RAINER MARIA RILKE

ERLEBNIS II

Späterhin meinte er, sich gewisser Momente zu erinnern, in denen die Kraft dieses einen schon, wie im Samen, enthalten war.
Er gedachte der Stunden in jenem anderen südlichen Garten (Capri), da ein Vogelruf draußen und in seinem Inneren übereinstimmend da war, indem er sich gewissermaßen an der Grenze des Körpers nicht brach, beides zu einem ununterbrochenen Raum zusammennahm, in welchem, geheimnisvoll geschützt, nur eine einzige Stelle reinsten, tiefsten Bewußtseins blieb.

Damals schloß er die Augen, um in einer so großmütigen Erfahrung durch den Kontur seines Leibes nicht beirrt zusein, und es ging das Unendliche von allen Seiten so vetraulich in ihn über, daß er glauben durfte, das leichte Aufruhn der inzwischen eingetretenen Sterne in seiner Brust zu fühlen.

Auch fiel ihm wieder ein, wie viel er darauf gab, in ähnlicher Haltung an einen Zaun gelehnt, des gestirnten Himmels durch das milde Gezweig eines Ölbaumes hindurch gewahr zu werden, wie gesichthaft in dieser Maske der Weltraum ihm gegenüber war, oder wie, wenn er ein Solches lang genug ertrug, Alles in der klaren Lösung seines Herzens so vollkommen aufging, das der Geschmack der Schöpfung in seinem Wesen war.

Er hielt es für möglich, daß, bis in seine dumpfe Kindheit zurück, solche Hingegebenheiten sich würden bedenken lassen; mußte er doch nur an die Leidenschaft erinnert werden, die ihn immer schon ergriff, wo es galt, sich dem Sturm auszusetzen, wie er, auf großen Ebenene schreitend, im Innersten erregt, die fortwährend vor ihm erneuerte Windwand durchbrach, oder vorn auf einem Schiff stehend, blindlings sich durch die dichte Ferne hinreißen ließ, die sich fester hinter ihm schlossen.
Aber wenn, von Anfang an, das elementarische Hinstürzen der Luft, des Wassers reines und vielfältiges Benehmen und was Heroisches im Vorgang der Wolken war, ihn über die Maßen ergriff, ja ihm, der es im Menschlichen nie zu fassen vermochte, recht eigentlich als Schicksal an die Seele trat, so konnte ihm nicht entgehen, daß er nun, seit den letzten Einflüssen, solchen Beziehungen gleichsam endgültig übergeben sei.

Etwas sanft Trennendes unterhielt zwischen ihm und den Menschen einen reinen, fast scheinenden Zwischenraum, durch den sich wohl Einzelnes hinüberreichen ließ, der aber jedes Verhältnis in sich aufsaugte und, überfüllt davon, wie ein trüber Rauch Gestalt von Gestalt betrog.
Noch wußte er nicht, wie weit den Anderen seine Abgeschiedenheit zum Eindruck kam. Was ihm selbst anging, so verlieh erst sie ihm eine gewisse Freiheit gegen die Menschen - der kleine Anfang von Anmut, um den er leichter war, gab ihn unter diesen aneinander Hoffenden und Besorgten, in Tod und Leben Gebundenen, eine eigene Beweglichkeit.

Noch war die Versuchung in ihm, ihrem beschwerten sein Leichtes entgegenzuhalten, obwohl er schon einsah, wie er sich darin täuschte, da sie ja nicht wissen konnten, daß er nicht (wie der Held) in allen ihren Bindungen, nicht in der schweren Luft ihres Herzen, zu seiner Art Überwindung gekommen war, sondern draußen, in einer menschlich so wenig eingerichteten Geräumigkeit, daß sie sich nicht anders als "das Leere" nennen würden.

Alles, womit er sich an sie wenden durfte, war vielleicht seine Einfalt; es blieb ihn aufbewahrt, ihnen von der Freude zu reden, wo er sie zu sehr in den Gegenteilen des Glückes befangen fand, auch wohl ihnen einzelnes aus seinem Umgang mit der Natur mitzuteilen, Dinge, die sie versäumt oder nur nebenbei in Betracht nahmen.

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