Draußen blühen die Kirschbäume, aber es ist noch empfindlich kalt. Gestern sind sogar ein paar Schneeflocken durch die Luft gewirbelt, die sich in den Frühling verirrt haben. Der Übergang in eine neue Zeit ist oft mit Irrungen und Wirrungen verbunden.
Zenmeister Dōgen sagt zwar, dass der Winter nicht zum Frühling wird. Winter ist Winter, Frühling ist Frühling. Es ist immer JETZT.
Aber der Winter hat ein Nachher und der Frühling ein Vorher. Und manchmal weiß man nicht, ob es noch Winter oder schon Frühling ist. Es gibt wohl auch Zeiten, in denen die Veränderung ganz klar in der Luft liegt, aber noch kann es sich nicht entscheiden, ob die neue Zeit schon beginnt. Aber eines ist sicher: Nichts ist beständig. Im japanischen Zen heißt das: Mu Jō.
In dieselben Flüsse steigen wir und steigen wir nicht, wir sind und wir sind nicht.
Der Gedanke der steten Veränderung ist nicht nur im Buddhismus lebendig, auch Heraklit, der griechischen Philosoph sagt um 500 v. Chr.:
Scheinbar steigen wir in dieselben Flüsse, aber stets fließt dort anderes Wasser. Die Beständigkeit ist nichts als eine Illusion. Ebenso fühlen wir, dass wir selbst immer gleich bleiben, aber in Wahrheit sind wir in jeder Situation und in jedem Alter ein Anderer. „Wer bin ich? Und wenn ja, wieviele?“
Der japanische Dichter Kamo no Chōmei, der um 1200 gelebt hat, in einer Zeit, in der Kriege und Naturkatastrophen das Land heimgesucht haben, gestaltet in seinen „Aufzeichnungen aus meiner Hütte – Hojō ki“ diese Veränderungen in ergreifender Weise:
„Der Strom des dahinziehenden Flusses nimmt kein Ende, und doch ist es nicht das ursprüngliche Wasser. Die Schaumblasen, die auf dem seichten Wasser schwimmen, vergehen und bilden sich neu, und es gibt kein Beispiel, daß sie für längere Zeit bleiben. Geradeso verhält es sich mit den Menschen und ihren Behausungen auf dieser Welt.
….Am Morgen stirbt der eine, am Abend wird der andere geboren – dieses Schicksal ist den Schaumblasen auf dem Wasser fürwahr gleich. Man weiß nicht, woher sie kommen, wohin sie gehen, die Menschen, die geboren werden und sterben. Und man weiß nicht, um wessen willen sie ihr Herz quälen, weshalb sie ihr Auge sich erfreuen lassen bei ihrem flüchtigen Aufenthalt.
Herr und Behausung wetteifern in der Vergänglichkeit nicht anders wie Morgenwinde und Tau. Einmal fällt der Tau zu Boden und die Blüte bleibt. Selbst wenn ich sage, sie bleibt, so vertrocknet sie doch in der Morgensonne. Einmal verwelkt die Blüte und der Tau zergeht nicht. Selbst, wenn ich sage, er vergeht nicht, so kommt es doch nicht vor, daß er den Abend erwartet.“
Kamo no Chōmei hatte sich aus den Wirren seiner Zeit zurückgezogen in eine winzige Hütte in den Bergen, weitab von der Hauptstadt und ihrem Getriebe. Seine Hütte maß nur „vier Fuß im Quadrat“ – Hōjō. Ein Jō ist die Fläche einer Tatami. Der heute als ideal geltende Teeraum hat viereinhalb Jō : Yo-Jō-Han.
Kamo hatte ein frühes Vorbild für seine winzige Hütte. Der Kaufmann Vimalakirte, ein Zeitgenosse Buddhas, hatte sich eine solche Hütte in den Bergen errichtet und sich dorthin zur Meditation zurückgezogen. Nachdem er erwacht war, kehrte er zurück in sein Leben als Kaufmann. Damit war er ein Vorbild, denn er konnte als Erwachter mitten im tätigen Leben das Erwachtsein verwirklichen. Als er erkrankte, wollte Buddha einen Schüler zu ihm schicken, aber alle weigerten sich. Sie waren seiner nicht würdig, denn sie konnten das Erwachtsein nur in der Abgeschiedenheit leben.
Später errichteten sich die Teemenschen in Japan nach dem Vorbild von Kamo no Chomei mitten in der Hauptstadt ihre kleinen Teehütten, um sich dort zeitweise vom Getriebe der Welt zurückzuziehen und zum Erwachen zu kommen.
Kamo hatte seinen Teeraum nicht für die Ewigkeit gebaut. Es war nur eine notdürftig errichtete Hütte, die er jederzeit an einem anderen Ort wieder aufbauen konnte:
„Sollte mir hier etwas missfallen, so könnte ich ohne weiteres jederzeit umziehen. Was sollte es für eine Mühe sein, diese Hütte wieder aufzubauen? Es bedürfte nur zweier Karrenladungen, um das gesamte Häuschen zu transportieren, und außer des Entgelts für den Wagenführer entstünden keine weiteren Kosten.“
Wir haben oft das Gefühl, dass wir uns für die Ewigkeit einrichten und wir suchen Sicherheit und Dauerhaftigkeit. Ja, wir schließen sogar Lebensversicherungen ab, weil wir Beständigkeit suchen. Aber wer könnte das Leben versichern?
Wenn immer alles gleich bliebe, so würde sich doch sicher die Langeweile einstellen. Das Gewohnte wird zum Gewöhnlichen und wir sehnen uns nach frischem Leben und Er-leben.
Der Veränderung wohnt ja auch eine große Schönheit inne. In Japan gibt es das Wort vom ‚mono no aware‘, der Schönheit der Vergänglichkeit. Aware ist ein Ausruf, der sich recht gut ins Bayerische übertragen lässt: Ui – do schaug her! (Oder einfach nur: Ui!) Mono ist eine Sache, die den erstaunten Ruf ‚Aware‘ erzeugt. Der Dichter Basho schrieb einst ein Haiku:
Da – am Wegesrand / die Hibiskusblüte – /und schon hat sie mein Pferd gefressen.
In der Edozeit entstand der Begriff des Ukiyo – der fließenden Welt. Uki ist eine schwimmende Boje, ursprünglich eine Melone, die auf den Wellen eines Flusses tanzend davongetragen wird. Das zeigt zwar deutlich die Vergänglichkeit, aber der Anblick ist auch lustig. So stürzte man sich mit vollen Zügen in die fließende Welt und genoss das Leben, das ohnehin nur von kurzer Dauer ist. Die Freudenviertel der Edozeit, in denen man die ‚fließende Welt‘ feierte, lagen oft an kleinen Flüssen, die mit Kirschbäumen gesäumt waren. Besonders schön ist es dann, wenn zur Zeit der Kirschblüte jeder Windstoß und jeder Regenschauer die Blütenblätter wie einen Schneesturm durch die Luft wirbelt und wenn das fließende Wasser die Blütenblätter davonträgt.
Aber der Abschied vom Gewohnten fällt dennoch oft schwer. Kamo liebte seine flüchtige Hütte und deren Umgebung so sehr, dass er fürchtete, dass ihm diese Liebe ein Hindernis werden könnte:
Mein Leben neigt sich nun gleich dem Mond am Nachthimmel, nur wenig noch und er wird hinter dm Rand der Berge versinken. Schon bald werde ich mich anschicken, in die Finsternis der drei Wege einzutreten. … So gereicht es mir wohl zum Fehler, dass ich jetzt meine Hütte liebe. Und es mag für mich auch ein Hindernis für die Erleuchtung werden.
Auch Bashō liebte seine Hütte an der Bananenstaude (Bashō). Als er sich wieder einmal auf eine lange Wanderschaft begab, verließ er zusammen mit seinen Freunden die Hütte mit dem Boot. Im Ort Senju, das für seinen Fischmarkt berühmt war, ging er an Land und verabschiedete sich mit bitteren Tränen.
yuku haru ya Scheidender Frühling
Tori naki uo no Vögel klagen und Fische
me wa namida vergiessen Tränen.
Eigentlich weiß man bei diesem Haiku nicht so recht, ob man ebenfalls vor Trauer weinen oder über die witzige Vorstellung von weinenden Fischen Tränen vor Lachen vergießen soll.
So ist es oft. Das Alte geht und erfüllt uns mit Wehmut, aber das Neue wartet schon und erfüllt uns mit freudiger und gespannter Erwartung.
Auch hier im Myoshinan sind wir in einer Zeit des Abschieds und des Wandels. Im Juni / Juli werden wir mit dem Teehaus umziehen in die Rhön in den kleinen Ort Waldfenster mitten im Bädereck zwischen Bad Kissingen, Bad Brückenau und Bad Bocklet, im Biosphärenreservat Rhön. In einem alten Forsthaus wird dort zusammen mit Carola Catoni ein neues Zentrum entstehen mit zwei Teeräumen. Einem kleinen wie bisher und einem formalen viereinhalb Matten Raum. Später wird dann auch noch im Garten ein eigenes Teehaus gebaut werden. Außerdem gibt es dort noch einen eigenen Raum für Meditationen. Carola wird sich um Menschen mit Burnout kümmern und Meditationen anleiten. Im Haus werden wir auch Übernachtungsmöglichkeiten für Gäste haben. Man kann dann in den Teeräumen mit Schlafsack oder auf Futon übernachten. Aber es wird auch ein eigenes Gästezimmer geben.
Mein Schüler Michael wird in den Schnackenhof nach Röthenbach an der Pegnitz ziehen. Dort wird er einen Teeraum bauen, der auch für Menschen aus Nürnberg und Umgebung gut erreichbar ist. Auch dort gibt es ein Gästezimmer. Ich werde dann in regelmäßigen Abständen am Schnackenhof sein und den Teeweg, Zen – Shakuhachi und Philosophie unterrichten. Als Erstes wird es wohl einen Arbeitskreis über Hölderlin geben. Selbstverständlich wird auch Reinhard Knodt, der den Schnackenhof als Begegnunszentrum aufgebaut hat, dort weiter regelmäßig seine Veranstaltungen halten. Damit wird der Schnackenhof seiner Aufgabe als Vermittler zwischen Ost und West gerecht.
Mascha Kaléko fasst das so zusammen:
„Nichts ist
– sagt der Weise.
Du lässt es erstehen.
Es wird mit dem Wind
Deines Atems verwehen
Unmerklich und leise.
Nichts ist. Sagt der Weise.“
Sagt wer? Der Weise also, soso. Ist das nicht schon eine Weile her? Ob er das wohl heute noch genauso sagen würde? Nichts ist?
Also alles ist nicht? Also Weisheit auch nicht? Doch, die schon? Also doch nicht alles nicht?
Womöglich ist der Satz gar nicht von ihm. Oder er ist gar nicht so weise, wie man denkt. Obwohl… So ganz leugnen läßt sich das ja nicht. Genauso gilt aber doch das Gegenteil: „Es gibt nichts Neues unter der Sonne“, zum Beispiel – hat ja auch mal jemand gesagt. Oder ist das nicht das Gegenteil? Sieht nach derselben Medaille aus, nur von zwei Seiten betrachtet. Lässt sich nur schlecht in ein und demselben Satz ausdrücken. Hat er bestimmt gewusst, der Weise, und nur die eine Seite beschrieben, während er die andere mitgedacht hat. Und hat dabei vorausgesetzt, seine Zuhörer tun das auch. Tun sie aber nicht, die nehmen einfach die Hälfte der Weisheit für die ganze.
Heraklit ist präziser: „In dieselben Flüsse steigen wir und steigen wir nicht, wir sind und wir sind nicht.“ Da ist beides drin, die eine wie auch die andere Seite, aber das versteht dann wieder keiner. Man sagt: „Klar, scheinbar steigen wir in dieselben Flüsse, aber stets fließt dort anderes Wasser. Die Beständigkeit ist nichts als eine Illusion.“ Dabei steht da ganz genauso: „Scheinbar steigen wir in anderes Wasser, aber stets sind wir derselbe. Wir glauben nur, dass sich alles ändert.“
Interessant jedenfalls, dieser Punkt in der letzten Zeile bei Mascha Kaléko. Könnte auf leisen Zweifel deuten ☺️