Heute Vormittag war draußen auf der Straße vor dem Garten ein lautes Klappern und Ratschen zu hören. „Was ist denn das, ist da irgend eine Meschine kaputt gegangen? Aber heute ist doch Karfreitag und damit Feiertag! Niemand benutzt irgend eine Landmaschine. Und wenn ein Auto so klingen würde, so würde das wohl kaum noch einen Meter weiter fahren können!“
Ach ja, hier sind ja die Kirchenglocken alle nach Rom geflogen. Karfreitag fliegen sie los und kommen erst wieder in der Osternacht zurück. Bis dahin schweigen die Kirchenglocken. Deshalb gehen die Kinder mit Klappern und Ratschen und rufen die Dorfbewohner zum Kirchgang und zur Beichte und Buße.
Ach, das kenn ich ja noch aus meiner Kinderzeit. Da bin ich in einem kleinen Dorf im thüringischen Eichsfeld auch klappern gegangen. Eigentlich war ich es nicht, sondern meine Cousine, die mit ihrer Mutter und den Großeltern dort im Dorf lebte. Ich war aus Hessen an Ostern zu Besuch gekommen. Am Karfreitag gingen die Knaben mit Ratschen und Klappern durchs Dorf um zum Kirchgang zu rufen, denn auch dort waren die Glocken unterwegs nach Rom. Als Dank bekamen die Jungen dann Ostereier und damals sehr rare Süßigkeiten geschenkt. Immerhin war es ja noch mitten im Krieg und die Väter waren in Polen, Russland oder Finnland. Die wurden gesammelt und am Schluss an alle verteilt. Meine Cousine wollte auch immer mit Klappern gehen, aber das war für Mädchen verboten. Sie war zwar sehr kräftig und konnte durchaus auch die Jungen verprügeln, aber klappern kam einfach nicht in Frage. Aber nun war ich ja da und nach Ihrer Meinung musst ich nun mit klappern. Aber da geb es große Proteste. „Der ist noch viel zu klein, der geht ja noch nicht einmal in die Schule. Außerdem stammt er ja gar nicht aus dem Dorf!“ Aber immerhin war ich ja im Nachbardorf geboren worden, wenn auch als Sohn eines Eisenbahners. Aber das waren ja keine richtigen Dorfbewohner. Als Beamter wurden die immer wieder versetzt und gehörten somit einfach nicht dazu. Nirgendwo! Die hatten ja nicht einmal ein eigenes Haus und wohnten im Bahnhof, der gehörte aber der Reichsbahn und nicht den Bewohnern. Und wer kein eigenes Haus hat, ist ja auch kein richtiger Mensch und darf deshalb auch nicht klappern! So einfach ist das!
Das alles zählte nicht für meine Cousine: „Er ist jetzt hier, seine Großeltern und seine Eltern stammen beide aus dem Dorf, also darf er mitklappern. Basta!“ Aber meine Cousine wollte unbedingt, dass ich eine Ratsche und keine Klapper bekam. Schließlich ist eine Ratsche ja das wesentlich vornehmere Instrument. Die Klappern sind für die armen Leute! Das Problem war nur, dass zwar eine Klapper übrig war, aber keine Ratsche. Also musste einer von den Jungen seine Ratsche an mich abgeben. Das Los fiel auf den armen gutmütigen und etwas einfältigen Nachbarssohn, der traurig mit einer Klapper abgespeist wurde.
Aber ich konnte der Ratsche keinen Ton entlocken. Man schwenkt sie um den Handgriff und der Kasten mit den Holzfedern dreht sich um die mit Zapfen versehene Achse und erzeugt das ratschende Geräusch. Kurzerhand riss mir meine Cousine die Ratsche aus der Hand und übernahm meine Aufgabe. Und das, obwohl sie ein Mädchen war! Proteste von den anderen Jungens halfen gar nichts. Meine Cousine hatte sehr schlagkräftige Argumente und war finster entschlossen. Also dackelte ich etwas verängstigt hinter ihr her und durfte die gespendeten Eier in einem Beutel einsammeln.
Der Karfreitag war gerettet! Aber eine Ratsche habe ich bis heute noch nicht bedient.
Vielleicht frage ich mal die Dorfkinder hier, ob sie mich mal ratschen lassen?
Alt genug dazu bin ich ja inzwischen!Oder bin ich jetzt zu alt dafür?
Leider ist meine Cousine nicht hier!