Geheime Überlieferung - öffentliches Wissen.

Unterthemen: Praxis und Theorie (Unterricht, Tenmae, Teegeräte usw.) Architektur, Küche, Okashi, Kunsthandwerk im Tee, Theorie: Geschichte, Philosophie, Rikyû, usw.

Geheime Überlieferung - öffentliches Wissen.

Beitragvon sensei » Montag 14. September 2009, 13:58

Im Thema "über dieses Forum wurde das Problem der "geheimen Überlieferung" angesprochen.
Wenn Bedarf zu einer Diskussion über dieses Thema besteht, möchte ich hiermit dieses Thema eröffnen.
Ich freue mich auf Beiträge.
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sensei
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Re: Geheime Überlieferung - öffentliches Wissen.

Beitragvon Kiun » Dienstag 15. September 2009, 07:57

guten morgen allerseits;)
...hmm...ja der bedarf besteht allerdings. in gewisser weise ist die andererorts geäusserte kritik, dass wissen hier 'verschleudert' wird irgendwie nachvollziehbar. obschon ich diese auffassung ganz und gar nicht teile. ohne zweifel ist teeweg.de (samt forum) in art und umfang wohl so ziemlich einzigartig in der virtuellen welt. schon alleine der aufwand eine solche seite aufzubauen, zu betreuen und zu unterhalten ist eine riesige leistung, welche dank, statt kritik verdient... danke sensei, dass sie uns an ihrem wissen teilhaben lassen!

leider ist es so, dass es zum teeweg relativ wenig literatur gibt, welche in die tiefe geht. vermutlich ist die materie für verlagshäuser zu wenig interessant und v.a. zu wenig lukrativ. umso schöner ist es, dass es menschen wie sensei gibt, welche ihr wissen weitergeben und keinen riesen zimmes darum veranstalten. was wiederum auch keine selbstverständlichkeit ist.

GEHEIMES WISSEN?
mit keiner silbe - soweit mir bekannt ist- wird hier z.b. der ablauf einer temae beschrieben...also nix da mit shinkaden oder okuden, oder was auch immer. vielmehr ist es doch so, dass es um einzelne elemente, oder konkrete fragestellungen geht. der grünschnabel (so wie ich z.b.) erhält hier so viele fundierte infos und anregungen von sensei und den anderen teilnehmern. gerade für neulinge sind solche foren von grossem wert. ausserdem läuft man (als anfänger) weniger gefahr, fundamentales misszuverstehen/interpretieren, was dann mit dem teeweg etwa noch soviel zu tun hat, wie eine currywurst mit vegetarismus. ausserdem bestehen für mich arge zweifel daran, dass z.b. der erwerb von suisen-zwiebeln etwas mit 'geheimem wissen' zu tun hat. ;)

CHANCEN UND GRENZEN...
...vielleicht mag der eine oder andere neuling der versuchung anheim fallen, sich jegliches wissen über den chado übers .net zu beschaffen. andererseits wird wohl kaum jemand so -pardon- bekloppt sein, sich jegliche utensilien anzuschaffen und per web den teeweg erlernen zu wollen...und wenn doch, steht sie/er ziemlich schnell in einer sackgasse :)... ich bin der festen überzeugung, dass sich alle teilnehmer hier der grenzen eines forums bewusst sind. zudem gehts weniger um wissensvermittlung/erwerb, als um den austausch von erfahrungen und sichtweisen- weder noch ersetzt die aktive teilnahme am unterricht und die praxis - auch dies dürfte allgemein klar sein.

vielleicht haben 'wir' den weg noch nicht verstanden und bis es soweit ist nutzen 'wir' eben das forum und tauschen uns aus...
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Re: Geheime Überlieferung - öffentliches Wissen.

Beitragvon sensei » Mittwoch 16. September 2009, 12:12

Danke für diesen Beitrag. Natürlich geht es in diesem Forum nicht darum, die "innersten Geheimnisse" der Teeschulen, das "okuden" auszuplaudern. "Geheimnisse" gibt es außerhalb dieser geheimen Überlieferung genug.
Japanische Lehrer neigen nun einmal dazu, wenig bis überhaupt nicht zu erklären. Ihrer Auffassung nach kann man Tee nur durch nachahmen und Tun lerne.
Nun, in Japan mag das angehen. Dort ist man gewohnt, auf diese Weise zu lernen. Dort gibt es genügend Gelegenheiten, anderen beim Tee zuzuschauen. Aber wie, wenn man nicht gelernt hat zu "sehen"? Ich kenne genug Beispielt von Leuten, die lange Zeit bei japanischen Lehrern geübt haben und sogut wie nichts verstanden haben. Auch in Japan ändern sich die Zeiten und die Menschen lernen nicht mehr auf die alte Weise.

Aus dem Zen habe ich einmal ein Beispiel gehört:
Ein Roshi hat amüsiert erzäht, dass er einmal einen Mönch hatte, der sich immer das Sitzkissen falsch zurechtgelegt hat. Der Roshi hat sich gedacht: 'Der muss doch furchtbare Kreuzschmerzen bekommen! Ja sieht der denn nicht, dass ich mein Sitzkissen anders zurecht lege?' Nach 10 Jahren Training hat der Mönch aufgegeben mit der Überzeugung, dass der Zen nichts für ihn ist, weil er immer so schlimme Kreuzschmerzen bekam.
Wäre es nicht die Pflicht eines Lehrers, seinen Schüler auf solche Probleme aufmerksam zu machen?
Mein Lehrer, dem ich sehr viel verdanke, den ich aber auch immer mit Fragen gelöchert habe ("Ihr Deutschen seid komisch, ihr fragt immer 'Warum'") hat einmal einer Schülerin Unterricht erteilt und ich konnte zuschauen. Sie hatte eine furchtbar verkrampfte Haltung. Anschließend habe ich ihn gefragt, ob er das denn nicht gesehen hat. "Ja, furchtbar!" "Warum sagst du ihr denn das nicht?" "Ich habe es ihr schon einmal gesagt!" "Ja, nur einmal, vielleicht hat sie das damals nicht verstanden?" "Nein, wenn ich das noch einmal sage, dann ist das peinlich. Sie könnte den Eindruck haben, dass ich sie persönlich verletze!" Japaner haben immer Angst davor, dass jemand sein Gesicht verliert. Also den Lehrer nicht fragen, vielleicht weiß er keine Antwort. Den Schüler nicht korrigieren, sonst verliert er sein Gesicht.
Na dann mal weiter schönes Üben!

Natürlich kann man die "Geheimnisse" der Haltung und Atmung, des Rhythmus bei den Bewegungen usw. nur auf der persönlichen Ebene frei von Scheu und der Angst, den Anderen zu verletzen im Unterricht weitergeben. Natürlich muss auch der Schüler bereit sein, das was der Lehrer sagt anzunehmen. Manchmal tut es schon weh, wenn man lange einprogrammierte Fehlhaltungen aufgeben muss.

Andere Dinge sind eigentlich kein Geheimnis. Japanische Lehrer unterrichten zwar auch selten z.B., wann man welche Blumen verwenden kann. Sie machen einfach vor und der Schüler, der sehen kann, sieht. Einer meiner Lehrer hat wunderschöne Chabana gemacht. Ich habe gefragt, wie man das macht, aber keine Antwort bekommen. Also habe ich mich hingesetzt und geschaut, WIE er das macht und viel dabei gelernt Er hat wunderbares Kaiseki gekocht, aber mit einem einzigen Wort erklärt. Er fing an zu kochen. Die Reihenfolge der Zubereitungen hing davon ab, wie lange ein einzelnes Gericht braucht. Er hat also drei oder vier Gänge gleichzeitig bzw. durcheinander zubereitet. Wer die Rezepte nicht kannte, hat vollkommen den Überblick verloren. Aber wenn man wußte, WAS er da tut, so konnte man unheheuer viel lernen, indem man gesehen hat, WIE er das tat.

Außerdem kann ich in Japan massenweise Literatur kaufen und nachlesen. Und genau das können wir hier bei uns nicht. Es gibt kaum Literatur außerhalb Japans und wenn, dann voller Missverständnisse.

Vor allen Dingen hier soll die Teewegseite weiterhelfen.
Natürlich steckt da sehr viel Idealismus dahinter, eine solche Seite zu machen.
Ach, ich könnte den ganzen Tag vor dem Fernseher sitzen und so interessante Dinge sehen. Aber was tut man? An der blöden Kiste sitzen und schreiben über den Teeweg. Man hat ja sonst nicht zu tun!
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Re: Geheime Überlieferung - öffentliches Wissen.

Beitragvon yuki » Mittwoch 16. September 2009, 21:42

Ich verstehe das jetzt nicht mehr ganz.
Da ist dauernd von irgendwelchen "geheimen" Überlieferungen und von Geheimnissen die Rede. Worum bitte handelt es sich denn da?
Sind das einfach die Zeremonien für die Fortgeschrittenen oder was sonst?
Kann mich bitte jemand aufklären?
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Re: Geheime Überlieferung - öffentliches Wissen.

Beitragvon sensei » Donnerstag 17. September 2009, 10:58

In jeder der japanischen Künste gibt es ein sogenanntes "okuden" 奥伝, die "innere Überlieferung".
Das Innere - oku 奥 - gehört in das Innere des Hauses, das kein Fremder betreten darf. Die Okusama ist die Hausfrau, die im Inneren des Hauses waltet.

Das okuden wird nur denjenigen Schülern mitgeteilt, die der Lehrer für weit genug fortgeschritten bzw. für würdig hält. Also nicht jeder, der genügend fortgeschritten ist, wird das okuden erhalten. Damit soll gewährleistet sein, dass nur diejenigen, die würdig sind, das innere Wissen erhalten.
Nur die Iemotos der einzelnen Schulen sind im Besitz der vollen Überlieferung und sie sollen die Gewähr bieten, dass diese Überlieferung weiter bewahrt wird.
Im Falle der Urasenke etwa sind es 12 Daisu - Zeremonien, die den inneren Kern des okuden bilden.
Diese zwölf Zeremonien sind derart "geheim", dass die meisten Teelehrer nichteinmal wissen, dass es sie gibt. Lediglich gyo-no-gyo-daisu und shin-no-gyo-daisu werden vermittelt.

Diese zwölf Zeremonien sind aber nicht etwa uralt, sie gehen auch nicht auf Rikyû zurück. Erst Gengensai (1810 - 1877), der Großmeister der Urasenke in der 11. Generation hat diese Daisu - Zeremonien bei der Urasenke eingeführt.

Rikyû hatte noch gesagt, dass das Daisu die Grundlage für den gesamten Tee sei. Wer das Daisu nicht beherrscht, kann den Tee nicht wirklich verstehen. Das Daisu gehörte aber zu den geheimen Zeremonien, also zum okuden, das nicht an die Teeleute des Bürgertums weitergegeben werden durfte. Rikyû selbst hat lediglich seinen Sohn Dôan in dieser Tradition unterrichtet. Aber die Familentradition wurde nicht von Rikyû's Sohn Dôan, sondern von So-on oder manchmal auch Shoan geschrieben, dem Sohn seiner Frau aus der ersten Ehe weitergeführt, zu dem Rikyu ein sehr gespanntes Verhältnis hatte. Rikyu bezeichnete ihn als einen typischen machi-shu, einen Bürger, der zwar die Teezeremonie macht, aber nicht in die Geheimnisse des Daisu, also die okuden eingeweiht war.

Die drei Sen-Häuser gehen aber auf Sen Sôtan, den Enkel Rikyû's und Sohn von So-on zurück. Sie waren also eigentlich machi-shu. Erst Gengensai versuchte, die Daisu - Zeremonien wieder bei der Urasenke einzuführen.
Gengensai war aus einer Samurai Familie adoptiert, weil die Uraenke keinen männlichen Nachkommen mehr hatte. In seiner Jugend hatte er den Tee aus der Sekishu-Schule studiert und dort auch die Daisu Zeremonien gelernt. Das gesamte "uralte Wissen" des okuden in der Urasenke stammt also erst aus der Zeit von Gengensai.

Heutzutage müssen wir uns wohl doch sehr genau mit dem Sinn der "geheimen Überlieferung" befassen.
Wozu dient die Existenz der "geheimen Überlieferung?" Abgrenzung von anderen Schulen? Machtausübung?
Demokratisch und offen ist das jedenfalls nicht.
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Re: Geheime Überlieferung - öffentliches Wissen.

Beitragvon Kiun » Freitag 18. September 2009, 11:20

@yuki: ganz schön verwirrend was?! :) nun im grunde gings ganz ursprünglich darum, als dass hier im forum die feststellung gemacht wurde, dass fundertes wissen "verschleudert" werde und somit informationen an die öffentlichkeit gelangen, welche da nicht hin gehören würden...und so ergab eben das eine das andere usw usw...*schulterzuck*...tja das wärs eigentlich schon.
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