DER TEEWEG IM DEZEMBER

Es ist noch nicht lange her, dass wir aus Japan zurückgekehrt sind. Dort hatten wir viele interessante Begegnungen und Gespräche, und wir haben immer wieder eine große Herzlichkeit erlebt. Ein paar Eindrücke von unserer Japanreise sind schon im Blog veröffentlicht, langsam werden es mehr und mehr werden.
Kaum sind wir aus Japan zurückgekehrt und versuchen unsere Reiseeindrücke zu ordnen, schon sind wir tief eingeschneit.
shirayuki no
tokoro ma wakazu
furishikeba

iwa ni mo saku
hana to koso mire
Weißer Schnee
fällt gleichmäßig
auf alles,

und so scheint es denn,
als ob Steine Blüten trieben.

(zur Interpretation des Gedichtes )

Sehr früh ist der Winter mit einer Menge von Schnee gekommen, und der Gartenpfad - der Rōji - des Myōshinan verwandelt sich in ein Yuki-Guni, ein Schneeland.
Der kleine Gartenteich, den wir im Sommer angelegt hatten, ist völlig unter dem Schnee verschwunden, nur noch die Steinlaterne schaut mit einer lustigen Haube von Schnee heraus, so dass man noch ahnen kann, wo sich der Teich versteckt.
winter Die Stille der Natur gibt uns wieder Zeit zur Besinnung, weil es hier oben, weit ab vom Getriebe der Großstadt, keine Hektik und keine Weihnachtsmärkte gibt.

In der Natur nimmt die grosse Stille immer mehr zu und das Licht wird immer weniger. Bald haben wir die längste Nacht des Jahres.
Man spürt mit allen Sinnen, wie das Alte Jahr zu Ende geht. Es ist wie ein Leben, das langsam immer schwächer wird. Manchmal macht es Angst, wenn man spürt, wie das Alte schwindet. Vielleicht versuchen wir, mit all der Hektik der Weihnachtsvorbereitungen diese Angst zu übertönen?
Im alten vedischen Indien begrüßte der Hausherr jeden Morgen die aufgehende Sonne mit einem Lobgesang auf Agni, dem Feuer. Agni ist nicht nur das physische Feuer, das Licht gibt, es ist auch das geistige Licht, ohne das keine vernünftige Rede geführt werden kann, die hell macht. So hoffte man, dass die Sonne nicht ihre Kraft verlieren und eines Tages nicht mehr wieder kehren würde.
Dann macht es auch Sinn, dass wir uns in der Dunkelheit versammeln und feiern.
In einem, uns allen (hoffentlich!) wohl bekannten Text heißt es:

   "Gott sprach: Licht werde! - Licht ward!"

Nach der Auffassung der jüdische Kabbala ist dies nicht ein Vorgang, der irgend wann einmal in grauer Vorzeit geschah. Vielmehr erleben wir jeden Morgen aufs Neue, wie das Licht gerufen wird um dann zu erscheinen. Wieviel mehr ist es in der dunklen Zeit von Nöten, dass wir das Kommen des Lichtes erwarten!

In einem alten chinesischen Text heißt es:

Wenn das Yin am stärksten ist, dann wächst das Yang
und mitten in der Mitternacht beginnt der Tag

In dem chinesischen Spruch liegt der Trost, dass im Ende bereits der Neuanfang geborgen liegt. Auch in unserem Kulturkreis feiern wir das neue Licht der Welt, das in der tiefsten Nacht geboren wird. So wird dann - unmittelbar nach den Weihnachtstagen - das Licht wieder stärker und nimmt merklich zu. Es wird zwar noch kalt bleiben, aber wir haben dann wieder die klaren, kalten Januartage. Ja, manchmal spürt man dann schon, wie es Frühling werden will. Man kann dann schon wieder in der Mittagssonne sitzen und die neue Kraft spüren. Bei uns im Garten treibt dann schon die Zaubernuss die ersten Blüten, die oft noch von Eis und Schnee bedeckt sind.

Aber noch sind wir in der Zeit des wachsenden Dunkels.

Eigentlich sollte ja die Zeit vor Weihnachten die "stille Zeit" sein. Ich weiss nicht, ob es das früher einmal war, aber heute beginnt der "Weihnachtsstress" ja fast schon im Oktober. Die Geschäfte sind angefüllt mit Waren, die man dringend haben muss, obwohl sie niemand braucht, und die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren, so als würden die Weihnachtstage mindestens einen Monat lang andauern.
Aber diese Hektik gib es nicht nur bei uns. In Japan hat zwar das Weihnachtsfest keine Tradition, dennoch findet man schon im Oktober Kaufhäuser mit Weihnachtsdekoration. So hat man das eben aus Amerika gelernt.

Aber diese Hektik gibt es in Japan schon seit alter Zeit. Ein anderer Name für den Dezember ist "Shiwasu" und das bedeutet eigentlich der "rennenden Priester". Diese Zeit ist in Japan das Ende des Jahres. Man muss unbedingt noch alle alten Dinge erledigt haben, weil man sie nicht mit ins neue Jahr nehmen möchte. Das Neue Jahr soll rein anfangen, wie frisch gefallener Schnee. Die Priester sind nun geschäftig, weil sie überall noch ihre Segenssprüche sprechen müssen. So war es jedenfalls früher. Heute müssen eben die Geschäftsabschlüsse und die Jahresbilanzen fertig werden.

Im Teeweg ist es Brauch, dass wir die Dunkelheit genießen und unseren Tee in den frühen Abendstunden bei Kerzenschein bereiten. Aus der Tiefe der Winterfeuerstelle leuchtet das Holzkohlenfeuer und der Teekessel singt. Am letzten Tag des Jahres werden wir kurz vor Mitternacht den letzten Tee des Jahres genießen. Das Holzkohlenfeuer wird so abgedeckt, dass die Glut bis zum nächsten Morgen erhalten bleibt. Dann legen wir neue Kohle auf, und bereiten den ersten Tee des Jahres. Auf diese Weise feiern wir wie das Neue beginnt, aber das Alte dennoch bewahrt wird. Diese Erinnerung an das Alte, das im Neuen bewahrt ist, wäre manchmal in unserer schnelllebigen Zeit sehr heilsam. Denn eigentlich gibt es nicht Neues, das nicht aus dem Alten erwachsen wäre.

TERMINE:

Adventstee im Kerzenschein

Wir bieten allen, die dem vorweihnachtlichen Stress entfliehen möchten wieder einmal die Gelegenheit, im Myōshinan bei einer Teezeremonie im Kerzenlicht und einer Schale Tee zu entspannen und die Stille zu genießen, die sich im Raum verbreitet, wenn der Teekessel singt. In der Vorweihnachtszeit, jeweils Sonntag ab 17.00 Uhr, freuen wir uns, Sie als Gäste zum Adventstee begrüßen zu dürfen. Voranmeldung ist erforderlich! Kleiner Unkostenbeitrag oder Spende.

Weihnachtskurs Teezeremonie

"Zwischen den Jahren" möchten wir Ihnen die Gelegenheit zu einem intensiven Erlebnis der Teezeremonie geben. Vom Montag 27.12.2010 - Mittwoch 29.12.2010 können Sie an einen Intensivkurs im Teeweg teilnehmen. Es können sowohl Anfänger als auch Fortgeschrittene teilnehmen, weil zwei Teelehrer anwesend sein werden. Anmeldung ist erforderlich!

Gesprächskreis Philosophie

Im Januar werden wir wieder unsere Tradition der Wintergespräche aufnehmen. Thema in diesem Winter ist die Philosophie Friedrich Nietzsches. Nietzsche stellt eine wichtige Station des abendländischen Denkens dar. Wir wollen uns nicht nur mit seinem Begriff des Nihilismus auseinander setzen, sondern auch die Denkansätze kennen lernen, die eine Brücke schlagen zum fernöstlichen Denken des Daoismus und des Zen. Der Gesprächskreis findet 14-täglich, jeweils am Sonntag Nachmittag statt. Termine im Terminkalender. Voranmeldung ist erforderlich.

Vorschau 2011

Im nächsten Jahr werden wir wieder viele neue Veranstaltungen, Kurse und Seminare anbieten, weil Carolin Höhn-Domin sich verstärkt im Myōshinan engagieren wird. Bis dahin wünschen wir Ihnen schöne und friedvolle Tage und einen guten Übergang in das nächste Jahr des Hasen, das hoffentlich sehr friedvoll werden wird.

Gerhardt Staufenbiel (Teezeremonie Lehrer, Leiter des Myōshinan Dōjō)
Carolin Höhn - Domin / Geschäftsführung

in Zusammenarbeit mit chanomiya.com


autor: g.staufenbiel   | © myōshinan chadōjō / teeweg.de