Langsam langsam, kleine Schnecke

 

Katatsumuri
sorosoro nobore
fuji no yama
Kleines Schnecklein du 

besteige ihn ganz langsam,

den Fuji-Berg!

Gestern beim Waldspaziergang ist uns eine kleine Schnecke über den Weg gelaufen.
Sofort mußte ich an das berühmte Haiku von Issa Kobayashi (1763 – 1827) denken.
Ich hatte einmal eine japanische Seidenweste geschenkt bekommen, in der im Innenfutter das Gedicht Issas geschrieben war:
Katatsumuri – sorosoro nobore – fuji no Yama.
Auf diese Weise ist mir dieses Haiku förmlich „ans Herz gewachsen“.

Issa – Ein Tee – wurde auf dem Land in einer armen Bauernfamilie geboren, ging aber nach Edo, der Hauptstadt, wo er ein Haiku – Dichter werden wollte. Wegen seiner Armut und seiner bäuerlichen Herkunft hatte er einen sehr schweren Lebensweg, aber er ließ niemals sein Ziel, ein bekannter und anerkannter Haiku – Dichter zu werden aus dem Auge. Trotz aller Widrigkeiten ging er unbeirrt seinen Weg, bis er dann in seiner Heimat Kashiwabara eine Haiku – Schule gründete, die zahlreiche Haiku Gesellschaften ins Leben rief.
Die kleine Schnecke – Katatsumuri – geht langsam aber beständig – sorosoro – hinauf auf den Berg. Auch wenn der Weg am Anfang unüberwindlich scheint und das Ziel in unendlicher Ferne liegt – vielleicht sogar nur eine Illusion ist. Der Fuji San ist der heilige Berg Japans. Viele Menschen versuchen, auf seinen Gipfel zu wallfahrten, aber es ist eine ungeheure Mühe und Anstrengung, nach oben zu kommen um der Gottheit, die auf dem Gipfel wohnt nahe zu sein.

Aber vielleicht meinte Issa ja gar nicht den heiligen Berg Japans.
Im Ortsteil Asakusa in Edo (Tokio) liegt ein niedriger Erdhügel mit einem Shinto Schrein auf dem Gipfel. Dieser Hügel wird Scherzhaft der Fuji San genannt.

Für die kleine Schnecke ist es ziemlich gleichgültig, ob sie den echten oder den lediglich so genannten Fuji San besteigen will. Beide Ziele scheinen nahezu unerreichbar. Das Wesentliche ihres Weges ist, dass sie unentwegt und unverzagt unterwegs ist.
Martin Heidegger hat einmal an einen Studenten geschrieben: „Bleiben sie stets beirrt, aber immer unentwegt!“

Nehmen wir uns ein Beispiel an der kleinen Schnecke: gehen wir, wenn auch langsam aber immer unentwegt hinauf! Irgendwann werden wir auch auf dem Gipfel des Fuji angekommen sein.

Sorosoro – langsam, langsam.

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4 Antworten zu Langsam langsam, kleine Schnecke

  1. Danke für den wundervollen Beitrag und das schöne Haiku.
    So etwas im Netz zu finden ist eine wirkliche Freude. Diese Dinge bringen mich in meiner Kunst immer weiter, ich bin Malerin und die Schnecke ist seit einem Jahr der Inhalt meiner Gedanken für die Malerei.
    Nie hätte ich gedacht, welche Philosophie in den von uns so verachteten Gastropoden steckt und wie viele Völker und Menschen doch anders darüber denken.
    Herzlichen Dank dafür Gerhardt Staufenbiel,
    Brigitte Jäckel
    http://www.brigitte-jaeckel-kunst.de

  2. Hildegard Römer sagt:

    Ganz viel Freude und Dankbarkeit für dieses wunderschöne Haiku. Ich hätte nicht gedacht als ich „Haiku mit Schnecke „eingegeben hatte, dass ich so etwas Schönes finden würde. Mein Lieblingsbuch „DasGeräusch einer Schnecke beim Essen“ von Elisabeth Tova Bailey hat mich auf die Idee und zum Malen gebracht. Vielen Dank !

  3. Yusuya F sagt:

    Fehler im Text: „Katastumuri“ sorosoro nobore fuji no yama
    Richtig: -Katatsumuri- sorosoro nobore fuji no yama.

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