Montag den 20. August
Die ganze Nacht über ist starker Regen gefallen. Das Geräusch des Regens draußen vor dem Fenster, das Plätschern des Regens im Kies und das Rauschen der Bäume klingt immer noch nach.
Langsam wird es hell. Die ganze Landschaft ist in dichten Regenschwaden verhüllt. Allmählich hört es auf zu regnen aber die Nebelschwaden verhüllen die Hügel und Wälder, so dass sich draußen vor dem Fenster das Bild einer chinesischen Tuschemalerei erstreckt. Geheimnisvoll Grau in Grau verhüllt sich das Land und zeigt sein Geheimnis.
Die ganze Welt scheint verborgen und weit weg.
Die Stille wird verstärkt vom Rieseln des Ruisilibaches – des Rieselbaches, der heute Rüsselbach genannt wird.
Gestern noch waren Freunde und Gäste hier im Dōjo und wir haben aufregende Stunden beim Brennen der Teeschalen gehabt, die in den letzten Tagen und Wochen hier im Seminar entstanden sind. Die Gasflamme des Brennofens hat den ganzen Tag gerauscht und immer wieder war es aufregend, wenn der Ofen geöffnet wurde. Wie oft aber hat es bald nach dem Anzünden des Brenners ein dumpfes Puff gemacht und wieder war eine Teeschale, die zu nervös und hektisch geformt worden war zerrissen. An den Scherben konnten wir dann die eingebauten Luftlöcher bewundern, die zur Explosion der Schale geführt hatten. Umso größer war dann die Freude, wenn eine Schale ganz geblieben war.
Nun ist wieder die Stille eingekehrt.
Heute, am Mittwoch war die Stille besonders dicht und intensiv.
Wir wanderten durch den Garten und bewunderten die Früchte des Landes, die langsam der Reife entgegengehen. Alles ist in diesem Jahr so viel früher als sonst. Der Walnussbaum trägt reiche Früchte, die Holunderstäuche neigen sich in der Last ihrer reifen Beeren und der Quittenbaum muss fast vor der Last der Früchte gestützt werden. Die Quitten sind noch nicht reif, aber sie leuchten immer gelber aus dem Laub hervor. Der Wein leuchtet golden aus dem Laub und er schmeckt wunderbar süß.
Am Ende des Gartens steht eine Gruppe von drei mächtigen Kiefern einträchtig beieinander und ihre Äste bilden ein weites Dach, unter dem man sicher und geborgen stehen kann. Die Bäume strahlen ihre Kraft und Ruhe aus und ganz viele Waldspitzmäuse haben ihre Gänge unter den Wurzeln gebaut. Fühlen sie sich hier besonders behütet und beschützt?
Vor dem Abend – Tee sitzen wir noch auf der Terrasse und genießen die Stille. Der Ruisilibach singt sein Lied und macht die Stille laut hörbar. Diese Stille inmitten der Wälder und Hügel ist ein so kostbares und seltenes Gut geworden. Man muss nicht in der Strenge des Zen – Dōjo sitzen und die Beine verschränken, um zu meditieren und zur Ruhe zu kommen. Das Hören der Stille in diese verhaltenen Landschaft ist die schönste Meditation.
Das Licht wird langsam golden – rot und die gesamte Landschaft glüht im Abendlicht
Rings tönen die Wälder und Hügel nach vom Abendlied, das der entzückende Sonnenjüngling auf seiner Leier spielte.
Der Nachklang in der still verglühenden Landschaft stimmt in den Gesang der Stille mit ein.
Nachher wird der Gesang des Teekessels im Teeraum dieses Lied wieder aufnehmen.
Sonnenuntergang
Wo bist du? Trunken dämmert die Seele mir
Von all deiner Wonne; denn eben ists,
Dass ich gelauscht, wie, goldener Töne
Voll, der entzückende Götterjüngling
Sein Abendlied auf himmlischer Leier spielt‘;
Es tönen rings die Wälder und Hügel nach,
Doch fern ist er zu frommen Völkern,
Die ihn noch ehren, hinweggegangen.
Friedrich Hölderlin
Und ich erkannte, daß sie die Stille nötig hatten.
Denn nur in der Stille kann die Wahrheit eines jeden Früchte ansetzen und Wurzeln schlagen.
Antoine de Saint-Exupery
Wer kann soviel Stille aufbringen,
wie nötig wäre,
um das Undurchsichtige zu klären.
Wer vermag Stille so auszuhalten,
daß sie Lebendiges austrägt.
Wer ist im Stand,
das Trübe durch Stille zu klären.
Immer, wenn Stille gesagt wird,
besteht die Gefahr, daß Beharren
und Stillstand gemeint wird.
Das darf nicht sein.
Stille ist nichts, wenn nicht das Weiter-Eilen darinnen ist.
Erhart Kästner
„Und das Werden versteh‘, und wenn die reißende Zeit mir
Zu gewaltig das Haupt ergreift und die Not und das Irrsal
Unter Streblichen mir mein sterblich Leben erschüttert,
Laß der Stille mich dann in deiner Tiefe gedenken.“
Friedrich Hölderlin
aus der Archipelagus