Draußen vor dem Fenster fällt der Schnee. Das ganze Land versinkt im Weiß und der Bambus im Garten neigt sich unter der Schneelast. Nur die alte Kiefer steht stolz und trägt die weißen Hauben mit Würde. Der Buddha im Gaten hat eine weiße Mütze auf und die Vögel schwirren um das Futterhäuschen.
Drin am Computer bin ich in Japan. Die nächste Reise im Frühjahr will vorbereitet und die Unterkünfte müssen gefunden und gebucht werden. Es ist eigentlich schon ziemlich spät, denn der April ist die Hauptreisezeit für Japan. Die Kirschblüte wird zwar schon vorbei sein, aber die Ryokan in der alten Kaiserstadt Kyoto sind schon fast alle voll.
Aber in Tokyo, Kamakura, Nikko und Nara haben wir noch schöne traditionelle Unterkünfte gefunden.
Wir übernachten in Japan immer in den traditionellen Ryokan – .
ryo oder tabi gelesen ist die Reise, -kan ein großes Gebäude. Eigentlich sind die Ryokan nicht wirklich groß, die meisten sind eher kleine Häuser mit nur wenigen Zimmern. Die Zimmer sind im traditionellen japanischen Stil eingerichtet, das heißt, man schläft auf dem Tatami-Boden. Dazu rollt man in besonderen Schränken aufbewahrte Futon aus und schon verwandelt sich der Tagesraum in einen Schlafraum. Die meisten älteren Ryokan haben kein privates Bad, dafür aber den Furo oder Sento, der getrennt nach Geschlechtern gemeinsam von allen Gästen genutzt wird.
Für viele sicher ein ganz neues Erlebnis, an das man sich gewöhnen muß. Es ist schon eine merkwürdige Erfahrung, völlig nackt mit vielen fremden Menschen in einem großen Becken mit heißem Wasser zu sitzen. Aber wenn man das einmal erlebt hat, genießt man die wohlige Entspannung, die allen Stress desTages verschwinden läßt. In Korea habe ich gehört, dass die Koreaner vermuten, die Japaner würden sterben, wenn sie drei Tage nicht gebadet haben.
Früher war es ausgesprochen schwierig, Zimmer in einem Ryokan zu bekommen. Als ich meine erste Gruppenreise nach Japan organisiert habe, mußte ich noch schriftlich versichern, dass sich die Reiseteinnehmer „anständig“ benehmen können und nicht wegen der Schlichtheit der Herberge wieder abreisen. Die Schlichtheit ist dabei oft geradezu ein Stil der äußersten Vornehmheit. Eines der vornehmsten Ryokans in Kyoto ist das – Tawaraya Ryokan, wörtlich „Stohsack-Hütte Ryokan“. Die Übernachtung kostet dort nur etwa 350 Euro, aber man schläft auch dort „auf dem Strohsack“. Die Vornehmheit des Ryokan erfährt man dann in dem erstklassigen Service und der ganz persönlichen Betreuung. Man ist dort kein Fremder, sondern Gast, der sich völlig zu Hause fühlen soll.
Anständig benehmen heißt unter anderem, daß man die Hausschuhe wechselt, wenn man die Toilette betritt und dass man erwartet, dass man sich gründlich reinigt, bevor man in das heiße Wasser des O-Furo steigt. Der Furo dient NICHT zur Reinigung. Die hat vorher stattgefunden – und zwar gründlich. Man sitzt mit dem Gesicht zur Wand auf niedrigen Hockern, seift sich ein und spült die Seife wieder mit einem Holz- oder heute Plastikkübel ab. Japaner fürchen nichts mehr, als dass ein Gaijin, ein Außenmensch ungereinigt in das Wasser steigt, sich dort einseift und wäscht. Es kann schon mal vorkommen, daß ein Japaner sofort den Ofuro verläßt, wenn ein Gaijin ins Wasser steigt. Schlimm ist auch, wenn der Gaijin, nachdem er sich im Bad gereinigt hat, das Wasser abläßt. Das heiße Wasser steht von etwa 6 bis 11 jeden Abend für Alle bereit und wird an diesem Tag nicht gewechselt.
In vielen Ryokan ist man auch stolz auf das Essen, das serviert wird. Dafür wird absolute Pünktlichkeit beim Abendessen verlangt. Alles ist ganz frisch und auf die Minute genau vorbereitet. Nichts schlimmer als ein Gast, der zu spät zum Essen kommt. Das ist eine Beleidigung für den Koch. Meistens wird das Essen auf dem Zimmer serviert, aber wenn wir mit Gruppen unterwegs sind, serviert man meistens in einem Gemeinschaftsraum. Dabei sitzt man dann ganz traditionell auf dem Boden, das Essen auf niedrigen tischen. Einmal kam das gesamte Küchenpersonal nach dem Servieren des Essens und saß am anderen Ende des Raumes, um zuzuschauen, wie die Gaijin essen. Als wir das Essen, das wirklich köstlich war, über alles lobten, wurden sie sehr verlegen aber auch stolz. Das größte Erstaunen aber löste die Tatsache aus, dass wir am Boden sitzend essen konnten – sowas, davon war man überzeugt, können Gaijin nicht.
Die meisten Ryokan sind wirklich wie Familien-Herbergen. Wenn man länger als einen Tag verweilt, gehört man schon zur Familie, ja auch wenn man das Erste mal in ein Ryokan kommt, fällt schon die Begrüßung meistens so aus, als käme man nach langer Abwesenheit wieder einmal nach Hause. Manchmal kann man dann auch an den besonderen Tätigkeiten der Hausherren teilnehmen. Dieses Mal werden wir in einem Ryokan sein, in dem der Hausherr Unterricht im traditionellen Kyogen erteilt. Kyogen ist eine Art Komödienspiel, das ursprüngliche zwischen den einzelnen Noh-Stücken gespielt wurde, um die Zuschaer wieder aus dem tiefen Ernst zurückzuholen. Die Hausherrin ist darüber hinaus eine Kalligrafie-Meisterin und der Hausherr schnitzt Buddhafiguren.
Früher hatte man Angst, die Gaijin in das Ryokan aufzunehmen, aber heute ist eine Wende zu beobachten. Die traditionellen Ryokan sterben und die Japaner wohnen lieber in einem Hotel westlichen Stils. Heute sind es eher die Gaijin, die manch eines der traditionellen Häuser am Leben erhalten.
Und die Preise? Man kann nirgend wo so günstig wohnen wie in einem einfachen Ryokan. Es muss ja nicht immer das Tawaraya sein.
PS.:
Wenn schon Tawaraya, dann im Fernsehen. Am Sonntag, den 24. Januar 2010 um 14.15 Uhr läuft auf Arte ein Film über das Tawaraya. Weblink: Arte – Tawaraya