheint".Hölderlin hat seine selbst aufgestellte Forderung, der Dichter müsse die anderen Dichtungsarten studieren soweit getrieben, dass er gleichzeitig an einer heroischen, einer idealischen und einer naiven Dichtung - dem Empedokles, dem Hyperion und Emilie an ihrem Brauttag - arbeitete. Beim Fortgang seiner Arbeit an der Hymne "wie wenn am Feiertage" stößt er offenbar auf ein Problem. Er weiß nicht, wie er den Gesang fortsetzen und beenden soll. In bewährter Manier versucht er, den Gedanken im heroischen, im idealischen und im naiven Ton fortzusetzen. Dies sind die drei Teile, die er "Die Rose", "Die Schwäne" und "Der Hirsch" überschreibt. Aber er hat sich inzwischen weiter entwickelt. Die Töne sind nicht mehr unvermischt. Man kann keinem der drei Ansätze rein einen der Töne zuteilen: "Denn wenn schon die Vollendung von allem ein vermischter Ausdruck von allen ist, so ist doch eine der drei Seiten in jedem die hervorstechendste". Die Rose beginnt freundschaftlich mit dem Anruf: "Holde Schwester!", geht aber sofort in den tragischen - heroischen Ton über: "Wo nehm ich, wenn es Winter ist die Blumen". Es bleibt aber nicht bei der Klage, sondern geht in eine gewissermaßen heroische Handlung über: "Wenn ich ... Die Blumen im kahlen Felde suche und dich nicht finde". Als Heroische Handlung muss sie im Kern idealisch sein, sonst bleibt das heroische blind. Deshalb ist es sehr wichtig, dass der Suchende weiß, was er und wozu er es sucht: "dass ich Kränze winde den Himmlischen ... als Liebeszeichen:"
Die Rose
Die Schwäne Waren die Menschen nicht achtsam genug? Haben sie den Zustand des Paradieses aus Unachtsamkeit verspielt? Die rechte Spalte scheint dies nahezulegen. Genau neben dem Bild der seeligen Innigkeit stehen die Zeilen: Aber in Hütten wohnet der Mensch, und hüllet sich ein ins verschämte Gewand, denn inniger ist, achtsamer auch und dass er bewahre den Geist ... dem Menschen der Verstand gegeben!" Wenn der Mensch achtsam den Geist hütet ist er dann noch inniger als die Schwäne in ihrer Innigkeit? Dient der Verstand dieser Achtsamkeit? Dann verspielt er die Innigkeit nur aus Unverstand und Unachtsamkeit? Verstand ist also nicht die gewöhnliche Gabe derer, die "treuherzig gestehen, dass ihnen alles dunkel ist, sobald es über Tabellen und Register hinausgeht".
Der Geist: Einigkeit und UnterscheidungIn einem gewaltigen philosophischen Entwurf, in dem Hölderlin eine Philosophie der Dichtung versucht, der mit den Worten beginnt: "Wenn einmal der Dichter des Geistes mächtig ..." heißt es:Wenn einmal der Dichter des Geistes mächtig ist, wenn er die gemeinschaftliche Seele, die allem gemein und jedem eigen ist, gefühlt und sich zugeeignet, sie vestgehalten, sich ihrer versichert hat, ... wenn er eingesehen hat, dass ein nothwendiger Widerstreit entstehe zwischen der ursprünglichsten Forderung des Geistes, die auf Gemeinschaft und einiges Zugleichseyn aller Teile geht, und zwischen der anderen Forderung, welche ihm gebietet, aus sich heraus zu gehen, ... Die "ursprünglichste" Forderung des Geistes ist die "Gemeinschaft und (das) einige Zugleichseyn aller Teile". Aristophanes hat dies - als Komödiendichter - durch das Bild der Kugelmenschen ausgedrückt. Es gibt aber - jedenfalls heute nicht - keine "Kugelmenschen" mehr. Das war einmal, vor langer, langer Zeit! Dennoch lebt der Wunsch nach der Ganzheit, nach dem Innigen weiter, und das nicht nur im Märchen. Sie ist eine Grundsehnsucht des Menschen, es ist die Sehnsucht nach dem Paradies, aus dem wir immer schon vertrieben wurden. Aristophanes schildert, wie die Menschen, wenn sie ihre "zweite Hälfte" gefunden haben, einander festhalten, alle anderen Tätigkeiten vor lauter Seeligkeit unterlassen, ja sogar aufhören zu essen um dann zu sterben. Daher besteht die Notwendigkeit, dass sie wieder in die Trennung auseinander gehen müssen.Heinrich von Kleist schreibt in seiner Abhandlung über das Marionettentheater: ... seitdem wir von dem Baum der Erkenntnis gegessen haben. Doch das Paradies ist verriegelt und der Cherub hinter uns; wir müssen die Reise um die Welt machen, und sehen, ob es vielleicht von hinten irgendwo wieder offen ist Die Menschen haben vom Baum der Erkenntnis gegessen, weil sie "sein wollten wie Gott". Tatsächlich gewinnen sie etwas, das sie überhaupt erst zu Menschen macht: sie erkennen ihre Ausgesetztheit und Bedürftigkeit: "sie sahen, dass sie nackt waren". Aber der Weg zurück in das ursprüngliche Paradise ist versperrt. Die Innigkeit des Anfangs ist nicht durch Rückwäts - gehen in die "guten alten Zeiten" zu erlangen. Den Menschen bleibt nur der Wege nach vorn.Das "einige Zugleichseyn aller Teile" ist nicht aus Unachtsamkeit des Menschen, der mit seinem Verstand die himmlische Flamme nicht genügend gehütet hätte verlorengegangen. Die zweite "Forderung des Geistes", die genauso wesentlich zum Geist gehört, ist, "herauszugehen". Im "Grund zum Empedokles" heißt es:
Die tragische Ode fängt im höchsten Feuer an, der reine Geist die reine Innigkeit hat ihre Grenze überschritten, sie hat diejenigen Verbindungen des Lebens, die notwendig also gleichsam ohnediß zum Contact geneigt sind, und durch die ganze innige Stimmung dazu übermäßig geneigt werden, nemlich ... Es ist ja auch keineswegs so, dass der Zustand der Unterscheidung ein einmaliger Proszess ist.
Hälfte des Lebens ist keine tragische Ode. Es beginnt nicht im "höchsten Feuer" der Unterscheidung, sondern mit der Innigkeit. Aber die Unterscheidung muss - lebensnotwendig - kommen! Aber die Sprachlosigkeit und Kälte im zweiten Teil ist fast unerträglich und körperlich zu spüren. In einem Seminar hat eine Teilnehmerin diese Kälte so intensiv empfunden, dass sie sich übergeben musste. Nach dem wunderschönen Bild des ersten Teiles jetzt diese brutale Trostlosigkeit!
Das Angenehme dieser Welt hab ich genossen, Die fast trostlose Härte von "Hälfte des Lebens" entsteht durch das völlige Fehlen des Bezuges zu "den Himmlischen".
Dieser Text wird weiter bearbeitet.
"... das Entstehen des Gedankens im Gespräch und Brief ist Künstlern nötig" © beim Autor Gerhardt Staufenbiel, Myōshinan Chadōjo |