Besuch in der Synagoge

Kürzlich haben wir die jüdische Synagoge in Ermreuth besucht. Ein prächtiger und schöner Bau in einem kleinen fränkischen Dorf.

Obwohl Ermreuth in der Fränkischen Schweiz, ganz in der Nachbarschaft des Myôshinan nur ein kleines Dorf ist, besitzt es dennoch eine prächtige jüdische Synagoge, die einzige erhaltene ländliche Synagoge Deutschlands. In Ermreuth bestand eine jüdische Gemeinde bis 1938, heute ist die Synagoge nur noch ein Museum und eine Gedenkstätte.

Schon früh waren Juden nach Ermreuth gekommen, weil ihnen die Ansiedlung n Nürnberg untersagt war.   Die Entstehung der jüdischen Gemeinde in Ermreuth geht in die Zeit des 16. Jahrhunderts zurück. Erstmals werden 1554 Juden am Ort genannt. Die ritterlichen Landsherren in Ermreuth nahmen jüdische Familien gegen Bezahlung von „Schutzgeldern“ auf. Bereits im 17. Jahrhundert lebten die jüdischen Familien vor allem vom Handel mit Vieh und Pferden.

Die Landherren von Ermreuth residierten im Ermreuther Schloß, dem zweiten großen Bau in diesem kleinen Dorf.  Nach dem ersten Weltkrieg hatte die Organisation „Der Stahlhelm“ im Schloss ihr Domizil. Auch der Führer dieser Organisation, Luden­dorff, hat das Schloss besucht. Im 3. Reich war im Schloss eine Kreisführerschule der NSDAP untergebracht. Dennoch lebten Juden und Christen einträchtig im Dorf zusammen. Im November 1938 wurde dennoch die Synagoge geschändet und das Gemeindemitglied Max Wassermann derart vom NSDAP Gauleiter misshandelt, dass er kurz darauf starb. 1939 gelang es einer jüdischen Ermreuther Familie nach USA zu fliehen. Sie wurden sogar von den Dorfbewohnern bis nach Nürnberg begleitet.  Alle anderen wurden deportiert und ermordet.

Im dritten Buch Mose (Leviticus 19) gibt es einen Text, der sehr beachtenswert ist:

Wenn ein Gastsasse bei dir in eurem Land gastet, plackt ihn nicht,
wie ein Spross von Euch sei der Gastsasse, der bei euch gastet,
halte lieb ihn, dir gleich,
denn Gastsassen wart ihr im Lande Ägypten.

Übersetzung: Martin Buber

Waren die Juden Gastsassen in unserem Land?

Einmal hatte ich ein Gespräch mit Waldemar, einem Juden, der aus Russland wieder nach Deutschland zurückgekommen ist.
Er sagte: „Ich bin Deutscher und heiße Waldemar.“ Seine jüdischen Brüder lachten: „Er heißt Vladimir und ist Russe!“ „Nein, ich bin in Deutschland geboren und bin Deutscher und heiße Waldemar. Man hat mich in Rußland Vladimir genannt, aber das ist nicht mein Name!“

Waldemar schilderte sein Leben:

„Ich bin in Deutschland geboren, dann kam Hitler. So bin ich nach Rußland geflohen. Aber dort mochte man keine Juden. Ich wurde nach Sibirien deportiert. Dann kam ich nach Tschernobil. Jetzt bin ich hier. Das war mein Leben!“
Zwei Jahre später war Wlademar tot. Krebs.

Waldemar wollte Deutsch lernen. Das setzte er mir in einem langen Gespräch auseinander. „Aber wir reden doch die ganze Zeit Deutsch miteinander!“ „Nein, das ist Jiddisch!“ Aber was ist Jiddisch? Ein mittelhochdeutscher Dialekt.

Die Juden in Deutschland waren keine Gäste, sie waren Deutsche. Sie dachten Deutsch, sie fühlten Deutsch und sie haben heldenhaft im 1. Weltkrieg als deutsche Soldaten gedient.  In Russland durften sie nicht Deutsch – nein Jiddisch – reden, sonst wären sie erschossen worden erklärte mit Waldemar – Vladimir.

Wenn sie Gäste gewesen wären, wären sie vielleicht besser behandelt worden.

In Ermreuth gab es nicht nur die Synagoge, sondern auch das Herrenhaus, das Ermreuther Schloß, das seine unrühmliche Geschichte aus dem dritten Reich nach dem Krieg fortsetzte.
Auf einer Ermreuther homepage heißt es, dass das Schloss an „eine Privatperson“ verkauft wurde.
Diese Privatperson war Karl-Heinz Hoffmann, der Leiter und Gründer der Wehrsportgruppe Hoffmann
Die Wehrsportgruppe Hoffmann nutzte das Schloß als Unterkunft.

Am 26. September, kurz nach dem Verbot der Wehrsportgruppe verübte ein Mitglied der Gruppe den Sprengstoffanschlag auf das Münchner Oktoberfest.  Am 19. Dezember 1980 wurde in Erlangen, nicht weit von Ermreuth der jüdische Verleger Shlomo Levin von einem Mitglied der Gruppe erschossen.
Heute demonstrieren Neonazis sehr zum Ärger der dortigen Bürger regelmäßig in der kleinen Stadt Gräfenberg, kaum 10 km von Ermreuth entfernt.
Im November 1989, 51 Jahre nach der Pogromnacht, gründeten der Landkreis Forchheim einen Zweckverband zur Sanierung und Erhaltung der Synagoge in Ermreuth. 1992 wurde mit der Restaurierung des Hauses begonnen. Am 19. Juni 1994 fand die feierliche Wiedereinweihung des Gotteshauses statt. Die Restaurierung wurde anhand von Befunduntersuchungen, Jugenderinnerungen jüdischer und Ermreuther Mitbürger, sowie einiger Archivalien so gut als möglich, getreu dem Original, vollzogen.

Bei unserem Besuch hat uns Rajaa Nadler geführt und die Geschichte der Synagoge nahe gebracht. Aber dann begann sie, den Thora-Schrein zu erläutern. Ich habe noch nie solch begeisterte Ausführungen über die kabbalistische Ausdeutung der Thora gehört, wie von Dr. Nadler. Mit großer Leidenschaft erklärte sie uns, wie die Thorarolle geschrieben und wie sie gelesen wird. Sie erklärte, dass die Reinigungen im jüdischen Glauben eine große Rolle spielen und dass es darum geht, das Wort der Schrift ins Leben umzusetzen.

Rajaa Nadler ist keine Jüdin, sie ist katholische Christin. Sie ist promovierte Orientalistin und stammt aus Syien.
Verheiratet ist sie mit einem fränkischen Protestanten. Aber sie ist in der Gemeinde Neunkirchen zuständig für die Synagoge und sie übt dieses Amt mit Leidenschaft aus.

Das ist gelebte Toleranz und Freiheit des Geistes!
Ich habe ihr geschrieben, dass mich Ihre Ausführungen sehr berührt haben.
Morgen kommt sie zu uns ins Teehaus. Dort werden wir im Zeichen des Geistes, der überall weht, der Offenheit und der Toleranz eine Schale Tee teilen.

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