Am Samstag werden wir wieder einmal ein Chaji – eine komplette Tee-Einladung – durchführen. Die Planung läuft nun schon seit vielen Wochen. Die Gäste sind geladen und haben zugesagt. Es wird wieder einmal recht „international“ zugehen. Besucher aus Damaskus – derzeit Frankfurt, Heidelberg und Gräfenberg werden als Gäste anwesend sein, der „Gastgeber“, also in diesem Fall der, der das Essen serviert, die Holzkohle legt und den Koicha und den Usucha zubereitet, kommt aus Würzburg und der arme Helfer, der aber immerhin in der Küche alles probieren darf, bin mal wieder ich. Lehrerschicksal!
Am Freitag müssen wir mit den Vorbereitungen beginnen, am Samstag heißt es dann früh aufstehen, dass mittags um 1 Uhr, wenn die Gäste kommen alles fertig ist. Der Gast aus Heidelberg hat sich inzwischen als Spezialist für japanische Süßigkeiten entwickelt. Mal sehen, was er sich ausgedacht und zubereitet hat. Sein Thema jedenfalls ist vorgegeben.
Als Thema des Chaji hat unser Gastgeber ein Gedicht von Hanshan ausgewählt und mir dazu einen wunderschönen Brief – nein, heute schreibt man emails – geschickt:
als ich gestern Nacht bei verglimmender Kohle saß, von einem träumerisch feinen Neriko Duft umhüllt, ein Nachklingen des Koicha auf dem Gaumen, kreisten meine Gedanken um das offene Feld von drei Gedichten von Hanshan und Saigyo.
Grüner Wildbach- Klar der Quelle Wasser
Kalter Berg- Weiß des Mondes Hof
Schweigende Erkenntnis, der Geist von selbst erleuchtet
Die Leere schauend, geht Wahn in Stille überTightly held by rocks
through winter, the ice today
begins to come undone.
a way-seeker also is the water, melting, murmuring from the mossOn a snowfall
Under the pines,
a color like the sky
when snow falls,
the rest of the mountain trail
one swath of white cloth
Schöne Gedichte und ein wundervollers Thema für ein Winterchaji! So meditierend bereitet man sich wahrlich ehrfürchtig auf ein Chaji vor! Nun steht die Planung für das Essen an. Unser Gastgeber hatte die strikte Vorgabe gemacht, ein astrein vegetarisches Essen zu servieren. Na, wird schon gehen.
Das Essen ist nach strengen Regeln aufgebaut. Es gibt Reis, Misosuppe ung Mukozuke, gesäuerte Sachen wie sauer eingelegtes Gemüse. Der Höhepunkt ist der Nimonowan, die Schale mit in Flüssigkeit Gekochtem. Das ist keine Suppe, sondern Gekochtes, das in einer heißen Brühe serviert wird, damit es länger heiß bliebt (- also doch eine Suppe).
Beim Nimonowan zeigt der Gastgeber sein ganzes Können und seine Phantasie bei der Dekoration und Anordnung der Speisen in der Schale. Vielleicht ist sogar die Anordnung und Auswahl der Speisen ganz poetisch. Aber das Problem ist ja, dass in der japanischen Küche die Suppengrundlage ein Dashi ist und das wird mit Flocken von getrocknetem Blaufisch bereitet. Geht also nicht! Unser Gastgeber hat darum vorgschlagen, eine Bohnensuppe mit Thymian zu machen!
Ich esse für mein Leben gern Bohnensuppe. Bohnensuppe wärmt schön im Winter und macht richtig satt. Wenn ich beim Griechen bin, bestelle ich mir immer eine Bohnensuppe, weil die Griechen rechte Meister der Bohnensuppe sind. Aber ein Kaiseki soll nicht nur den Bauch füllen, sondern in sechsfachem Sinne satt machen. Satt heißt aber nicht, dass nur der Bauch gefüllt ist. Laut Buddha gibt es einen sechsfachen Hunger (oder wie es genauer heißt Durst). Den Durst zu riechen, zu schmecken, zu fühlen, zu hören und zu sehen. Der sechste Durst ist der Durst zu wissen.
Alle diese Arten des Hungers oder Durstes sollten bei einem Chaji befriedigt werden. Tut das Bohnensuppe? Ich weiß nicht.
Ein Essen sollte die fünf Farben (blau oder grün, rot oder orange, gelb oder braun, weiß oder silber-gold, schwarz oder dunkelblau), die fünf Geschmäcker (sauer, bitter, süß, scharf, salzig), und die fünf Gerüche haben. In Japan kennt man noch einen weiteren Geschmack, das umami. Umami ist ein runder weicher Geschmack, der wie eine Perle am Gaumen liegt. Typischerweise hat eine gute Suppe aus Dashi diesen Umami.
Bohnensuppe kann sicherlich, wenn sie gut gemacht ist ein schönes Umami haben und sehr delikat sein, entspricht sie aber den anderen Geschmäckern, Farben, Gerüchen und Formen? Natürlich muss nicht jeder Bestandteil eines gut komponierten Essens alle Arten des sechsfachen Hungers stillen, das tut dann eben das Essen in seiner Gesamtheit. Dazu sollte sich aber kein Bestandteil zu sehr in den Vordergrund spielen. Damit erschlägt er dann alle anderen.
Heute war ich in unserem China – Japanladen in Erlangen. Dort haben mich einige Sachen angelacht.
Da lagen z.B. frische gekochte Bambussprossen. Ui, die schauen aus wie ein kalter Berg! Weißlich und spitz windet sich ein Kegel mit vielen kleinen Stufen nach oben, man muss nur die Wurzel umdrehen und als Berg drapieren, schon haben wir einen kalten Berg. Grünes Wasser? Da lag frischer Wasserspinat aus Thailand. Da kann man doch ein paar Streifen schneiden, kurz blanchieren und schon kann man ihn wie fließendes grünes Wasser über den kalten Berg legen. Fehlt noch der Mond mit Hof. Da kochen wir eine Scheibe Lotoswurzel in Wasser weich. Die sieht dann aus wie ein Mond mit seinen Mondflecken. Darüber kommt ein von der Größe passender in Würzflüssigkeit gekochter Shiitake Pilz, der den „Mond“ teilweise verdeckt. Schließlich haben wir keinen Vollmond mehr. Die Pinien kriegen wir, wenn wir von Zuchini vorsichtig ein Stück Schale abschneiden und wie Pinien – oder Kiefernnadel einschneiden. Das Ganze wird in einer delikat abgeschmeckten Gemüsebrühe, die ein gutes Umami haben sollte in einer schwarzen Lackschale serviert. Die Lackschale sieht aus wie der Nachthimmel, an dem dann unser Gedicht wie ein Bild erscheint. Nun können die Gäste fröhlich assoziieren und damit nicht nur das Sehen, das Tasten, das Schmecken und Riechen befriedigen, sondern auch den Durst zu wissen.
Schaun wir mal, ob sie die Anspielungen verstehen werden.
Wenn nicht, so haben sie eine delikate Suppe mit Gemüse Einlagen gegessen.
Die Bohnen kommen dann auch noch zu ihrer Ehre. Im Chinaladen gab es Edamame, eine besondere Sorte Sojabohnen in der Schote, die Japaner unheimlich gern zum Sake essen. Den Abschluß eines Kaiseki bildet ohnehin ein Gericht Namens Hassun. Hassun sind acht Sun, ein Grundmass der japanischen Architektur. Die Tatami, auf denen wir sitzen sind aus Reisstroh gewebt. Der Abstand der Kettfäden beträgt ein Me, zwei Me sind 1 Sun, 1 sun sind also 16 Me. Genau diese Größe im Quadrat hat das Tablett, auf dem dieses Gericht serviert wird – eine typische Untertreibung wie sie im Zen üblich sind. Auf dem Hassun liegen Umimono – Sachen aus dem Meer und Yamamono, Sachen vom Berg. Meer und Berge, das ist die gesamte Landschaft Japans. Wir sollen daran erinnert werden, dass Meer und Berg bzw. Land unsere Nahrung hervorbringen.
Als Umimono werden wir einen Salat aus Seetang servieren, als Yamamono eben unsere Edamame. Das passt hervorragend, denn zum Hassun wird immer Sake serviert. Macht nichts, wenn dann die Gäste und der Gastgeber etwas Sake trinken – im Anschluß an das Essen wird es so ernst, wenn der Gastgeber in völliger Stille und vollem Ernst den Koicha serviert. Der Sake vorher bricht dann doch ein wenig das allzu Strenge.
Ich bin schon gespannt, wie dieses Kaiseki bei den Gästen ankommen wird.