Besuch im Daitokuji

Es war ein warmer Oktobertag und wir hatten gerade das Teehaus Taian von Sen no Rikyū besichtigt.

Rikyūs Teehaus Taian 待庵 ist eines der ältesten und berühmtesten Teehäuser in Japan, bekannt für seinen radikalen, minimalistischen Stil des wabi, der Schlichtheit, der die Philosophie des Teemeisters Sen no Rikyū verkörpert. Es wurde wohl um 1586 errichtet und ist das älteste erhaltene Teehaus im Stil von Rikyū, das noch originalgetreu erhalten ist. Das Taian steht im Myōki-An-Tempel in der Nähe von Kyōto und wurde 1951 als Nationalschatz Japans anerkannt. Dieses Teehaus selbst kann nicht besucht werden, aber im Zuiho-In, einem Subtempel des Daitokuji in Kyōto wurde zur Feier des vierhundertsten Todestages von Sen no Rikyū eine Kopie errichtet. Auch diese Kopie ist nicht allgemein zugänglich, aber mit einer Sondergenehmigung kann dieses Teehaus besichtigt werden.

Taian: Blick auf die Deckenvertäfelung

Der winzige Raum mit einer Grundfläche von nur zwei Tatami – den Binsengrasmatten, mit denen traditionelle Räume in Japan ausgelegt sind – ist in ein geheimnisvolles Dunkel getaucht. Er hat gerade einmal eine Grundfläche von etwas mehr als drei Quadratmetern. Die Lehmwände waren mit dem Saft der Kakifrucht gestrichen, der schnell fermentiert und die Wände in einem tiefen und warmen Schwarz färbt. Die Ecken des Raumes und der Schmucknische, der Tokonoma, sind rund geputzt, sodass man in dem dunklen Raum kaum Grenzen sehen kann. So wirkt der winzige Raum nicht eng und bedrückend, sondern unendlich weit wie der schwarze Nachthimmel. Auf den Papierfenstern tanzen komplexe Schattenmustern der Bambusgitter, aus denen die Wände geflochten sind. An den Fensteröffnungen ist einfach der Putz weggelassen. So kann das Licht hindurch schimmern, aber dennoch bleibt der Raum in sich geschlossen. Aber trotz der Konzentration auf den Innenraum bleibt die Außenwelt nicht ausgesperrt. Sie kommt in der Weise des stillen Lichtes durch die Papierfenster hinein. Auch die Geräusche wie Wind und Regen oder das Krächzen der Krähen betonen noch die Stille im Inneren. So entsteht keinen Augenblick das Gefühl der Enge. Vielmehr weitet sich der winzige Raum in stiller Unendlichkeit. Nimmt man darin Platz, so spürt man sofort die gesammelte Konzentration und Stille, die der Raum ausstrahlt.

Rikyū hatte das Teehaus wohl für Toyotomi Hideyoshi, den militärischen Herrscher Japans errichtet. Rikyū, der die Teezeremonie und ihre Ästhetik radikal verändert hatte, wollte mit dem Taian eine Oase der Stille schaffen, einen Ort, an dem man zur Ruhe und zum inneren Frieden kommen kann. Das Teehaus war nicht nur ein Raum für Tee, sondern auch ein Rückzugsort aus der Hektik der Kriegszeiten, der den Respekt vor der Natur und die Vergänglichkeit aller Dinge feiern sollte.

Der Zuiho-In 水芳院 Tempel, auf dessen Grund die Kopie des Taian steht, ist ebenfalls ein Ort der besonderen Begegnung. Er wurde von dem Daimyo Ōtomo Sōrin 大友 宗麟, 1530–1587 aus dem südlichen Kyushū gegründet, der als einer der ersten Japaner zum Christentum übertrat. Als Christ nahm er den Namen Don Francisco an. Er war einer der ersten japanischen Herrscher, die sich für die neuen Ideen aus dem Westen öffneten und intensiven Handel und Austausch mit den spanischen Missionaren widmeten. 

Der Name des Tempels Suihō-in 水芳院 bedeutet etwa ‚Halle des duftenden Wassers‘. War damit das geweihte Wasser gemeint, mit dem der Daimyo getauft wurde? Auf jedenfalls hat es mit einer spirituellen Reinigung zu tun.
Die frühe Begegnung Japans mit dem Westen und dem Christentum endete unglücklich mit der Abschließung Japans von der Außenwelt. Die Spanier hatten zuerst Missionare geschickt, um dann Japan militärisch zu erobern und zu einer Kolonie zu machen. Es ist auch die Frage, ob Ōtomo Sōrin aus Überzeugung zum Christentum übertrat oder weil er als Christ Schießpulver und Musketen von den Spaniern bekam. 

g zum Zuihoin

Die Spanier erklärten auch, dass es im alten Europa Sitte ist, dass die gesamte Bevölkerung derselben Religion wie der Herrscher folgen muss. So sollten auch alle Untergebenen Don Francisco auf der südlichen Halbinsel Kyūshu zum Christentum konvertieren. Als Hideyoshi von diesen Vorgängen hörte, wollte er dem keinen Glauben schenken. Aber schließlich gab er ein Dekret heraus, dass jeder nach seiner eignen Überzeugung einer Religion angehören kann. Jede Religion, gleichgültig ob christlich oder buddhistisch, die von sich behauptete, im alleinigen Besitz der Wahrheit zu sein, sollte verboten werden. Ōtomo Sōrin wurde schließlich in seiner Heimat Kyūshū entmachtet und zog nach Kyōto, wo er sich zunächst auch dem Christentum verpflichtet fühlte.

Später wurde das Christentum in Japan verboten. Offenbar wurde in dieser Zeit eine Muttergottes Statue im Garten des Suiho-In Tempels vergraben. Bei der Neugestaltung des Gartens wurde sie aufgefunden und schließlich wieder an derselben Stelle vergraben.

Der Hauptgarten vor der Abthalle des Tempels wurde erst 1961 von Shigemori Mirei gestaltet. Er verband die traditionelle japanische Gartenkunst der trockenen Landschaften mit modernen Elementen. Sein Garten heißt Dokusa-Tei 独坐庭, etwa ‚allein – sitzen – Garten‘ nach dem Zenspruch dokusa daiju ho 独坐大呪峰 ‚allein sitzen auf dem Gipfel des Daiju_Berges‘. Der Daiju-Berg ist ein mythischer Berg im Zentrum der Welt. Mitten in den wogenden Wellen der Brandung steigt das Gebirge auf bis zum Gipfel des Daiju. Hier herrscht die Stille und Ruhe dessen, der zu seinem inneren Frieden gefunden hat und einfach nur allein und in Stille sitzt. 

Shigemori hat diesen Aufstieg auf den Gipfel des Daiju aus den schlagenden Wellen der Brandung mit traditionellen Mitteln gestaltet. Aber die dramatischen Wellen sind seine moderne Interpretation des Trockengartens. Zugleich sind die Felsen, die sich aufsteigend bis zum Gipfel erheben, so gesetzt, dass sich ein liegendes Kreuz ergibt, eine geheime Botschaft, dass der Gründer des Tempels ein Christ war. Hier im Garten treffen die traditionelle Gartengestaltung mit der modernen Kunst, der Zen-Buddhismus und das Christentum zusammen. 

Zugang zum Izusen

Nach dem Besuch des Suiho-In waren wir auf dem Weg in das Tempelrestaurant 泉仙 Izusen. Der Name bedeutet etwas ‚Quelle oder Brunnen der Unsterblichen‘, vielleicht übertragen ‚Quelle der Unsterblichkeit‘. Die Sen 仙 sind im chinesischen Daoismus die Menschen, die sich als Einsiedler in die Berge zurückzogen und durch ihre Übungen die Unsterblichkeit erlangten. Im Izusen gibt es die traditionelle Küche der Zenmönche aus rein veganen Produkten wie Pflanzen, Gemüsen, Tofu und Saitan, nicht nur für Einsiedler, sondern auch für Besucher des Tempels. In vielen kleinen Schüsseln werden die unterschiedlichsten Köstlichkeiten in einer wunderbaren Ästhetik serviert. Die Farben, die sechs Geschmäcker und die verschiedensten Texturen sprechen alle Sinne an. So wird man nicht nur körperlich satt. Auch alle sechs Sinne einschließlich des sechsten Sinnes, des Wissens werden gut genährt und satt. So wird der Hunger gestillt, der nach Buddhas Lehre die Quelle des Leidens ist.

Auf dem Weg zum Izusen meldete sich plötzlich ein alter Bekannter von der Urasenke Teeschule auf dem Handy. Er war gerade in Kyōto und würde morgen schon wieder unterwegs sein. Wir könnten uns im Daitokuji am Sanmon treffen. Das Sanmon 三門 Sanmon, wörtlich das Drei-Tor diente nur für den Tennō oder den Shōgun als Eingangstor zum Tempel. Alle anderen Besucher oder Bewohner des Tempels gehen außen am Tor vorbei. 

Die Tempel, die zum politisch durch das Shōgunat geförderten System der ‚fünf Berge‘ gehörten, haben alle ein Bergtor, ein San-Mon 山門. Wörtlich bedeutet 山 san „Berg“ und 門 mon „Tor“, also „Bergtor“. Aber der Daitokuji gehörte nicht zu diesen Tempeln des Gosan-Systems. Dort befasste man sich weniger mit Politik als mit der geistigen Entwicklung. Im Laufe der Zeit wurde der Daitokuji ein wichtiger Tempel für die Entwicklung des Teeweges. Damit er auch ein Sanmon hätte, stiftete Rikyū für das Haupttor zwei kleine Seitengebäude, die lediglich den steilen Treppenaufgang in das Obergeschoss schützen. Damit hatte der Tempel auch ein San-Mon, ein Drei-Tor, denn Berg und drei werden gleich ausgesprochen als San. Die drei Durchgänge des Tores haben die symbolische Bedeutung, dass man drei geistige Hindernisse durchschreiten muss, um zum vollkommenen Erwachen zu gelangen. Diese drei Hindernisse sind Gier 貪欲, Tonyoku, der Hass oder Zorn 瞋恚, Shin’i und Guchi 愚痴, etwa Nörgelei, Klagen, Ignoranz Dummheit und die Unfähigkeit, richtig und falsch zu unterscheiden. 

Im Obergeschoß der Tore wurden heilige Figuren und Malereien aufbewahrt, so etwa Statuen Buddhas und seiner Schüler. Dieses Stockwerk durfte niemals betreten werden. Es war Buddha und den himmlischen Wesen vorbehalten. Unter ihnen gingen nur die Herrscher hindurch. An der Decke des oberen Stockwerkes waren oft himmlische Wesen dargestellt, die in einem vogelartigen Körper mit menschlichem Kopf am Himmel fliegen. Diese Karyōbinga 迦陵頻伽 aus der indischen Mythologie singen mit wunderbarer Stimme die Lehre Buddhas oder spielen himmlische Musikinstrumente. Es gibt aber sogar auch in dieser himmlischen Sphäre Neid und Missgunst. Eines der Karyōbinga hat zwei Köpfe, aber nur einen Körper. Diese beiden Köpfe hassen sich bis aufs Blut. Glücklicherweise ist immer nur einer der beiden Köpfe wach, während der andere schläft. Eines Tages nahm der wache Kopf Gift zu sich, um den Anderen zu vergiften. Zu spät merkte er, dass beide ja nur einen gemeinsamen Körper hatten! Wie oft ahmen wir Menschen diese zweiköpfige Karyobinga nach! Aber niemand streitet besser, als zwei, die übertragen, eigentlich im selben Körper leben. 

Die Mönche des Daitokuji waren Rikyū so dankbar, dass sie eine Statue von ihm aufstellten, obwohl Rikyū das nicht wollte. Aber es würde ohnehin niemals jemand erfahren. Aber eines Tages trug man Hideyoshi zu, dass er unter den Füßen seines Untergebenen hindurchgegangen war. Vielleicht hat seine Wut auch dazu beigetragen, dass er Seppuku für Rikyū anordnete. Nach Rikyūs Tod wurde die geköpfte Figur im Kamofluss gefunden. Angeblich soll Hideyoshi nachträglich bedauert haben, dass er seinen geistigen Lehrer und -Teemeister, der ihm immer so nahe gestanden hatte, zum Tode verurteilt hatte. 

Rikyū ist zwar gewaltsam gestorben, aber sein Geist ist heute noch an jeder Ecke der Tempelanlage und weltweit im japanischen Teeweg lebendig. 

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