Sich von selbst durch die Dinge erweisen ist Erwachen
 
Satori im Teeweg

Der Geist des Teeweges: Zen oder Konfuzius?

Kürzlich bin ich mit der Frage nach dem Geist des Teeweges konfrontiert worden.
Schon einmal hatte mich der Rōshi eines Zen-Tempels in Kyoto gefragt, ob ich den Geist des Teeweges verstanden hätte. Damals wollte ich um die Erlaubnis bitten, an den Zazen Übungen teilnehmen zu dürfen. In seinem Tempel liegt das Grab des Teemeisters Oribe. Der Rōshi wusste, dass ich gerade am Unterricht im Teeweg teilnahm. Für mich waren Tee und Zen ein Geschmack, wie es in den alten Zeiten immer hieß. Aber war dieser Geist in den Teeschulen? Ging es dort nicht darum, Regeln zu lernen und deren Sinn nicht zu hinterfragen? Und Zen im Tee? Es war stets ein fröhliches Geplauder und auf der anderen Seite ein striktes Gehorsam gegenüber den Lehrern. War doch der neokonfuzianische Geist Gengensai‘s der wahre Tee-Geist? Und dann die vielen verschiedenen Teeschulen mit den unterschiedlichsten Stilen der Teezeremonie! Ich war verwirrt und antwortete auf die Frage nach meinem Verständnis vom Geist des Teeweges mit einer Gegenfrage: „Welchen Geist?“ Der Rōshi hielt das offenbar für eine typische Zen - Antwort, er lachte und ich durfte am Zazen teilnehmen.

Teeweg - Buddhaweg

Aber was heißt es, dass der Tee nach der Lehre Buddhas geübt wird? Eine „buddhistische Übung“ besteht nicht darin, in einem „religiösen“ Akt ein höheres Wesen zu verehren. Der wichtigste Satz im Nambōroku, den Aufzeichnungen des Mönches Nambō über seine Gespräche mit dem Teemeister Sen no Rikyū ist:

„Durch all dies formen wir uns selbst nach dem Bild Buddhas und der vergangenen Meister.“

Wir formen uns selbst nach dem Bilde und dem Vorbild Shakyamunis (Butsu-sō), des Königssohnes aus Indien aus dem Königs Geschlecht der Shakya, der ein Buddha wurde, und nach dem Vor-Bild der alten Meister, die bereits den Weg vor uns gegangen sind, den Weg zu uns selbst.

Das alles (Blumen stecken, Duft abbrennen, Tee trinken) (um) den Fußspuren Shakyamuni‘s, die er übend (hinterlassen hat), lernen wir durch Nachahmen.
Dort, wo der Buddha Shakyamuni gegangen ist, hat er Fußspuren hinterlassen. Das japanische Wort gyo bedeutet wörtlich „gehen“, wird aber in buddhistischen Texten fast immer als „üben“ verstanden. Wir müssen in unserer Sprache dieses gyō als „üben“ übersetzen, um es von einem unachtsamen Vor-sich-hin-Gehen abzuheben. Shakyamuni ist übend gegangen und hat „Fußspuren hinterlassen. Shakyamuni ist längst schon verschwunden, aber seine Spuren sind noch da.
Shakyamuni hat keine Teezeremonie geübt, aber er ist den Weg heraus aus dem Leiden in die Leidfreiheit gegangen. In allen Menschen liegt die Sehnsucht nach Leidfreiheit von Geburt an. Es ist ein Trieb, der jedem Lebewesen innewohnt und der wie ein roter Faden leitet. Eigentlich liegen die Spuren Buddhas schon in unserem Herzen eingeschlossen, wir müssen uns nur noch aufmachen, und ihnen gehend folgen.

Wir können den Weg in die Leidfreiheit gehen, indem wir Schritt für Schritt in die Fußspuren Buddhas treten, und mit unserem ganzen Sein diesen Spuren folgen. Wir müssen mit Herz-Geist und dem Leib (Shinjin 心身) gehen, das heißt, es genügt nicht, über den Weg nur nachzudenken. Wir müssen ihn mit unserem ganzen Körper und unserem ganzen Herzen gehen und gehen wollen. Dabei machen wir eigene Erfahrungen. Wir spüren, welche Empfindungen dieses Gehen in unserem Körper und in unserem Herzen auslöst. Wir lernen dann zwar durch Nach-ahmen, aber dabei imitieren wir nicht nur einfach den Vor-Gänger, sondern lernen uns selbst kennen. Dann gehen wir den WEG, den schon Buddha gegangen ist, den Buddha-Weg. Wir können dabei Shakyamuni nicht imitieren, weil wir, wenn wir den Teeweg oder andere Zen-Wege gehen eine Kunst ausüben, die der Buddha so nicht geübt hat. Budhha hat keine Teezeremonie gemacht, nicht mit dem Bogen geschossen und nicht Shakuhachi gespielt. All diese Künste sind erst von Nachfolgern Buddhas auf dem Buddhaweg geformt worden.

Der Zenmeister Dōgen schreibt in seinem Buch Shōbōgenzo:

Den Buddaweg (Buddha-Dō) zu erlernen heißt, sich selbst erlernen. Sich selbst erlernen heißt, sich selbst zu vergessen.

Wir lernen also nicht nur, um uns eine Kunst anzueignen, sondern wir lernen auf dem Buddhaweg.

Den Buddhaweg lernen heißt, sich selbst zu vergessen. Wir bereiten den Tee in tiefer Konzentration zu, bei dem der Bewegungsablauf immer und immer wieder geübt wird. Man spricht vom Erlernen der Form, dem Überziehen der Form und vom Vergessen der Form. Das Erlernen der Form darf dabei nicht nur mit dem Verstand, sondern muss mit Körper und Geist geschehen. Zenmeister Dogen verwendet regelmäßig die Wendung Shinjin Beim Erlernen der Form ist es wichtig, dass wir Bewegung und Atmung miteinander verbinden, so dass der Ablauf der Form, die Bewegung und die Atmung zu einem harmonischen Ganzen verschmelzen.
Wir machen nicht den Tee, der Tee ist das Zeitgefüge, das uns wie das Boot auf dem Fluss oder dem Meer trägt. Der Fluss fließt ohne unser Zutun, aber wir steuern das Boot mit der Stange oder dem Steuerruder. So lassen wir uns von dem Gefüge, das der Tee vorgibt tragen, und gleiten von einem Jetzt in das nächste. Wir müssen sowohl uns selbst als auch die Form fallen lassen, um in diesen Fluss zu steigen.

SHU HA RI

In den japanischen Kunstwegen, vor allem in den Kampfkünsten, aber auch im Teeweg gilt die Einteilung des Weges in drei Stufen:

SHU HA RI

das Erwerben der rituellen Form, das Durchbrechen der Form und das Verlassen der Form. SHU ist die Stufe des Anfängers, Ha, des Fortgeschrittenen und Ri des Meisters. Der Anfänger beginnt mit SHU, dem Erlernen oder Erwerben der Form. Dazu ist es nach der japanischen Tradition nötig, Vorbildern nachzueifern und sich streng an deren Vorbild zu halten.
In der zweiten Stufe, dem HA kann man die Form loslassen und variieren, weil man bereits über genügend Erfahrung verfügt, um aus eigener Erfahrung zu üben.
Die dritte Stufe des RI ist die Stufe des Meisters, der die Form vollkommen verinnerlicht hat und sie deshalb vergessen kann.

SHU HA RI ist keineswegs so zu verstehen, dass der Anfänger den wahren Geist des Weges noch nicht erfasst und verwirklicht hat. Im Kapitel Zazenshin unterscheidet Dōgen ebenfalls drei Stufen auf dem Übungsweg, den „sitzenden Menschen, den sitzenden Buddha und den Buddha, der das Sitzen erlernt.

In dem Augenblick, wo sich ein Mensch hinsetzt um zu Üben, ist er - so Dōgen - ein Buddha, wenn auch ein Buddha, der das Sitzen übt. Wenn der „gewöhnliche Mensch" sitzt, das heißt der Mensch, der sich ohne Form im Alltag treiben läßt, so ist das kein Üben, sondern einfach ein Sitzen, das in der Regel nicht um das Sitzen eigens "weiß". Für Buddha ist es wichtig, dass ich, wenn ich sitze zugleich weiß: "Jetzt sitze ich" und wenn ich stehe zugleich weiß: "Jetzt stehe ich". Dies ist die Übung der Achtsamkeit im Alltag. Aber im Alltag sind wir von den Dingen getrieben, wir sitzen zwar, aber mit den Gedanken sind wir nicht beim Sitzen.

Der Anfänger hat Schwierigkeiten mit der Form, aber auch beim Anfänger stellen sich Augenblicke ein, in denen er Körper und Geist fallen lassen kann. Ich erinnere mich noch daran, wie ich anfing, den Teeweg zu erlernen. Das Falten des seidenen Fukusa war so kompliziert und wollte einfach nicht gelingen. Ich setzte mich zu Hause hin und faltete und faltete. Plötzlich fiel aller Zweifel und alles Nicht-Können von mir ab, und in einem Zustand völliger Glückseligkeit ging das Falten des Seidentuches ganz von selbst. Das war so wunderbar einfach, dass ich lange Zeit saß und einfach immer und immer wieder das Falten genoss.
Die Form ist so lange geübt worden, bis die Dinge wie von selbst geschehen. Der Zustand der Selbstvergessenheit, der Vergessenheit der Form, ja der Vergessenheit der Anderen, in dem wir ohne jede Mühe und Anstrengung in vollkommener Selbstvergessenheit den Tee tanzen, ist der Zustand des erwachten Buddha, das ist, wie Dōgen schreibt „Erwachen“.

Erwachen heißt „Satori“ und wird oft als „Erleuchtung“ übersetzt. Aber das kommt aus der missverstandenen Gleichsetzung von Zen und abendländischer Mystik.

Das chinesische Zeichen für Satori besteht aus dem Bild für Herz oder Herz-Geist shin und dem Zeichen für Ich, ware . Das Herz ist wie ein Spiegel, in dem sich die Dinge spiegeln und die Dinge sind ein Spiegel, in dem sich das Herz spiegelt. Das Üben poliert den Herzensspiegel, der nun ganz rein und ohne Verzerrungen des Ego die zehntausend Dinge widerspiegelt. Das ist gerade nicht eine Erfahrung des Ego, sondern das vollkommene Los-Lassen und Vergessen von Körper und Herz-Geist.

Den Buddhaweg üben, um Buddha zu werden ist ein nutzloses Unterfangen. Aber wenn wir in den Zustand der Selbstvergessenheit gelangen, die Psychologie nennt das den Flow-Effekt, dann SIND wir Buddha. Je mehr wir uns bemühen, den Buddhaweg zu erlernen, um etwas zu werden, desto mehr haben wir den Weg verfehlt.

Der buddhistische Name des großen Teemeisters Rikkyu 利休 setzt sich aus den zwei Schriftzeichen Ri 利, Nutzen, Ertrag, Gewinn und 休 kyū Ruhen, Ausruhen zusammen. Ri ist eigentlich der Ernteertrag von abgeschnittenem Gras, kyu zeigt einen Menschen, der mit dem Rücken an einen Baum lehnt. Erst, wenn wir aufhören, an Gewinn und Nutzen zu denken, können wir die Spur des Buddha verwirklichen. Der Teeweg ist eine vollkommen nutzlose Tätigkeit, die keinerlei Gewinn bringt!
Wie schrieb der Mönch Nambō?

"Als Mönch, der die Klause jetzt in der zweiten Generation bewohnt, nahm ich den Namen Nambō an, ein Einsiedler, der nichts anderes tut, als den Tee zu üben.
Wie lächerlich!"


Anmerkung: Stark gekürzte Version des 13 - seitigen Monatsbriefes.

Der Monatsbrief kommt in diesem Monat ein wenig später. Aber es gibt einen kleinen Eintrag im Teeweg - blog , wie dieser Brief (und nicht nur dieser) - immer wieder unterbrochen durch Unterricht oder Termine - entstanden ist.
Ich werde mir Mühe geben, in Zukunft den Brief nicht erst am Ende des Monats zu verschicken.
Vielen Dank für Ihr Verständnis.

Termine

Fernsehen

Inzwischen hat das Fernsehen hier einen kleinen Film gedreht. Ein Bericht darüber findet sich ebenfalls im Teeweg - blog. Der Sendetermin ist am
Dienstag, 27. September 2011 um 19.00 Uhr im bayerischen Fernsehen (BR)

Alle weiteren Termine finden sich im neuen Kalender

Selbstverständlich sind wie bisher auch Sondertermine, Unterricht oder Vorführungen nach Vereinbarung möglich.
Ab November wird es regelmäßige Teeweg - Kurse in Regensburg geben.

Japanreise 2012

Falls sich genügen Teilnehmer finden, ist im nächsten Jahr wieder eine Japanreise geplant. Bitte kontaktieren Sie uns für weitere Informationen.

Tee aus Japan

Unser Lieferant für Matcha und Grüntee, die Plantage Koyamaen hat uns mitgeteilt, dass ihre Tees staatlich zertifiziert wurden als frei von radioaktiven Rückständen.
Keiner der anfälligen Reststoffe aus radioaktiven Fallout ist in den Teesorten nachweisbar.
Man kann also ohne Bedenken den Tee von Koyamaen konsumieren.
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Gerhardt Staufenbiel (Teezeremonie Lehrer, Leiter des Myōshinan Dōjō)
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