Demut und Macht oder Demut des Herzens?

Heute habe ich in einem anderen blog einen Bericht und einen Kommentar über den Unterrichts einer Teelehrerin gelesen, der mich sehr getroffen hat.

Sensei fragte mich am ersten Tag, was ich ihr gerne präsentieren wollte. Usucha oder Koicha. O.K. Koicha im Ro, das kann ich schon und mache es auch richtig gerne. Zu nervös werde ich wohl nicht. Sie hörte von Koicha und fragte, welche Zubreitungsart? Natürlich wollte ich die einfachste Art und sie die komplizierteste. Ich ließ mich nicht beirren. Dann fing die Hölle an

„Do you know, what you have to take now!!??“;  „What do you do??!!“;  „Where are you? You lost your center!! You should never lose your center!!! HMMM!!!“

„This is not Koicha! This is Ursucha!“ Sie saß nicht gerade neben mir, woher sollte sie denn wissen, ob mein Tee zu dünn war? „HOW DO YOU KNOW THAT?“ Alle lachten, weil ich ihr widersprach. „I see everything!“ Mein Koicha war tatsächlich zu dünn, aber woher sah sie es? (Anmerkung g.s: ein geübter Lehrer sieht das sofort,  sogar ohne hinzuschauen. Da ist keine Hexerei dabei. )

„I told you to do the complicated one, but you prefer the simple one!“ sie schaute mich mit ihren starken Augen an. Sie vergaß es nicht und hing es an die große Glocke. Am nächsten Tag musste ich natürlich den Befehl ausführen und ein harter Tag fing richtig an. Fast zu jeder Temae (Teezubreitung) wurde ich aufgerufen mitzuarbeiten. Als Strafe oder Privileg kann man es nicht so leicht definieren. Ich war am Abend richtig erledigt. Erledigt war auch mein Wunsch baldmöglichst wieder dabei zu sein

In einem Kommentar einer anderen Teeschülerin heißt es dazu:

Dein Bericht über den Unterricht bei XY-Sensei hat bei mir diverse Saiten zum Klingen gebracht. Ich kann sehr gut nachvollziehen, wie du dich gefühlt hast, als dich die strenge unnachgiebige Sensei in die Zange nahm. Ich habe es selber schon erlebt und bin nach jedem Seminar ein wenig unschlüssig, ob ich mich dem überhaupt noch stellen mag. Und doch gibt es da so eine gewisse Energie, du mich immer wieder dazu verleitet, wieder hin zu gehen. Ich kann mir das auch nicht erklären…. Einerseits empfindet man XY-Sensei’s  Unterrichtsstil demütigend und daher seelisch schmerzend, und doch schöpft man daraus die Kraft, die uns hilft (mit Demut) durchs Leben zu gehen. Ein Widerspruch? Logisch? Das Herz der Teezeremonie ist schwierig zu erklären, aber XY-Sensei vermag es durch ihr Schreien, die scharf beobachtenden Augen und halt auch mit viel Humor und dem herzhaften Lachen. Oft im Alltag höre ich tief in mir eine Stimme, die „search your center, you are not in your center“ ermahnt. Dies bringt mich dann zum Schmunzeln….;-)

Unterricht im Teeweg demütigend und schmerzend?
Kann das denn wahr sein?
Ja, leider, es ist wahr. Aber dies muss keineswegs immer so sein!

Sicherlich, im Zen und in den Zenkünsten geht es darum, das Ego zu überwinden. Und das ist oft sehr schmerzhaft. Wir haben bestimmte Vorstellungen von uns selbst, unseren Fähigkeiten und Möglichkeiten. Manche überschätzten sich, andere haben eher das Problem, sich nichts zuzutrauen. Aber manche haben gute und solide Fähigkeiten und den starken Wunsch, sich auf dem WEG weiterzuentwickeln. Dennoch erleben auch sie immer wieder die Schmerzen der Weg-Findung und der Selbst-Werdung, der Selbstwerdung ohne Ego.

Ich habe selbst Unterricht bei XY-Sensei erlebt und immer wieder habe ich den Eindruck gehabt, dass gerade diese strebsamen Schüler gedemütigt und ausgebremst werden. Ist das eine Schulung der Demut? Oder ist das die Sicherung der Stellung des Lehrers und seine Machtausübung?

In Japan gibt es das Sprichwort:  „Nägel, deren Köpfe herausschauen, muss man einschlagen!“

Jeder, der besser ist als Andere – ob er das nun nur meint oder ob es tatsächlich so ist – muss klein gemacht werden, so dass sein Kopf nicht über die der Anderen hinausschaut. Das ist in einem Land, in dem die Menschen auf engstem Raum zusammenleben müssen vielleicht notwendig und dies ist die gesellschaftliche Realität in Japan. Aber passt das in unsere Kultur und unsere Gesellschaft?

Die ständige Demütigung und das „Einschlagen“ schafft Menschen, die in total unterwürfiger Haltung zu ihrem „Sensei“ stehen. Ihnen wird niemals erlaubt, eine eigenständige Haltung zu gewinnen. Einmal Schüler  immer Schüler. Ein wesentlicher Punkt des Schüler-Seins ist die freiwillige Unterwerfung unter den Druck des Lehrers, sei es, dass dieser durch ätzenden „Humor“ oder durch andere Mittel ausgeübt wird. Dadurch entsteht das Gefühl der Verbundenheit und des Dazugehörens unter den Schülern

Werden Schüler ständig und gezielt aus ihrer Mitte herausgerissen durch Demütigungen, Witze oder andere Maßnahmen, so kann das einerseits ein Training und eine Hilfe sein, die eigene Mitte zu festigen, aber es kann auch eine systematische Demütigung und Machtausübung darstellen. Der Unterschied ist haarfein und steht auf Messers Schneide. Der Unterschied liegt in der inneren Haltung des Sensei: will er helfen oder stecken vielleicht andere Motive dahinter?

Wenn der Lehrer nicht passt, kann man ihn doch einfach wechseln? Aber: man wechselt in Japan niemals seinen Lehrer, eher hört man auf, diesen bestimmten Kunst- oder Zenweg zu gehen. Es sei denn, der Schüler ist stark genug, sich von seinem Lehrer zu lösen und selber Lehrer zu werden. Ab jetzt wird er Sorge tragen, dass seine Schüler die selbe Demut ihm gegenüber an den Tag legen, die er hatte, als er noch Schüler war

Im Zen wird das Ego getötet. Aber diejenigen, die das geschafft haben, stärken ihr eigenes Ego, indem sie selber „Meister“ werden.  Kein Land der Welt ist so erfolgreich in der Gründung von „neuen Religionen“ wie Japan. Jeder, der stark genug wird, gründet eine eigene neue Religionsgemeinschaft mit einer Menge von total demütigen und unterwürfigen Gefolgsleuten.

Hören wir auf, ewige Schüler zu sein. Begeben wir uns nicht in eine solche Unterrichtssituation, die uns in steter Abhängigkeit hält. Beginnen wir, wirklichen Tee zu machen.

Ein guter Teeunterricht heißt für mich, dass das Prinzip „kein Gast kein Gastgeber“ gültig ist. Wird eine gute Tenmae gemacht, dann gibt es während dieser Zeit weder Lehrer noch Schüler, sondern einfach nur das Erlebnis des gemeinsamen Tee’s. Das ist dann Tee –  Samadhi. Aber dennoch: praktizieren wir diese Erfahrung in echter Demut, die aus dem Herzen kommt, aber die nicht erzwungen wurde. Danken wir dafür, dass es so etwas wunderbares gibt wie den Teeweg! UNSEREN Teeweg, nicht den der professionellen Lehrer. Bleiben wir immer im tieften Inneren unseres Herzens „Amateure“ Menschen, die etwas tun, weil sie es lieben.

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