Der Mönch im Baum
Die Geschichte ist ein Zen-Kōan, eine der Geschichten, die durch rein rationales Denken nicht zu lösen sind. Ein bekanntes Beispiel: Schlägt man beide Hände zusammen, so hört man einen Ton. Höre den Ton der einen Hand! Da ist – Nichts!
Einmal hing ein Mönch in einem Baum und er hielt sich verzweifelt mit den Zähnen an einem Ast fest. Mit seinen Händen und Füßen konnte er weder einen anderen Ast noch den Stamm erreichen.
Da kam ein anderer Mönch vorbei, der ernsthaft in seinen Übungen bemüht war. Ihn trieb die Frage um, was der Sinn gewesen sei, dass Bodhidharma aus Indien in dem Osten gekommen und den Zen nach China gebracht hatte. Er wusste, dass nur der Mönch im Baum die Antwort kannte. Also fragte er ihn.
Sollte der arme Mönch nun antworten? Dann würde er aus der Höhe in die Tiefe stürzen. Aber wenn er nicht antwortete, war vielleicht der arme Fragende für immer in seiner Unwissenheit gefangen. Was sollte er also tun? Antwortete er, so war er verloren, antwortete er nicht, so war er ebenfalls verloren!
Später unterhielten sich ein Meister und seine Schüler über diesen Fall. Der Meister fragte: »Was ist nun mit dem Mönch im Baum?« Sein Schüler antwortete: »Solange er im Baum bleibt, ist die Frage einfach zu beantworten. Aber was ist, wenn er unter dem Baum sein wird, das kann man nicht wissen.«
»Und was ist denn nun mit dem Baum?«, fragte der Meister.
»Der Baum ist die Mutter, an der sich dem Mönch verzweifelt festklammert und nicht loslässt.
Dass er sich mit den Zähnen am Ast festklammert, bedeutet, dass er Angst hat, die nährende Mutter zu verlieren. Erst wenn er seine Angst überwindet und den Mut findet, loszulassen, wird er frei sein und ein Buddha werden!«
Solange wir uns mit den Zähnen und Klauen am Gewohnten festklammern – ob es die Mutter oder die gegenwärtige Situation ist – und nicht loslassen können, solange werden wir nicht frei sein von Angst.
Was kann uns passieren, wenn wir loslassen? Wir kommen auf dem Boden an, auf dem man aufrecht und ohne Angst stehen kann, weil der uns trägt! An dem Ast hängen zu bleiben kann jedenfalls keine Lösung sein – wir würden dort verhungern.
Wie oft klammern wir uns ängstlich an einen Ast und verharren in einer unhaltbaren Situation.
Nur wenn wir loslassen, kommen wir mitten im Leben an.
Nachbemerkung:
Warum war denn Boddhidharma nach China gekommen? Damit die Menschen dort lernen, in Situationen, in denen sie sich an das Gewohnte klammern vor Angst, weil sie das Neue nicht kennen das Loslassen lernen!
Diese kleine Geschichte stammt aus meinem Buch:
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