In der Zeitschrift Effilee ist 2011 ein Beitrag über den Teeweg in Deutschland erschienen.
Der gesamte Artikel ist hier online zu finden.
Der Originalartikel als PDF hier.
Der Ausschnitt über das Myoshinan hier:
In Igensdorf bei Nürnberg, einem beschaulichen Dörfchen am Rande der Fränkischen Schweiz und der Fränkischen Alb, hat sich Gerhardt Staufenbiel eine Tee-Oase geschaffen. Seit sechs Jahren wohnt er in einem kleinen Haus am Hang über dem Dorf. Durch ein japanisches Holztor gelangt der Gast in einen japanischen Teegarten, den Staufenbiel selbst angelegt hat. Es gibt Blumen, Gräser und Sträucher, die zum Chado passen, einen japanischen Brunnen und ein Wasserbecken, an dem Gastgeber und Gäste sich vor dem Teetreffen Hände und Mund waschen. Staufenbiel hat sogar ein traditionelles Wartehäuschen für die Gäste gebaut, einen schlichten, ärmlich wirkenden Unterstand mit Bank. Halb unter einem Strauch verdeckt sitzt eine kleine, steinerne Buddha-Figur, auf der Terrasse läutet leise ein furin, eine japanische Windglocke.
Vom Garten reicht der Blick weit über die hügelige Landschaft, bis nach Nürnberg und Erlangen. »Im Winter, wenn aus den Tälern der Nebel aufsteigt, sieht die Landschaft aus wie auf einem japanischen Tuschebild«, sagt Staufenbiel. Er ist ein kleiner, vollschlanker Mann, der fast so heiter in sich zu ruhen scheint wie die Buddha-Figur unter dem Busch. Er trägt einen samue, die Arbeitskleidung eines Zen-Mönchs, bestehend aus blauer Jacke und Hose, deren Schnitt ein wenig an einen Karate-Anzug erinnert. Die japanische Kleidung wirkt an dem Deutschen vollkommen natürlich. Auch bei Besorgungen unten im Dorf trägt er sie, die Bewohner von Igensdorf haben sich längst daran gewöhnt.
Studiert hat Staufenbiel Physik, Philosophie und Altphilologie. Weil er in der europäischen Philosophie nicht die Antworten fand, die er suchte, wandte er sich nach Ostasien. Als 1972 zur Olympiade in München ein Teehaus eröffnet wurde, gestiftet von der japanischen Teeschule Urasenke, besuchte er dort eine Teevorführung und war auf Anhieb fasziniert. Er nahm Unterricht und wurde schließlich selbst Teelehrer und Präsident des Münchner Teehauses.
Seit sechs Jahren ist er pensioniert, nun widmet er sich ganz dem Tee, gibt Unterricht in Nürnberg und Igensdorf und organisiert verschiedene Veranstaltungen, die nicht nur den Tee betreffen. Er gibt japanische Kochkurse, philosophische Seminare und hat ein Buch mit Nacherzählungen japanischer Märchen und Göttersagen geschrieben. »Weil ich die Märchen gerne den Menschen meiner Umgebung näherbringen wollte, haben wir hier in unserer Dorfgastwirtschaft einen Abend veranstaltet, an dem sie auf Fränkisch vorgelesen wurden. Ich war mir nicht sicher, ob das funktioniert, aber als die Leute die Märchen in ihrer Mundart hörten, haben sie tatsächlich ganz gespannt zugehört, obwohl manches doch sehr fremd ist.« Staufenbiel schmunzelt. »Zum Beispiel, wie der Donnergott einer Bäuerin beim Waschen unter die Röcke schaut und dann aus den Wolken in den Dorfbrunnen fällt. Obwohl er ein Gott ist, wird er sehr ironisch dargestellt.«
Trenner
überall in Staufenbiels Haus finden sich japanische Gegenstände: blaue Stoffabtrenner in der Küche, japanisches Teegeschirr, Rollbilder mit Kalligrafie und Tuschzeichnungen. Ein Bereich des Hauses ist ganz klassisch japanisch eingerichtet, dort hat Staufenbiel aus Holz, Bambus und Tatamimatten alles selbst gebaut.
Im ersten, größeren Raum stehen zwei Teegestelle mit antikem Teegeschirr. Von einem Regalbrett lächelt eine kleine Buddha-Figur herunter. »Das ist ein Buddha der Zukunft. Er steht für den Buddha, der in jedem von uns steckt, denn wir alle haben die Anlagen, ein Buddha zu werden. Die Statue ist nicht ganz so alt, wie sie aussieht«, fügt er grinsend hinzu. »Als ich sie gekauft habe, glänzte sie mir zu neu. Also habe ich mit dem Bunsenbrenner nachgeholfen, damit sie eine Patina bekommt.«
Obwohl sich überall in seinem Haus buddhistische Gegenstände finden, bezeichnet sich Staufenbiel nicht als Buddhist. »Ich habe keine Konfession. Ich bin weder Buddhist noch Christ, ich bin einfach ich.« Auf einem Rollbild in einer Nische steht in japanischen Kanji-Schriftzeichen kissako: »›Komm, trink Tee und geh.‹ Das ist ein Grundprinzip des Chado. Jeder ist willkommen, die Tür des Teehauses steht immer offen, egal, wer anklopft«, erklärt Staufenbiel.
Der eigentliche Teeraum ist ein kleines, niedriges Zimmer, das nur zwei Tatamimatten und ein Holzbrett misst. Staufenbiel beginnt den Tee unterricht ganz anders als Sasaki-Stange. Er zeigt mir, wie ich richtig sitze, und erklärt, dass sämtliche Bewegungen bei der Teebereitung, ähnlich wie beim Qi Gong oder Taiji, nicht grundlos einer vorgegebenen Form entsprechen, sondern bei korrekter Ausführung eine gesundheitsfördernde Wirkung haben. »Sitzt man zum Beispiel im Fersensitz, mit geradem Rücken, das Becken ein wenig nach vorne geschoben, und führt die richtige Atemtechnik aus, wird das Ilio-Sakralgelenk gedehnt. Das beugt Rückenproblemen vor.«
Staufenbiel hinterfragt den Chado und sucht Erklärungen für die jahrhundertealten Praktiken. Er forscht in alten japanischen Texten, um den Ursprüngen der Zeremonie, der Herkunft der Teemeister und den Traditionslinien auf den Grund zu gehen, die nach Korea und China zurückführen. Gemeinsam mit einem amerikanischen Freund hat er eine Form der Teebereitung rekonstruiert, die älter ist als das in der Nachfolge Sen no Rikyus festgehaltene Ritual.
Er lehrt die Teebereitung im Stil der Urasenke-Schule, in der er selbst gelernt hat, hat sich aber in letzter Zeit etwas von der Schule zurückgezogen. »Wenn meine Schüler es wollen, prüfe ich sie und vergebe Diplome. Aber die Diplome sind nicht das Wesentliche beim Chado, auch nicht, wie viele verschiedene Zeremonie-Varianten man beherrscht. Das Wesentliche kann man auch bei der einfachsten Form der Teezeremonie spüren.«
So oft wie möglich reist er nach Japan. Allerdings sieht er die Art und Weise, wie dort der Chado unterrichtet wird, kritisch. »Es sind fast nur ältere Frauen, die den Chado praktizieren. Ich habe den Eindruck, dass sie sich manchmal nur zur Teezeremonie treffen, um gesellig zu plaudern, den Kimono anzuziehen oder ihre Freundinnen mit einer bestimmten Zeremonieform zu beeindrucken. Die jungen Japaner dagegen haben kaum noch Interesse am Chado, weil die Lehre so starr ist. Da wird nichts hinterfragt, es werden einfach nur Bewegungen ausgeführt. Außerdem ist das Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler in Japan, wie in Ostasien generell, sehr speziell. Die Autorität des Lehreres wird nicht in Frage gestellt – das mögen viele nicht. Viele wenden sich von den alten Künsten ab. Ich habe sogar mal jemanden getroffen, der sagte, um Zen-Buddhismus zu lernen, solle man in die USA gehen, nicht nach Japan.«
Staufenbiel schätzt nicht nur den spirituellen Inhalt des Chado, sondern auch den Tee selbst. »Ich trinke Matcha nicht nur während der Teezeremonie, sondern den ganzen Tag. Ich weiß, das ist Luxus, aber ich liebe diesen Tee.«
Am Abend bereitet eine Schülerin Staufenbiels für uns eine Schale Tee. Draußen ist es bereits dunkel, im kleinen Teeraum spenden nur eine japanische Laterne und eine Kerze Licht. Mit sicheren, fließenden Bewegungen vollführt die Gastgeberin die notwendigen Handgriffe. Alles ist still, nur das Rauschen des Teekessels, das Plätschern des Wassers und die sanften Geräusche, die zur Teebereitung gehören, sind zu hören. Die Schale Matcha, die die Gastgeberin schließlich vor mich hinstellt, empfinde ich als Geschenk, und auf einmal ist die Verbeugung, mit der ich reagiere, bevor ich die Schale aufnehme, kein starres Ritual mehr, sondern ein Ausdruck der Dankbarkeit. Die Ruhe, das gemeinsame Schauen, Horchen, Spüren und der milde und gleichzeitig herbe Geschmack des Matcha lassen mich ganz in der Gegenwart weilen.