Im Kapitel, das „Höchste Freude“ überschrieben ist, setzt sich Meister Zhuang immer wieder mit dem Tod auseinander, manchmal in der für ihn typischen, sehr respektlosen Weise.
So fragt er sich auch, ob es sich geziemt, über den Tod eines nahestenden Menschen zu trauern.
Meister Zhuangs Ehefrau war gestorben. Als Meister Hui zu ihm kam um zu kondolieren, traf er Meister Zhuang an, wie er sich mit ausgestreckten Beinen auf dem Boden räkelte, auf einer Schüssel den Takt schlug und dazu sang.
„Sie lebte mit Euch zusammen“ sagte Meister Hui, „zog Eure Kinder groß, wurde alt und starb. Es ist schon genug, dass Ihr nicht um sie weint, aber ist es nicht ein bißchen viel, dass ihr auch noch auf einer Schüssel trommelt und singt?“
Schon schockierend und ein ungeheuerliches Fehl-Benehmen. Aber warum trauern wir, wenn ein nahestehender Mensch gestorben ist? Trauern wir um ihn oder weil wir nun allein sind? Es sind viele Erinnerungen, die uns verbinden, mit denen wir nun allein zurück bleiben. In vielen alten Kulturen gab es die Vorstellung, dass wir die Toten mit unserer Trauer festhalten und sie nicht ziehen lassen.Aber wer sagt denn, dass Meister Zhuang nicht trauert?
Als sie erst gestorben und ich allein war, wie hätte ich da anders als jeder andere Mensch nicht traurig sein können?
Zhuang hatte natürlich wie jeder andere auch getrauert. Aber er ist eben nicht wie jeder andere, er ist MEISTER Zhuang. Und darum läst er sich aus der Trauer:
Aber dann besann ich mich auf ihren Ursprung und machte mit klar, dass sie im Grunde ungeboren war. Nicht nur, dass sie im Grunde ungeboren war, im Grunde hatte sie keine Form. Nicht nur hatte sie keine Form, im Grunde besaß sie keinen Lebensatem.
In der Mischung des Vagen und Verschwommenen kam es zu einer Transformation und plötzlich war da Lebensatem; der Lebensatem wurde transformiert und plötzlich war da Geburt.
Nun ist eine weitere Transformation hinzu gekommen, und sie ist tot.
Das ist wie die Abfolge der vier Jahreszeiten – vom Frühling zum Herbst, vom Winter zum Sommer. Da schläft sie nun selig in einer gewaltigen Kammer.
Der Ursprung von allem ist das „Vage und Verschwommene“. „Plötzlich“, ohne erkennbaren Grund entsteht Lebensatem, Form und schließlich Geburt. Genauso plötzlich und letzlich unverständlich schwindet Lebensatem und Form und alles keht in den Ursprung der Formlosigkeit zurück. Das ist genau so gesetzmäßig wir die Abfolge der Jahreszeiten.
Aber muss Zhuang dann noch ausgerechnet singen und den Rhythmus schlagen? Er selber antwortet in seinem Text:
„Würde ich sie verfolgen mit Weinen und Wehklagen, so dachte ich mir, dann hieße das, die Bestimmung nicht verstehen – also ließ ich es sein.“
Die Trauer hat ihre Zeit. Aber wenn die Zeit vorüber ist, so wäre es ein Festhalten der Toten. Aber vielleicht ist ja der Gesang Zhuangs Methode, die Trauer zu überwinden? Wir Lebenden müssen wieder zum Leben zurückkehren, wenn die Zeit der Trauer vorüber ist.