Vor vielen Jahren habe ich einmal einen Film über den Eiheiji gesehen, den Tempel, den Zenmeister Dôgen im Jahr 1242 eingeweiht hat.
Im Fim wurde das Winter – Sesshin die lange Übungsperiode der Mönche gezeigt. Meterhoch lag der Schnee um den Tempel und es schien bitterkalt zu sein. Einmal habe ich den Tempel mit einer Reisegruppe besucht. Es war Ende April als wir ankamen. Es regnete die ganze Nacht und es war bitterkalt und nass. Früh morgends waren wir im Hondo, der Haupthalle und durften bei den Morgenzeremonien teilnehmen. Das war für viele unserer Teilnehmer duchaus nicht nur eine Freude, weil es bittelkalt war. Die Teilnehmerin neben mir konte sich überhaupt nicht konzentrieren, weil sie derart leut mit den Zähnen klapperte, dass es schon fast die Zeremonien störte. Als wir am nächsten Teg abreisten, begann es wieder zu schneien und das war der 1. Mai.
Im Film wird ein junger Mönch gezeigt, der verzweifelt seinen Meister fragt:
„Seit ich hier bin im Eiheiji, liegt Schnee. Wann ist denn einmal die Zeit, wo kein Schnee liegt?“
Eine verständliche Frage eines jungen Mönches, der in den Strapazen des Sesshin noch die ungewohnte Kälte ertragen muss. Für die meisten Japaner, die auf der Seite des offenen Meeres entlang der Küste leben, ist derart viel Schnee und eine solche Kälte völlig ungewohnt. Aber der Rôshi saß völlig ungerührt auf seinem Sitzkissen. Seine Antwort war ganz klassisch:
Wenn Schnee liegt, liegt Schnee. Wenn kein Schnee liegt, liegt kein Schnee!“
Langsam fühle ich mich wie der junge Mönch. Wir hatten hier auch ein „Sesshin“, eine intensive Übungswoche im Tee. Als die Gäste kamen, war immer noch tiefer Winter. In den Pausen wurde fleißig das Eis auf den Wegen weggehackt, weil man kaum noch zum Tor gehen konnte. Aber dann kam – endlich – die Sonne und die Wärme und der Schnee verschwand so schnell, dass man zuschauen konnte. Es ist ja auch schon März, der Monat, in dem der Bauer die Rösslein einspannt.
Und dann kam sie wieder, die große Kälte und der Schnee. Temperaturen um 10 Grad unter Null und Massen von Neuschnee. Und das im März. Langsam stellt sich mir auch die Frage: Wann ist denn die Zeit, wenn kein Schnee liegt?
Am Samstag hat eine der Dorfbewohnerinnen einen Diavortrag über die letzten 50 Jahre Rüsselbach gehalten. Immerhin feiert Rüsselbach, das kleine Dorf in diesem Jahr sein tausendjähriges Bestehen. Sie hat Bilder aus dem Jahr 1963 gezeigt, das lag der Schnee noch viel höher als in diesem Winter. Die Schneewände entlang der Staße waren höher als drei Meter. Im Frühjahr standen all die Bäume mit abgefressenen Baumkronen, weil die Rehe kein anderes Futter gefunden hatten als die Baumwipfel, die gerade noch aus dem Schnee heraus schauten.
Ganz so viel Schnee gab es in diesem Jahr nicht. Aber ist das ein Trost? Wir möchten die ersten Frühlingsblumen sehen und die Vögel zwischern hören. Und was ist? Schnee! Und Kälte!
Sehnsuchtsvoll erwarte ich schon die Reise nach Japan, die ja schon bald starten wird. Wenn wir Glück haben, werden wir wieder die Kischblüte in ihrer vollen Pracht erleben und die warme Sonne Japans genießen.
Aber ist das die richtige Haltung? Sollen wir nicht ganz im Augenblick leben?
Ein Zenspruch für den Tee lautet ja:
KI SA KO: Trink Tee – Geh!
Wenn wir Tee trinken, sollen wir das mit voller Konzentration auf den Augenblick tun, unablelenkt von anderen Gedanken.
Ganz und gar Tee Trinken. Sonst nichts.
Und wenn es vorbei ist ist es vorbei.
Dann gehen wir, ohne noch in Gedanken an der Schönheit des vergangenen Augenblickes fest zu hängen.
Gut also: wenn Schnee liegt, liegt Schnee, wenn kein Schnee liegt, liegt kein Schnee.
Und jetzt liegt Schnee.
Ist es nicht schön, aus dem Fenster zu schauen und die Winterlandschaft zu sehen?
Schau, wie sich die Vögel am Futterhäuschen tummeln.
Und wie sich die eiskalte, aber helle Frühlingssonne im frostig glänzenden Schnee spiegelt.
Das ganze Schneeland glänzt und glitzert hell.
Und Nachts kommt der schwarze Kater aus der Nachbarschaft zu Besuch, um sich kurz aufzuwärmen.
Es ist schön zu sehen, wie er die Wärme drinnen genießt.