Japan – Land der untergehenden Atomkraft?

Tagelang hat mich das Entsetzen über die Geschehnisse in Japan förmlich gelähmt.
Erst das schon seit langem befürchtete Erdbeben, dann der Tsunami, und dann die Katastrophen in einem Atommeiler nach dem anderen. Eine solche Häufung von Katastrophen ist wohl einmalig auf der Welt, und keine andere Nation würde so etwas mit einer derartigen Gelassenheit – jedenfalls von Außen gesehen – hinnehmen, wie die Japaner.
Ich liebe dieses Land und seine Menschen, und fühle mich der alten Kultur zutiefst verbunden. Deshalb mein ganzes Mitgefühl für die Katastrophe und die Menschen, die ohne äußere Anzeichen des Entsetzens ihrer Arbeit nachgehen, jeder an seinem Platz: die Verkäuferin im Supermarkt, der Salaryman im Büro und Geschäft, die Regierungsbeamten, die Helfer in den verwüsteten Gebieten und die Techniker in den Atomkraftwerken.

Aber ich habe niemals die Zuversicht der Japaner verstanden, mit der sie an die technische Beherrschbarkeit der Atomkraft geglaubt haben.

Schon in den 60-ger Jahren habe ich mit meinem Teelehrer über die AKW in Japan gestritten, ich als Physiker, der in der Atomforschung gearbeitet hat, er als japanischer Bürger.

„Was sollen wir tun? Wir haben keinerlei Bodenschätze und Energiequellen!“

Genau dieses Argument hört man in diesen Tagen aus dem Mund des Ministerpräsidenten und anderer Japaner immer wieder.
Aber Japan ist nun einmal das vielleicht am meisten gefährdete Land der Welt: Erdbeben, Vulkane, Tsunami, Taifun. Jedes Jahr wieder sieht man die Japaner, wie sie im Fernsehen gebannt den Verlauf des Taifun verfolgen, der immer wieder schwere Verwüstungen in den Küstenregionen anrichtet. In Kyoto freilich bemerkt man den Taifun meisten nur, weil es ausgiebig und stark regnet. Aber die meisten AKW liegen nun mal wegen der einfachen Kühlung mit Meerwasser direkt an der Küste. Stolz hat man mir einmal erklärt, dass im warmen Abwasser der AKW die Abalonen, die Japaner so gern essen, besonders groß und besonders schmackhaft sind. Ja, es gab sogar eine Art von Tourismus hin zu der Zuchtanlage der Abalonen am AKW.

Aber was heißt: keine Energiequelle?
Japan ist ringum vom Meer umgeben. Warum baut man keine Gezeitenkraftwerke? Japans Städte sind voller Hochhäuser. Warum nutzt man nicht die Thermik, die ohnehin ständig um die Hochhäuser entsteht, für Windernergie? Japan hat einen starken Vulkanismus und eine Fülle von heißen Quellen: warum nutzt man nicht die Bodenwärme? Japan ist ein südliches Land: Kyoto liegt auf der Höhe von Neapel. Die Sonne ist stark, das ganze Jahr über. Warum nutzt man nicht die Solarenergie? Wenn man diese und andere Energiereserven nutzen würde, wäre Japan vermutlich eines der Länder mit den meisten erneuerbaren Energiereserven.

Aber die Atomkraft, die man in Amerika gekauft hat, war bequemer. Man musste nicht nachdenken und Amerika war ohnehin das große Vorbild, dem man nachgestrebt hat.
Und das ist noch eine Eigenschaft der Japaner: es dauert ungeheur lange, bis man eine Entscheidung getroffen hat. Aber dann hießt es nur noch „Augen zu und durch!“ Niemand wagt es noch, einer einmal getroffenen Entscheidung entgegenzutreten, um neu nachzudenken. Fast könnte man mit Nietzsche sagen: alle sind gleich, und wer anders denkt, geht freiwillig ins Irrenhaus.

Japan ist kreativ. Vielleicht eines der kreativsten Länder der Erde. Aber die Kreativität ist am stärksten, wenn man Dinge, die man von Anderen gelernt hat, bis zur Perfektion weiter treibt. Noch vor gar nicht allzu langer Zeit waren Japaner entsetzt, als sie feurige Wagen auf eisernen Strassen fahren sahen. Ein japanischer Studienkollege, der jetzt Professor in Japan ist, hat mir einmal erzählt, dass sein Großvater beim Versuch, westliche Kanonen nachzubauen ums Leben gekommen ist, weil es das Kanonenrohr zerrissen hat. Aber in der Meji-Restauration seit 1886 sind ungehere schöpferische Krafte frei gesetzt worden und man wollte den Westen mit allen Mitteln überholen.
Es ist ungeheur kreativ, wenn man Techniken entwickelt, die jeden noch so schnellen Shinkansen bei den kleinsten Anzeichen eines Erdbebens sofort automatisch zum Stehen bringt. Es ist kreativ, wenn man die Gebäude so bauen kann, dass sie sogar diesem starken Beben, dem wohl stärksten Beben in der neueren Geschichte Japans ohne größere Schäden stand halten. Ein deutscher Siemens Ingenieur hat mir einmal stolz von den neuesten Entwicklungen von Anzeigetafeln im ICE erzählt. Neu? In Japan ein absoluter „alter Hut“. Die Beispiele kann man beliebig fortsetzen bis hin zum Ausbau des mobilen Internets über Handy, das ja wohl in den Katastrophengebieten meistens die einzige Informationsquelle ist.

Bitte: wenn die ganze Katastrophe, deren Ausmaß heute überhaupt noch nicht abzusehen ist, überstanden ist, dann entwickelt die alternativen Energien wie Wind, Erdwärme, Gezeiten, Sonne und und .. in japanischer Weise weiter bis zur Perfektion. Dann wird Japan wieder einmal ein Vorbild für die ganze Welt!

Ich liebe Euer Land und Eure Kultur und möchte so bald als möglich wieder in meine zweite Heimat reisen!
Darum wünsche ich Japan alle Kraft, die nötig ist, diese Katastrophe zu überstehen und das Land wieder aufzubauen.

P.S.:
Inzwischen gibt es ein Forum über die Atomkraft nach Japan. Bitte mit-denken und mit-diskutieren!
Forum: Atomenergie nach Japan

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