Dao De Jing Nr 1.7Die Beiden. NICHT und SEIN
Das nächste Schriftzeichen im Text 者 zhe (japan. sha) kann eine Person bezeichnen. Die japanische Gei-Sha - 芸者 - ist eine Person der Kunst. I-Sha - 医者 - ist eine Medizin-Person, ein Arzt. So könnte man vermuten, dass diese beiden SHA so etwas wie Personen sind. NICHT und SEIN als Person? Eigentlich meint SHA keine Person. Die Vorstellung einer Person ist in Ostasien unbekannt. Sha ist lediglich ein grammatisches Hilfswort, das eine Definition oder Bestimmung abschließt. Es macht etwas zum Subjekt des Satzes. Im Satz ist also die Rede von den BEIDEN. Beide - SEIN und NICHT erscheinen gemeinsam. Es ist nicht so, dass zuerst das NICHT erscheint um dann aus sich das SEIN hervorzubringen. Beide sind wie die beiden Seiten einer Münze untrennbar miteinander verbunden. Sie "kommen hervor" - 出 chu. Das Zeichen zeigt in der Siegelschrift noch deutlich einen Keimling, der hervor sprießt und sich langsam entfaltet. Die Bedeutung ist Ausgang, keimen, hinaus, aus -, hinausgehen, heraus, herauskommen, hervor, hervortreten, erscheinen. Das NICHT erscheint, tritt heraus! Woraus? Der Ursprung beider ist hier nicht eigens genannt. Es ist das schlechthin Namenlose, dessen Name - "Dao" ist. Der Weise Mensch behält Beide im Blick. Er kann hin- und her wandeln zwischen dem Anblick der einen und dem der anderen Seite. Einer der das besonders gut kann, ist der Schamane. Das Schriftzeichen für Wu - NICHT 無 zeigte ursprünglich Tänzer in der Gruppe oder eine tanzende Frau mit Bändern in der Hand. Der Tanz ist die Methode der Schamanen, in China und Korea meistens Frauen, sich in Trance zu bringen und die "andere Seite" zu schauen. Die Schamanin kann hin- und her wandern zwischen diesen beiden Welten. Sie kann die Verstrickungen des Alltags, die oft auch zu Krankheiten führen nur deshalb erkennen und lösen, weil sie auch die andere Seite, das Geheimnis sehen kann. Aber man muss nicht Schamane sein, um beide Seiten sehen zu können. Es genügt der Blick auf ganz Alltägliches, auf die Dinge. Im Daodejing Nr 11 heißt es in der Übersetzung von Geldsetzer:
Dreißig Speichen vereinigen sich im Rad. Paßt ihr Nichts, dann ist das Sein des Rades zu gebrauchen. Wand und Boden, woraus der Krug besteht und wodurch er steht, sind nicht das eigentlich Fassende. Wenn dies aber in der Leere des Kruges beruht, dann verfertigt der Töpfer, der auf der Drehscheibe Wand und Boden bildet, nicht eigentlich den Krug. Er gestaltet nur den Ton. Nein - er gestaltet die Leere. Für sie, in sie und aus ihr bildet er den Ton ins Gebild. Der Töpfer fasst zuerst und stets das Unfassliche der Leere und stellt sie als das Fassende in der Gestalt des Gefäßes her. Die Leere des Kruges bestimmt jeden Griff des Herstellens. Das Dinghafte des Dinges beruht keineswegs im Stoff, daraus er besteht, sondern in der Leere, die faßt. Heidegger wendet den alltäglichen Blick des abendländischen Menschen weg vom starren Blicken nur auf das Seiende hin zur Leere. Beinahe aber verliert er die seiende Außenseite des Kruges aus dem Blick, so sehr schaut er nur noch auf die Leere. Der Krug kann aber nur Krug sein im Zusammenspiel von Leere und Außenseite. Beide zusammen bilden erst die Wirklichkeit. Wird der Blick nur noch auf eine Seite fixiert, so entsteht der enge und starre Blick, der uns alles andere vergessen macht und eng werden läßt.
Ein typisches Beispiel für den engen Blick, der nur auf die unmittelbar vor den Augen liegenden Grenzen starrt, ist der Frosch, von dem Zhuangzi immer wieder erzählt. In dem berühmten Kapitel über die Herbstfluten spricht Gongsun Long mit dem Prinzen Mou, der ihn als Weiser belehrt. Long hat die Wege der frühen Könige, und die "Denker der hundert Schulen studiert und sie im Streitgespräch widerlegt und er kann Hart und Weich, und Gleichheit und Verschiedenheit unterscheiden. Und 'ich hielt mich für im höchsten Maß für vollendet'. Aber dennoch erschrickt er, wenn er die Worte von Zhuang vernimmt.
Habt ihr nicht von jenem Frosch in dem verfallenen Brunnenloch gehört? 'Hier ist wirklich gut sein' sagte er zu einer Schildkröte vom (unendlich grenzenlosen) Ostmeer. Leere und Erscheinung - Hannya Shin gyouIm Hannya Shin gyo, dem Herzsutra, einem der wichtigsten Texte des Buddhismus wird die Zusammengehörigkeit von Leere und Erscheinung zum zentralen Thema. In der Fassung, die wohl auf den indischen Denker Nagarjuna zurückgeht, heißt es dass der Boddhisattva Avalokiteshvara erkennt, dass alle fünf Seinsweisen LEERE sind. Aber was ist diese Leere?Geradezu beschwörend die Formel rezitiert, die SEIN und NICHT miteinander verbindet.
Ku 空 ist die Leere des heiteren Himmels. Der wolkenlose klare Himmel in seiner unendlichewn Weite ist Ku. Kein einzelnes Ding erscheint in dieser offenen Weite. Man könnte sagen, dass die Leere des Himmels eine Farbe hat: sie ist blau. Der fast beschwörende Text des Hannya Shingyo ist sehr archaisch gebaut und weist eine absolute Symmetrie auf. In zwei verschiedenen Wendungen wird wiederholt, das die Farbe nicht verschieden von der Leere und die Leere nicht verschieden von der Farbe ist und dass die Farbe genau die Leere und die Leere genau die Farbe ist. Im klassischen Griechenland finden sich ganz ähnlich Wendungen in den Fragmenten des Heraklit. Sie sind antithetisch angeordnet die die Friese in den alten Tempeln. eine solche Wendung ist ein Chiasmos, sie sehen aus wie das griechische Chi: Χ. Eine platte und damit schon falsche Deutung sagt: alles ist LEER (Nichtig). Damit verkennt man aber die umgekehrte Wendung: die LEERE ist FARBE! Nur beide Seiten zusammen ergeben das Ganze. Es ist nicht so, dass der Weise erkennt, dass ALLES LEER ist, er erkennt auch dass alle LEERE nicht verschieden ist von der FARBE, den Erscheinungen.
weiter | zurück | Übersicht | home |