Der Marathonmönch von Kyōto

Gestern Abend lief in 3-sat wieder einmal der Film von Ingolf Bauer über den Marathonmönch von Kyōto, der inzwischen schon eine Berühmtheit geworden ist.

Der Marathonmönch aus 3-sat
Der Marathonmönch aus dem Film in 3-sat

Der Film hat wieder einige Erinnerungen und viele Gedanken wachgerufen. Im letzten Frühjahr hatten wir das Glück, dem Mönche auf seinem Weg durch Kyōto zu begegnen. Wir waren früh morgens auf dem Weg zum Daihachi-Jinja, dem Schrein, an dem der berühmte Schwertmeister Musashi seinen entscheidenden Kamp gegen die gegnerische Schwertschule ausgefochten hat. Die stillen Gassen in der ländlichen Vorstadt im Nordosten Kyōtos, die direkt unter den Hängen des Hieei-Berges liegen, wurden plötzlich von einer eilig dahinziehenden Gruppe weiß gekleideter Menschen bevölkert. Männer mit flachen, tellerartigen Hüten eilten der Gruppe voraus und riefen den Weg frei, obwohl noch niemand sonst unterwegs war. Dann kam der junge Mönche mit seiner merkwürdigen Kopfbedeckung, die aus dünnen Streifen des Hinoki, der japanischen Zeder geflochten sind. Mit einer unglaublichen Geschwindigkeit zog die Gruppe vorbei und es war zu sehen, dass die ebenfalls weiß gekleideten Begleiter des Mönches diese Geschwindigkeit nicht lange durchhalten würden. Sie werden bald von Anderen abgelöst,die schon darauf warten, wenigstens ein kleines Stück gemeinsam mit dem Mönch durch Kyōto zu laufen. Das ist dann ein Ereignis, auf das sie sich schon lange vorbereitet haben und das ein wenig Licht in den Alltag bringen wird.

Der Mönch Hoshino Endo, der Marathonmönch lebt allein in einem Haus auf dem Hieie-Berg, wo ihm sein Kloster ein Haus zur Verfügung gestellt hat, damit er seine religiösen Übungen als Gyogia nachgehen kann. Dazu muß er in sieben Jahren eine Gesamtstrecke von mehr als 38000 Kilometer zurück gelegt haben. Jede Nacht läuft er dreißig Kilometer – am Ende seiner Übungen werden es 84 Kilometer in jeder Nacht sein – auf einer vorbestimmten Strecke oben auf dem Berg und verrichtet an bestimmten Stellen seine Gebete. Dabei führt er genau festgelegte Handbewegungen – Mudras –  aus, die Sanskrit-Buchstaben darstellen. Seine Gebete und Rezitationen der Sutren  verrichtet er mit unglaublicher Geschwindigkeit.  Er sagt von sich selbst, dass er vermutlich der schnellste Beter Japans ist. Er muss auch so schnell seine Rezitationen durchführen, sonst schafft er sein allnächtliches Programm nicht. Hoshino Endo hat ein Gelübde abgelegt, dass er während all der Jahre seiner Übung den Berg Hiei niemals verlassen darf, nur einmal im Jahr muss er bestimmte Tempel und Schreine in Kyōto besuchen und genau an diesem Tag sind wir ihm begegnet.

Normalerweise ist er bei seinen nächtlichen Wanderungen, Übungen und Gebeten allein auf dem weiten, von dichten Zedernwäldern bedeckten Gipfel des Hiei-San, aber wenn er in die Stadt kommt, berührt er die Menschen, die ihm begegnen mit seiner Mala, der Gebetskette, kurz auf dem Kopf oder dem Rücken, um ihnen ein wenig von seiner Kraft und Energie weiterzugeben. Diese Kraft is um so erstaunlicher, als Hoshino Endo auf den Hiei-San kam, weil er unter furchtbarem Asthma litt und ihm sein Arzt einen Aufenthalt dort in der reinen Luft des Berges empfohlen hatte. Ihm gefiel es dort oben so gut, dass er als Mönch blieb. Seine Gesundheit ist derartig stark geworden, dass er sich dieser schwierigen asketischen Übung unterziehen kann.

Dabei ist die Hingabe an die Übung von tödlicher Absolutheit. Er trägt stets eine Schnur bei sich, mit der er sich selbst erdrosseln wird, wenn er auch nur eine Nacht mit seinen Übungen aussetzen würde. Keine Möglichkeit zu sagen, ich probier das mal eben so aus. Wenn es nicht klappt, kann ich noch immer wieder aufhören. Viele von uns probieren mal so eben einen der Übungswege. Kann man ja wieder aufhören, wenn es mir nicht gefällt. Und dann gehe ich zu diesem Meister, dann zu jenem. Irgendwann wird die Erleuchtung schon von ganz allein kommen. Wenn sich dagegen ein Mönche des Tendai-Ordens zu der Übung des Gyogia entschließt und er die Erlaubnis von seinen Tempeloberen dafür erhält, gibt es kein Ausprobieren und kein zurück mehr. Nur mit dieser im wörtlichen Sinn tödlichen Entschlossenheit hält man eine solche Übung durch, die verlangt, dass man bei Regen und Schnee, Krankheit oder Verletzung Nacht für Nacht seinen Weg durch den dunklen Bergwald zurücklegt.
Wenn es uns doch gelingen könnte, nur ein klein wenig von dieser Entschlossenheit auf den Übungen unseres Weges mitzubringen!

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