Teeweg - Monatsbrief März 2012

Draussen scheint wieder die Sonne und die Vögel singen. Es wird unverkennbar wieder Frühling. Das ist die Zeit, in der die Drachen wieder aus der Tiefe aufsteigen und sich auf den Weg zum Himmel machen.
Die Arbeit an unserem Buch über die Drachen in China und Japan nimmt immer noch die ganze Zeit in Anspruch, so dass nicht genug Zeit für die regelmässigen Monatsbriefe bleibt. Aber ein kleiner Einblick in die Arbeit am Buch ist sicher auch als Monatsbrief geeignet. Darum hier ein Ausschnitt über die Perle der Wunscherfüllung, die von den Drachen gehütet wird.

Das Lotos Sūtra

Das Lotos Sūtra - oder, wie es genauer heißt: das Sūtra von der Lotosblume des wunderbaren Gesetzes - ist ein gewaltiges und bilderreiches Werk, das im esoterischen Buddhismus Japans heute noch eine ganz besondere Stellung einnimmt. Das Sūtra verkündet die Lehre vom großen Fahrzeug: ALLE Wesen können Buddha werden, das heißt ein Erwachter, und das in einem einzigen Augenblick, und es gibt unendlich viele Buddhas. Der indische Königssohn aus dem Geschlecht der Gautama mit dem Namen Shakyamuni, der um 500 v. Chr. gelebt hat, ist nur ein Beispiel, wenn auch vielleicht das berühmteste. In den japanischen Zen - Tempeln stehen kleine Tafeln zum Gedenken an all die Mönche, die einmal hier gelebt haben und die nun als Buddha verehrt werden.

In Japan heißt das Lotos - Sūtra ,Myōhō Renge kyō‘ das Sūtra (kyo) des geheimnisvollen Gesetzes des Lotos. Es besteht aus sieben Büchern mit insgesamt achtundzwanzig Kapiteln. Eigentlich braucht es ein ganzes Leben, um das Sūtra in all seinen Aspekten zu studieren. Aber schon früh ist in Japan der Brauch entstanden, nur die Formel Nam-Myoho-Renge-kyo - Vertrauen auf das Lotossūtra - wiederholt zu rezitieren. Auf Youtube gibt es ein Video, in dem Tina Turner das Sūtra rezitiert. Das Sūtra hat also auch den Westen erreicht, und wird hier lebendig rezitiert und studiert.

Das zwölfte Kapitel des Buches heißt Devadatta. Devadatta, wörtlich „Geschenk der Götter“ war ein Vetter des Prinzen Shakyamuni, der sich aber von ihm abwandte und eine eigene Gemeinde gründete. Darum werden ihm im frühen Buddhismus alle schlimmen Sünden nachgesagt, und er soll sogar lebendig in die Hölle gefahren sein. Aber der Buddha sagt in diesem Kapitel voraus, dass auch Devadatta ein Buddha werden wird. Alle, wirklich alle Menschen, sogar die Bösen, die Übeltäter und Verbrecher können Buddha werden. Aber das Kapitel Devadatta geht sogar noch über diese Aussage hinaus: sogar Frauen- nicht nur Verbrecher und Übeltäter - können Buddha werden!

Die Tochter des Drachenkönigs Sagara

Im zwölften Kapitel, dem Devadatta, wird die Geschichte eines Drachenmädchens erzählt, die nur „Tochter des Drachenkönigs Sãgara“ genannt wird. Einen eigenen Namen bekommt sie nicht. Das Erstaunliche an dem Drachenmädchen ist - jedenfalls aus der Sicht der damaligen Buddhisten - ,dass sie, obwohl sie eine Frau ist, Buddha wird und das auch noch, ohne dass sie sich unendlich langen und mühseligen Übungen unterziehen muss, wie es selbst der historische indische Königssohn Shakyamuni tun musste, bevor er erlöst werden konnte. Damit ist das Lotos Sūtra eine sehr frühe Form der Aussage, dass alle Wesen gleich sind und keines gegenüber dem anderen einen Vorzug oder Nachteil hat.

Das Lotos Sūtra beginnt mit der Schilderung einer riesigen Versammlung auf dem Geierberggipfel. Es beginnt wie fast alle Sūtren mit der Formel: „So habe ich gehört!“ Diese Formel wird von Ananda, dem Lieblingsschüler Buddhas, gesprochen. Er war mit einem ausgezeichneten Gedächtnis gesegnet und konnte alle Lehrreden Buddhas nach dessen Tod auswendig rezitieren, so dass sie aufgeschrieben und der Nachwelt bewahrt werden konnten.

Also habe ich gehört: Einst weilte der Buddha (Gautama Shakyamuni) in Rājagrha (der Hauptstadt der Provinz Magadha in Indien) auf dem Geierberg, mit einer Versammlung von großen Mönchen, im ganzen zwölftausend; alle waren Arhats (Menschen, die nach Erlösung streben) und hatten ihre Befleckungen und ihre Unruhen gelöscht; sie waren nicht mehr in Verblendung gefangen, hatten das Wesentliche für sich selbst erlangt und die Verbindung zu allem, was es gibt, gelöst. Sie waren frei im Geist.

Die Arhats sind Menschen, die für sich die Erleuchtung erlangen wollen, und die dabei bereits die höchste Stufe erreicht haben. Aber im Gegensatz zu den Boddhisattvas, die kurz vor der endgültigen Erleuchtung stehen, aber darauf verzichten, weil sie zuvor anderen Wesen helfen wollen, streben die Arhats nur für sich nach der Befreiung. Dennoch erwerben auch sie die Fähigkeit, anderen zu helfen.

Aber es waren nicht nur Menschen - unter anderem die Mutter Buddhas und die Nonne Mahaprajapati mit einem Gefolge von sechstausend Nonnen - sondern auch die acht Drachenkönige anwesend. Die acht Drachenkönige waren unter anderem Drachenkönig Sāgara, dessen Tochter Buddha wurde, und Drachenkönig Utpalaka, von dem wir später noch mehr hören werden. Alle acht Drachenkönige waren in der Begleitung von jeweils Hunderten von Tausenden von Drachen.

Manjushri - Monju
Manjushri - Monju
Monju hält das Schwert und die Sūtra - Rolle in den Händen.
In Japan reitet er oft auf einem Shishi, einem Löwenartigen Fabelwesen

Vor den Augen dieser mythischen Versammlung, zu der auch noch alle Boddhisattvas hinzu kommen, geschieht die Verwandlung des Drachenmädchens in einen Buddha. Als die Versammlung im vollen Gange ist, erscheint der Boddhisattva Manjushri, der in Japan Monju heißt. Manjushri oder Monju ist einer der wichtigsten Boddhisattvas, wird aber auch selbst als einer der Buddhas verehrt. In seiner linken, „männlichen“ Hand hält er das Schwert, das Unwissen zerschneidet und als Fackel der Weisheit das Licht verbreitet. In der „weiblichen“ rechten Hand hält er entweder ein Buch oder eine Schriftrolle, die als Schriftrolle des Lotos - Sūtra verstanden wird. In Japan reitet er oft auf einem mythischen Löwen, dem Shishi. Ein weiterer Schützer des Lotos Sūtra ist Fugen Bosatsu, wie er in Japan genannt wird, der auf einem weißen Elefanten reitet und der besonders die Frauen schützt. Fugen und Monju - Manjushri bilden zusammen mit Shakyamuni Buddha eine Trias, die in Japan sehr häufig dargestellt wird.

Manjushri - Manjo kommt zu der Versammlung am Geierberg. Manjushri, der auf einem tausendblättrigen Lotos saß, stieg zusammen mit vielen anderen Boddhisattvas aus dem Meer auf, aus dem Palast des Drachenkönigs Sāgara kommend. Sāgara heißt Ozean auf Altindisch, der Drachenkönig herrscht also über alle Wesen, die im Meer leben. Dort, im Palast des Drachenkönigs hatte Manjushri eine unermessliche Zahl von Lebewesen erlöst, indem er im Palast des Drachenkönigs das Lotos Sūtra erklärte.

Da nun stiegen Manjushri, der wie auf einem großen Wagenrad auf einer tausendblättrigen Lotosblume saß, und Boddhisattvas, die mit ihm zusammen waren und auch auf einem Juwelen-Lotos saßen, von selbst aus dem großen Meer auf aus dem Drachenpalast des Drachenkönigs Sāgara kommend. Er nahm seinen Platz im Äther ein und begab sich dann zum Geierspitzberg; er stieg von der Lotosblume herab und begab sich vor den Buddha hin und verneigte sich bis zu den Füßen des in der Welt Verehrten. Einer der anwesenden Boddhisattvas fragte Manjushri: „Wie groß ist die Zahl der Lebewesen, die du, als du in den Palast des Drachen gingst, verwandeltest?“ Manjushri sagte: „Diese Zahl ist unermeßlich und man kann sie nicht nennen, sie ist mit dem Munde nicht zu verkünden und mit dem Sinn nicht zu ermessen. Warte einen Augenblick, ich will dir selbst einen Beweis geben.“
Er hatte noch nicht zu Ende gesprochen, da sprudelten unermesslich viele Boddhisattvas, auf Juwelen-Lotosblumen sitzend, vom Meere auf; sie begaben sich zum Geierspitzberg und verweilten im Äther. Diese Boddhisattvas waren alle durch Manjushri verwandelt.

Manjushri hatte die unermesslich vielen Lebewesen im Palast des Drachenkönigs verwandelt von leidenden Wesen in leidfreie Boddhisattvas. Aber nicht genug mit diesen wunderbaren Befreiungen. Er erzählt eine unglaubliche Geschichte - jedenfalls für die damalige Zeit - von einer jungen Frau, die in der Lage sei, sofort Buddha zu werden

Manjushri sagte: „Es gibt da die Tochter des Drachenkönigs Sāgara. Sie ist erst acht Jahre alt. In ihrem Wissen und ihrer Anlage von scharfem Verstand, kennt sie gut das Karma, das aus den jeweiligen Wurzeln der Handlungen der Menschen kommt. Sie hat die Magische Sprüche erlangt und ist fähig, den äußerst tiefen und geheimen Korb, den die Buddhas predigen, zu empfangen und festzuhalten. Sie ist tief in die Versenkung eingegangen und hat alle Gesetze durchdrungen. In einem Augenblick hat sie ihr Herz der Erleuchtung geöffnet und den Stand, von dem man nicht mehr zurückfällt, erlangt. Ihre Beredsamkeit ist frei von Hemmnis, sie fühlt Mitleid mit den Lebewesen, als ob sie ihre eigenen Säuglinge wären. Ihre Verdienste sind vollkommen. Was sie im Herzen denkt und mit dem Mund spricht, ist feinsinnig und wunderbar, weithin reichend und groß. Sie ist mitleidig, menschenfreundlich und ausgleichend, in ihrem Charakter ist sie ausgewogen und zartfühlend. Sie ist fähig, die Erleuchtung zu erlangen.“

Diese Behauptung klingt den Zuhörern derartig unglaublich, dass sie zweifeln. Eine Frau und noch dazu ein Mädchen im Alter von acht Jahren sollte in der Lage sein, sofort Buddha zu werden, wo doch jeder weiß, dass dazu unendlich lange und entbehrungsreich Übungen erforderlich sind? So kommt denn auch aus der Versammlung der Einwand:

„Ich sah, wie der Ehrwürdige Shākyamuni während unermesslicher Zeitalter unter Mühen praktizierte, unter Leid praktizierte, so Verdienste anhäufte, seine Tugenden vermehrte und nach dem Weg der Boddhisattvas strebte, ohne auch nur nachzulassen. Ich habe beobachtet, dass es in der Dreitausend-Großen-Tausenderwelt auch nicht eine Stelle, groß wie ein Senfkorn, gibt, wo er als Boddhisattva nicht Leib und Leben hingegeben hätte um all der Lebewesen willen. Jedoch erst danach hat er es erlangt, dass er den Weg der Erleuchtung vollendete. Ich kann nicht glauben, dass dieses Mädchen in einem Augenblick die wahre Erleuchtung vollendet hat.“
Er hatte dies noch nicht auseinandergesetzt, als die Tochter des Drachenkönigs plötzlich vor ihnen erschien und sich vor Buddha verneigte. Sie zog sich dann zurück und blieb abseits auf einer Lotosblume sitzen. Da sprach Shāriputra - der Philosoph unter den Schülern Buddhas - zu dem Drachen-Mädchen: „Du meinst, in nicht langer Zeit den höchsten Weg erlangt zu haben. Dies ist schwer zu glauben. Warum ist es so? Der Körper einer Frau ist schmutzig und kein Gefäß des Gesetzes. Wie bist du da fähig, die höchste Erleuchtung zu erlangen? Der Buddha - Weg ist sehr weit. Nur wenn man Zeiträume lang mit Eifer Leid ertrug und so im Wandel vorwärts gelangte und einzig alle Befreiungen geübt hat, kann man schließlich die Erleuchtung vollenden. Ferner gibt es für eine Frau wegen ihres Körpers noch die fünf Hindernisse. Wie kann man es da also mit dem Körper einer Frau erreichen, rasch Buddha zu werden?“

Drachentochter
Die Tochter des Drachenkönigs überreicht die Perle
Das Drachenmädchen steigt aus der Meerestiefe auf. In der Hand hält sie die Perle, von der ein starkes Strahlen ausgeht. Lotossutra, Japan 12. Jhdt., Goldmalerei auf Indigo - Papier.


Nun hatte dieses Drachen-Mädchen eine kostbare Perle (die Perle der Wunscherfüllung). Sie war soviel wert wie die Dreitausend-Große-Tausenderwelt. Sie nahm sie und überreichte sie dem Buddha. Der Buddha nahm sie sofort an. Das Drachen-Mädchen sprach: „Ich habe die kostbare Perle überreicht, der in aller Welt Verehrte nahm sie an. Ging dies nun schnell vor sich oder nicht?“ Sie antworteten und sagten: „Sehr schnell.“ Das Mädchen sagte: „Ihr sollt mit eurer überirdischen Kraft nun sehen, dass ich noch schneller als dies Buddha werde.“ In dem Augenblick sah die ganze Versammlung, wie das Drachen-Mädchen sich plötzlich verwandelte und ein Mann wurde. Sie vollendete den Wandel des Boddhisattva und ging dann in die im Süden gelegene Welt Fleckenlos. Sie saß auf einer Juwelen-Lotosblume und hatte die unterschiedslose wahre Erleuchtung erlangt, hatte die zweiunddreißig Merkmale und die achtzig Nebenmerkmale und legte dar und predigte für alle Lebewesen der zehn Richtungen überall das wunderbare Gesetz.

Als nun die Boddhisattvas, die Götter und Drachen, die acht Gruppen, die Menschen und Nicht - Menschen sahen, dass in der Ferne jenes Drachen-Mädchen Buddha wurde und überall den Menschen und Göttern der damaligen Versammlung das Gesetz predigte, waren sie im Herzen hoch erfreut, und alle zusammen verneigten sich aus der Ferne. Unermesslich viele Lebewesen, die das Gesetz hörten, begriffen es und erlangten den Stand, von dem sie nicht mehr zurückfallen konnten.

Die Boddhisattvas und Shāriputra und die gesamte Versammlung waren still und glaubten.

Ein Drachenmädchen, das im Besitz der Perle der Wunscherfüllung war, musste also den frühen Buddhisten zeigen, dass man auch als Frau Buddha werden kann. Und das ist die Botschaft des Lotos Sūtra: ALLE Wesen - wirklich alle, und man möchte hinzufügen: sogar die Frauen - können Buddha werden. Und das nicht erst nach unendlichen Mühen des Übens, des Leidens und des Verzichtens, sondern sofort, in einem winzigen Augenblick, der kürzer dauert, als ein Wimpernschlag. Das ist es also, was uns die Drachen lehren können!

Eine ähnliche Auffassung hat später auch der Zen - Meister Dōgen (1200 - 1253). Er meint, jeder Mensch hat die Buddha - Natur. Aber warum muss man sich dann Übungen der Meditation unterziehen? Dōgen schreibt in einem Kapitel seines Buches über die „übernatürlichen Kräfte“ des Buddhisten. In manchen Richtungen des Buddhismus war es üblich zu üben, damit man übernatürliche Fähigkeiten erwirbt: fliegen, Gedanken lesen, an zwei Orten gleichzeitig weilen und ähnliches. Dōgen meint, die übernatürlichen Fähigkeiten seien „Wasser holen und Feuer anzünden“. In der Tat, ist es nicht fast übernatürlich, wenn wir ein Stück Holz anzünden und es sich in reines Licht, Wärme und Energie verwandelt? Jeder Mensch hat diese Fähigkeiten, aber, so Dōgen - er muss sie „verwirklichen“. Jeder Mensch hat die Buddha - Natur, aber: er muss sie verwirklichen, also üben. Dōgen meint, wir üben nicht die Meditation um Buddha zu werden, wir sind es ja schon. Aber wenn wir uns entschließen zu üben, dann verwirklichen wir unsere Buddha - Natur, dann sind wir ein übender Buddha.

Jeder hat Buddha - Natur, auch Verbrecher, und sogar Devatatta, der schlimme Vetter von Shakyamuni, so steht es im Lotos Sūtra. Im Jahr 2006 ging der Tempel Enryaku-Ji mit einem ganz besonderen Ereignis durch die Presse. Man veranstaltete dort für eine Yakuza Organisation eine große Feier, und einige der Senioren der Yakuza wurden als Mitglieder in den Tempel aufgenommen. Die Polizei und die gesamte Presse regte sich natürlich darüber auf, aber die Mönche des Enryakuji argumentierten, dass auch Verbrecher Buddha werden können. Nun ja, vielleicht hatten die Mönche da eine etwas andere Sicht als die Yakuza oder die ×ffentlichkeit (und vielleicht war da auch eine kräftige Geldspende mit im Spiel, was ja aber auch wieder dem religiösen Leben im Enryakuji gut tut).

Eine sehr schöne Übersetzung vom Lotos Sūtra, nach der auch die Geschichte vom Drachenmädchen erzählt ist, hat Margarete von Borsig vorgelegt. Wer mehr wissen will, dem sei dieses Buch empfohlen.

Tendai Buddhismus und Drachen

Tendai Buddhismus in Japan - Saicho

In Japan, zu der Zeit als die alte Kaiserstadt Kyōto gegründet und Sitz des Kaisers wurde, gab es zwei große buddhistische Schulen, den Tendai Buddhismus und den Shingon Buddhismus. Kyōto hieß damals noch Heian Kyō, Hauptstadt des himmlischen Friedens. Deshalb nennt man diese Zeit die Heian Epoche. Auf dem Berg Hiei nordöstlich der Hauptstadt war der Mönch Saichō (767–822) als Einsiedler mit dem Lotos Sūtra in Berührung gekommen, und er hielt später einen Vortrag über die Lehren dieses Sūtra. Dafür erhielt er die Erlaubnis vom Kaiser, an einer Expeditionsreise nach China teilzunehmen. Auf einem anderen Schiff dieser Expedition war sein Freund und späterer Gegner Kūkai, der Gründer des Shingon. Saicho ging in China in das 天台山 tiāntái shān, das Tiantai Gebirge, den Berg ,der den Himmel stützt‘. Aber das Wort kann kein Japaner aussprechen und darum wurde aus tiāntái das japanische Tendai.

Nachdem Saichō aus China zurückgekehrt war, gründete er die Schule der Tendai. Er hatte viele Meditationsmethoden und Lehren aus China mitgebracht, von denen viele heute noch lebendig sind. Ich habe einmal einen feierliche Ritus auf dem Hiei - Berg miterlebt, bei dem die Mönche noch in den farbenprächtigen Gewändern aus der Heina Zeit gekleidet waren. Als Höhepunkt wurde den vielen Gläubigen ein kleiner Zettel in die Hand gedrückt mit dem Aufdruck ,namu amida butsu‘ - Vertrauen auf Amida Buddha. Wir reihten uns ebenfalls unter den Gläubigen ein und bekamen den Zettel in die Hand. Der Abt scheute nur einen winzig kleinen Augenblick etwas verdutzt auf, aber schließlich ist die Lehre der Tendai, dass alle Wesen Buddha werden können, sogar Ausländer und Frauen.

Berühmt geworden ist in den letzten Jahren der Wandermönch vom Hiei Berg. Er hat das Gelöbnis getan, dass er in tausend Nächten jeweils etwa 50 Kilometer zurücklegt und dabei an bestimmten Stellen Halt macht, um die Sutren zu rezitieren. Er trägt immer eine Seidenschnur mit sich, mit der er sich selbst erdrosseln wird, wenn er einmal seinen nächtlichen Gang nicht tun wird. Während der gesamten Zeit darf er den Berg nur ein einziges mal im Jahr verlassen, um einen bestimmten Weg rund um die alte Kaiserstadt Kyōto zu machen. In der Nacht muss er wieder oben auf dem Berg sein. Das ist eine gewaltige Strecke, die man nur mit bester Kondition bewältigen kann. Zufällig bin ich diesem Mönche einmal auf seinem Gang durch Kyōto begegnet. Eine Gruppe von Menschen in Pilgergewändern lief vorweg und räumte die Straße mit lauten Rufen. Hinter dem Mönch liefen andere Pilger, die sichtlich Mühe hatten, ihm zu folgen. Eine andere Meditation ist es, hundert Tage und Nächte in einem eigens dafür errichteten Gebäude mitten im Zedernwald ohne Pause und mit geringster Nahrungsaufnahme immer im Kreis zu gehen und die Sūtren zu rezitieren.

Wer solche radikalen Meditationen durchführt, wird entweder verrückt oder ein Drache!

Wie einfach haben es da doch Drachenmädchen, die ohne solche Mühen Buddha werden können. Sie musste zwar vorher ein Mann werden, aber sie war einfach nicht lange genug ein Mann um wieder in Streit, Auseinandersetzungen und Kriege zu verfallen. Frauen haben es eben einfacher!

Der Gründer der Tendaischule Saichō ging 822 in die große Verwandlung ein, aber er „lebt“ heute immer noch auf dem Gebiet des Tempels. Mitten im Zedernwald unter mächtigen uralten Zedernbäumen steht ein eigener Gebäudekomplex, der Jodo In 浄土院, dem Tempel des westlichen Paradieses. Dort ist das Mausoleum des Saichō und dort lebt ein Priester, dessen einzige Aufgabe es ist, den Tempel sauber zu halten und vor allem mit ganzer Aufmerksamkeit jeden Tag das beste Essen für Saichō zu bereiten und es ihm in voller Demut zu servieren. Selbstverständlich kommen nur die besten und frischesten Zutaten zum Einsatz und das Essen wird kunstvoll hergerichtet und serviert. Der Priester übt so die Hingabe an ganz alltägliche Dinge, die er voller Ehrfurcht und Achtsamkeit ausführt. Der Jodo-In ist ein stiller Ort mit geradezu mystischer Atmosphäre. Es ist absolut still, nur die Vögel singen. Und der Duft des großen Räucherbeckens erfüllt die Luft. Unwillkürlich wird man selbst ganz still und ehrfürchtig, selbst wenn man nicht weiß, was dies für ein Ort ist. So wirkt Saichō noch heute.

Die Tendai wurden immer wichtiger und mächtiger im alten Heian- Reich. Vor allem aber diente das Rezitieren der Sutren - so war die damalige Auffassung - nicht der eigenen Erlösung, sondern dem Schutz des Landes Japan. Dadurch gewannen die Tendai immer größeren Einfluss auf die Politik und schließlich verfügten sie sogar über eine eigene Armee von kämpfenden Kriegermönchen. So geht es halt immer wieder, selbst die besten und friedlichsten Ideen werden, wenn sich die Menschen ihrer bemächtigen, zu einem Mittel der Machtsausübung und erzeugen Kriege und Leiden.

Der Priester Ryogen als Drachenkönig

Der Priester Ryogen war ab 966, einhundertvierundvierzig Jahre nach Saichō‘s Tod, Oberpriester am Enryaku-ji auf dem Hiei Berg. Er ein wichtiger Erneuerer der Tendai-shū. Trotz oder wegen wachsender Popularität seit Mitte des 10. Jahrhunderts hatte die Schule wachsende Probleme mit nachlassender Disziplin der Gemeinde am Hieizan. Serien von Bränden suchten die Tempelkomplexe heim, und mehrere kaiserliche Erlasse und Rügen gingen gegen das Missverhalten der Mönche. Unter Ryōgen hatte die Tendai-shū ca. dreitausend Schüler Die Gönnerschaft durch die Regierung erreichte ihren Höhepunkt: Der Tennō besuchte den Hieizan fünfmal und spendete große Geldbeträge. Die mächtige Familie der Fujiware unterhielten enge Verbindungen: so feierte der Regent Fujiware Tadahie auf dem Hieizan seinen 50. Geburtstag, eintausend Mönche waren zu den Feierlichkeiten geladen.

In dieser Zeit träumte einmal ein Mann und er sah im Traum acht Drachenkönige, die auf Schiffen das Meer überquerte. Aber auf dem achten Schiff war kein Drachenkönig zu sehen. Der Mann fragte im Traum die anderen Drachenkönige, warum das achte Schiff leer war. Er bekam zur Antwort, dass der Drachenkönig des achten Schiffes Drachenkönig Utpalaka, - der auch bei der Versammlung am Geierberg anwesend war - derzeit als Abt Ryōgen im Enriyakuji Kloster auf dem Hiei Berg residiere.

Dass der Abt Ryōgen wirklich eine Erscheinungsform des Drachenkönigs Utpalaka war, erscheint auch in einer anderen Geschichte.

Der Abt eines Klosters träumte, wie ihm der Haupt - Priester der westlichen Pagode auf dem Hiei-Berg inmitten dichter Wolken erschien, die sich um einen riesigen heiligen Drachen versammelt hatten. Dieser Drache inmitten der Wolken war die eigentliche Gestalt des Abtes Ryōgen des Enryakuji Klosters auf dem Hiei Berg, der damals als der Drachenkönig Utpalaka erschienen war. Der Abt war hocherfreut, denn er hatte sich schon immer sehnlich gewünscht, den Abt Ryōgen einmal zu sehen, obwohl der schon lange von der Erde verschwunden war. Nun sah er ihn nicht leibhaftig, aber wenigstens in seiner Drachengestalt. Aber er wunderte sich, dass der Wolkendrache zusammen mit dem Priester der Westpagode erschienen war. Als er nachfragte, erfuhr er, dass sich dieser Priester innig wünschte, ein Angehöriger des Drachenkönig - Abtes Ryōgen zu werden, das heißt, er wollte ebenfalls ein Drache werden. Zugleich aber erfuhr der Abt auch, dass der Priester schon seit mehr als zehn Tagen schwer erkrankt war und im Sterben lag. Der Abt besuchte den Priester und erzählte ihm von seinem Traum. Der Priester weinte Freudentränen, weil er nun wußte, dass sein Wunsch, ein Angehöriger des Drachenabtes und selbst ein Drache zu werden, bald in Erfüllung gehen würde. Als er schließlich starb, wurde er in der Nähe des Grabes von Ryōgen beigesetzt.

Später, als eine große Dürre über das Land hereingebrochen war, rezitierte man die Sūtren auf dem Hiei Berg, wie es üblich war, um großes Unglück abzuwenden. Da erschien plötzlich eine winzige Schlange am Grab des Ryōgen , die langsam zum Grab des Priesters von der westlichen Pagode hinüber kroch und darin verschwand. Plötzlich stieg eine kleine Wolke aus diesem Grab hervor, die schnell immer größer und größer wurde und schließlich den gesamten Himmel bedeckte. Ein gewaltiges Gewitter erhob sich, und heftige Regenfälle tränkten die durstige Erde.

Aber auch, wenn man das Lotossutra eifrig studiert, ist man nicht vor Dummheit, Ignoranz und Krieg bewahrt. Der Fürst Oda Nobunaga versuchte im 16. Jahrhundert Japan, das in viele kleine Provinzen zerfallen war, die sich heftig bekriegten zu einen. Obwohl Nobunaga Buddhist war, ärgerte er sich über den gewaltigen politischen Einfluss, und er förderte auch das Christentum, das von spanischen Jesuiten in Japan gepredigt wurde. Nobunaga ließ viele Streitgespräche zwischen den Jesuiten und den buddhistischen Mönchen veranstalten, die nicht nur nach Meinung von Nobunaga meistens von den Jesuiten gewonnen wurden. Dadurch verlor das Volk allmählich das Vertrauen in die Buddhisten, die nun begannen, sich gegen Nobunaga zu wenden. Schließlich drohte der Enryakiji Tempel auf dem Heie Berg sich mit seiner Armee in die kriegerischen Auseinandersetzungen einzumischen und Nobunaga in den Rücken zu fallen. Der stellte dem Tempel ein Ultimatum, das man aber verstreichen ließ. In einer einzigen Nacht ließ Nobunaga auf ein Zeichen hin fast sämtliche Gebäude des Tempels anzünden. Unermessliche Kunstschätze verbrannten und viele Menschen kamen im Feuer um. Erst seit dieser Zeit halten sich die Tendai und nach ihnen auch die anderen Buddhisten von der Politik fern. Und so kommt es, dass man heute meint, der Buddhismus sein im Gegensatz zu anderen Religionen immer friedlich gewesen.

Vielleicht kam die Perle der Wunscherfüllung einfach viel zu spät auf den Heiei Berg oder man hatte dort ihre Anwendung vergessen.

Die Perle der Wunscherfüllung

Jeder Mensch hat Wünsche und Träume. Vielleicht der größte Wunsch - der Wunsch aller Wünsche - ist es, heim zu kommen in die Geborgenheit, in das Paradies, in dem wir alle einmal waren, heim zu kommen zu sich selbst. Der grosse japanische Haiku - Dichter Bashō hat das in einem Herbstgedicht geschrieben:

Aki chikaki
kokoro no yoru ya
yo jo han
Der Herbst kommt heran.
Das Herz erfüllt von Sehnsucht:
Viereinhalb Matten

Die Viereinhalb Matten sind eine verkürzte Bezeichnung für den Raum für die japanische Teezeremonie. Der klassische Teeraum ist mit viereinhalb Tatami Matten ausgelegt. In der Mitte singt über einem Holzkohlenfeuer der Teekessel. Wohlige Wärme strömt von der Feuerstelle aus, und köstliche Wohlgerüche wie im Land des Buddha erfüllen den Raum. Still und geborgen sitzen die Menschen um das Feuer und genießen den Tee - ein kleines Paradies der Geborgenheit in der herbstlichen Kälte, dem Nebel, Sturm und Dunkelheit draussen! Wer sehnt sich nicht nach einer solchen Geborgenheit?

Noch kurz vor seinem Tod, als er krank auf einer Reise war, seiner letzten Reise, hat Bahō über diese Träume, die niemals versiegen, geschrieben:

Tabi ni yan-de
yume wa kare no o
kake-meguru.
Krank auf der Reise
wandern die Träume dennoch
über dürres Feld.

Im Buddhismus kann sich die Sehnsucht im Wunsch ausdrücken, im Reinen Land des Amida Buddha wieder-geboren zu werden. Dort im Reinen Land ist alles vollkommen, kein Mensch herrscht über einen anderen Menschen, und es gibt kein Leid und keine Not.

Der große japanischen Meisters Hōnen (1133 - 1212) lehrte, dass auch einfache Menschen in das Reine Land des Buddha gelangen können, indem sie vertrauensvoll immer wieder die Formel „namu amida butsu“ „Vertrauen auf Amida Buddha“ aussprechen. Wenn es ihnen gelingt, ein einziges Mal aus reinem Herzen und mit vollkommenem Vertrauen diese Formel auszusprechen, dann wird Amida Buddha, der in dem Reinen Land herrscht, sie nach ihrem Tode sicher in dieses Land geleiten.

Hōnen‘s Lehrer Kōen hatte eine Schrift verfasst, in der er von diesem Land berichtet. Die Schrift hieß 扶桑略記 Fusō ryakki - Kurze Geschichte des Landes Fusō.

Geschichten aus dem Lande Fusō (Japan)

Eigentlich ist Fusō ein heiliger Baum, der auf einer Insel im östlichen Meer wächst. Die Sonne beginnt ihren täglichen Lauf im Gipfel dieses heiligen Baumes. Das ist eine Geschichte, die man in China erzählte, also liegt diese Insel östlich von China, dort wo die Sonne aufgeht. Die Chinesen erzählten, dass es auch noch eine weitere Insel ganz im Westen gibt, auf der auch ein heiliger Baum steht, in dessen Krone sich die Sonne abends zur Ruhe begibt. In den heiligen Bäumen leben zehn Krähen. Neun von ihnen ruhen, während der zehnte die Sonne auf ihrem Weg vom Osten in den Westen und wieder zurück vom Westen in den Osten trägt.

Wo die Sonne aufgeht ist die „Wurzel der Sonne“, was auf japanisch Ni-Hon heißt, und das ist Japan. Die Chinesen vermuteten also in Japan, ganz im Osten, den heiligen Baum, aus dem die Sonne am Morgen wieder aufsteigt. Die Chinesen vermuten das Paradies im Osten - dort wo Japan liegt, und die Japaner im Westen, wo Amida Buddha lebt.

Boddhisattva mit Perle
Der Boddhisattva Kshitigarbha mit der Perle (Korea)

So geht es uns Menschen immer: Das Paradies ist immer dort, wo wir gerade NICHT sind.

In den Geschichten aus dem Lande Fusō erzählt Kōen die Geschichte von der Perle, die jeden Wunsch erfüllt und die Sehnsucht stillt.

Die Perle des Drachenkönigs

In Nordindien lebte einmal ein weiser und heiliger Abt eines buddhistischen Klosters mit dem schönen Namen Bussei, was Buddhas Gelöbnis bedeutet. Eines der Gelöbnisse ist es, alle leidenden Wesen zu retten. Der Abt machte sich nun aus Sorge um die Menschen, die in ihrem Leiden verfangen sind, auf den Weg die Perle zu suchen, die alle Wünsche erfüllt und die Sehnsüchte stillt. Er bestieg ein Schiff, und als er mitten auf dem Meer war, rief er durch die Kraft Buddha den Drachenkönig, der am Meeresgrund lebt, herbei. Mit magischen Formeln und Beschwörungen, die man im frühen Buddhismus benutzte, fesselte er den Drachenkönig, der sich nun nicht mehr vom Schiff weg bewegen konnte. Dann forderte Bussei den Drachenkönig auf, ihm die Perle der Wunscherfüllung zu geben. Der Drachenkönig, der nicht mehr in der Lage war zu fliehen, nahm die Perle von seinem Haupt herunter und reichte sie dem Priester. Der steckte die linke Hand aus um die Perle zu nehmen. Gleichzeitig machte er mit der rechten Hand die beschwörende Mudra, die Geste des Schwertzeichens, mit der man Geister und Dämonen bannte.

Der Drachenkönig aber sagte zu dem Priester:
„Früher gab die Tochter des Drachenkönigs Sagara dem ehrwürdigen Shayamuni Buddha die kostbare Perle. Und Shakyamuni nahm sie mit beiden dankbar zusammengelegten Händen an. Warum sollte ein Schüler Buddhas die Perle nur mit der linken Hand annehmen?“

Der Priester schämte sich, legte beide Hände in der Dankesgeste zusammen und wollte die Perle nehmen. Aber der Drachenkönig war nun nicht mehr durch die Schwertmudra gebannt. Er befreite sich aus den Fesseln, stieg hoch auf und verschwand im Himmel. Vorher aber zerstörte er das Boot des Abtes, und der überlebte als Einziger dieses Unglück.

Man kann Drachen zwar versuchen zu bezwingen, aber besser ist es, wie Shakyamuni Buddha selbst es getan hatte, dem Drachen mit reinem Herzen gegenüber zu treten und dessen Gabe dankbar zu empfangen. Drachen geben gern aus vollem Herzen, aber wenn man versucht sie zu zwingen, dann werden sie böse und verweigern ihre Gaben.

Viel später traf derselbe Abt Bussei den indischen Prinzen Bodhidharma, der den Zen nach China brachte, um die Menschen zu erlösen. Beide überquerte zusammen von Südindien aus das Meer und gingen nach China. Später dann, so erzählt es jedenfalls Hōnens Lehrer Kōen, der die Geschichte aufgeschrieben hat, kamen beide zusammen nach Japan.

Aber das ist - glaube ich - einfach nur aus dem sehnlichen Wunsch entstanden, dass Boddhidharma doch einmal in Japan gewesen sein müsse. Ich jedenfalls glaube ihm diese Geschichte nicht. Aber die Geschichte mit der Perle der Wunscherfüllung, die glaube ich ihm schon.

Die Perle und die Wünsche

Von der Perle erzählt man sich schon in Indien. Dort heißt sie Cintamani. Oft hält sie der Boddhisattva Kshitigarbha hoch erhoben in seiner Hand. Hier ist ein Bild aus dem alten Korea aus dem 14. Jahrhundert. Ein Boddhisattva ist ein Mensch, der auf seine eigene endgültige Erlösung verzichtet, um anderen Wesen zu helfen. Auf diesem Bild hält er den Wanderstab in der Hand, der oben mit Metallringen verziert ist. In der anderen Hand hält er hoch erhoben die Perle als Verheißung für die Menschen, dass sie all ihre Wünsche loslassen können, wenn sie die Perle gewonnen haben.

Wenn aber ein Boddhisattva die Perle der Wunscherfüllung reicht, so kann das nicht heißen, dass sie wie ein Tischlein - deck - dich funktioniert: Wir brauchen nur den Wunsch nach gebratenen Tauben zu äußern und schon fliegen sie uns in den Mund. Wenn das so wäre, würden bald alle Menschen faul auf dem Rücken liegen wie im Schlaraffenland und nur noch essen und schlafen. Würde die Perle der Wunscherfüllung so funktionieren, dass wir jeden Wunsch erfüllt bekommen, so würde, kaum dass ein Wunsch erfüllt ist, das Herz schon wieder sehnsüchtig einen anderen Wunsch haben, und wir kämen nie in den inneren Frieden. Vielmehr ist es wohl so zu verstehen, dass wir im Besitz der Perle vollkommen wunschlos werden, weil wir alles haben, was wir brauchen, vor allem den Frieden des Herzens, das nicht mehr ruhelos von einem Wunsch zum nächsten strebt. Und wenn wir in diesem Zustand des inneren Friedens weilen, dann sind wir selber ein Buddha. Die Perle der Wunscherfüllung macht uns also eigentlich zu einem Buddha.

Ruyi- Würdezeichen des Abtes als Perle

In China gibt es einen Gegenstand, den buddhistische Würdenträger, zum Beispiel der Abt eines Klosters, in der Hand halten. Dies ist ein Szepter, das denselben Namen trägt wie die Perle der Wunscherfüllung. Das Szepter heißt Ruyi. Wenn also dort ein buddhistischer Abt sitzt, der die Perle der Wunscherfüllung in der Hand hält, so ist das ein Zeichen, dass es sich um einen Buddha handelt.

Das Szepter sieht in China aber eigentlich nicht mehr aus wie eine Perle, sondern eher wie eine Pflanze. Manche Forscher meinen, es sei das Abbild eines bestimmten Pilzes, den man schon seit Urzeiten in daoistischen Praktiken benutzt hat, vielleicht um sich einen Trank zu bereiten, der wunschlos glücklich macht.

Gelber Yadepilz

Hier sieht man den „gelben Yadepilz“ in einer Abbildung aus einem daoistischen Handbuch aus dem Jahr 1445 mit den verschiedensten Pilzen und entsprechenden Geschichten dazu. Von diesem gelben Yadepilz heißt es:

„Der Gelbe Yadepilz wächst auf dem Berg Penglai. Seine Farbe ist gelb, der Geschmack bitter. Dongwanggong aß den Pilz und wurde unsterblich und lebte 90.000 Jahre. Der Gelbe Tiger und der Gelbe Fisch schützen den Pilz. Er besteht aus drei Ebenen, die unterste Ebene hat drei Verzweigungen.“

Es ist wohl nicht davon auszugehen, dass Dongwangong reale neunzigtausend Jahre gelebt hat. Vermutlich trat er nach dem Genuss des Pilzes eine Himmelsreise an, in der es keine Zeit mehr gibt. Es ist offensichtlich, dass die frühen Daoisten Chinas Pilze als Drogen benutzt haben, um in den Zustand zu kommen, den man mit der Perle der Wunscherfüllung erreichen kann. Aber auch die Nutzung von Drogen muss gut vorbereitet sein. Erst wenn man sich gereinigt und gut vorbereitet hat, kann man die Himmelsreise mit Drogen antreten. Andernfalls kann es leicht zu einer Reise durch die Hölle werden. Denn in den Reisen, die durch Drogen hervorgerufen werden, nimmt man seinen inneren Zustand mit. Darum wurde in allen alten Kulturen vor der Drogennutzung aufwendige Vorbereitungen getroffen.

Ryuji
Ruyi mit geschnitzten Drachen

Das Ruyi - Szepter des buddhistischen Abtes ist eine chinesische Verwandlung der Perle der Wunscherfüllung. Manchmal verändern sich die Geschichten doch sehr, wenn sie in ein anderes Land kommen und auf die Traditionen dort stoßen.

Die Drachen sind im Besitz einer Perle der Wunscherfüllung. Wie schön wäre es, wenn wir diese Perle besitzen könnten. Aber wie die Geschichten zeigen, kann nur derjenige die Perle gewinnen, der ohnehin frei von Wünschen ist, wie Buddha Shakyamuni, der die Perle von der Tochter des Drachenkönigs geschenkt bekam. Aber die hatte er eigentlich nicht nötig! Sogar der Priester Bussei, der die Perle nicht für seinen Eigennutz gewinnen möchte, sondern sie zur Erlösung der leidenden Menschen nutzen möchte, ist nicht frei von Wünschen. Deshalb kann auch er die Perle nicht gewinnen.

Das Kōan KAN

Im Zen gibt es ein berühmtes Kōan, ein Spruch, der nicht mit reiner Logik zu lösen ist. Diese Kōan besteht aus einem einzigen Wort: KAN.

Kan, oder nach einer anderen Lesung Seki, ist das Tor an der Grenzbarriere, an dem die Durchreisenden kontrolliert werden. Dieses Tor ist so fest verschlossen, dass nicht einmal eine Maus einen Durchschlupf finden könnte. Es liegt nicht in der Macht der Reisenden, die in ein anderes Reich hinüber wollen oder vielleicht auch müssen, dieses Tor zu öffnen, dafür ist es zu fest verriegelt und zu gut bewacht. Je mehr man sich bemüht und anstrengt, auf die andere Seite zu gelangen, desto fester geschlossen scheint es zu sein. Das Reich auf der anderen Seite lockt mehr und mehr, dort ist die große und offene Weite, die Freiheit und die Ruhe, hier ist die Welt der Hast und Zerrissenheit, des Streites und der Auseinandersetzung.

Aber es gibt keine Möglichkeit, den Durchgang in den anderen Bereich zu erzwingen. Auch keine List und kein Trick hilft. Ein Samurai hatte sein ganzes Leben geübt, den Schrei des Hahnes im Morgengrauen nachzuahmen. Als er versuchte, den Wächter der Osaka Grenzbarriere, einer der am schwierigsten zu überwindenden Grenzschranken der Edozeit, mit diesem Hahnenschrei zu täuschen, bemerkte dieser den Trick sofort. Es gibt keine Möglichkeit, die Osaka – Schranke, die Grenzbarriere zum Satori, dem Erwachen, zu überschreiten, indem man in der Nacht den Hahnenschrei nachahmt.

Kan ist nicht nur die Schranke, die ein Gebiet vom anderen trennt, es ist auch die Trennung von Innen und Außen. Der Eingangsbereich des japanischen Hauses heißt Gen-Kan 玄関. 玄 Gen ist das Unscheinbare, Dunkle und Verborgene, das Geheimnisvolle und Mysteriöse. Im Inneren des Hauses, in dem für den Fremden geheimnisvollen Dunkel, ist der Ort der Ruhe. Kein Außenstehender kann die Schranke zum Inneren des Hauses übertreten und die Ruhe stören. Jeder, der hindurchgehen darf, ist hier zu Hause. Er hastet und irrt nicht mehr außen in der Fremde herum, er hat den Ort der Ruhe gefunden, der sein eigener Ort ist.

Der Gründer Daitô Kokushi („Grosse Leuchte Landeslehrer“ 1282–1337) des berühmten Zen-Tempels Daitoku-Ji in der alten Kaiserstadt Kyōto meditierte viele Jahre über diese scheinbar einfache Kōan. Nach vielen Jahren der Meditation über „Kan“ gelang Daitô Kokushi der plötzliche Durchbruch, als ihm eines Tages ein Schlüssel zu Boden fiel. Es war, als hätte dieser entglittene Schlüssel mit einem Schlag den Riegel vom Durchgang in den anderen Bereich geöffnet. Seine Zen Erfahrung war so klar und sicher, dass er nicht anders konnte, als ein Gedicht zu verfassen, das er seinem Lehrer übergab:

一 回 雲 関 透 過 了
南 北 東 西 活 路 通
夕 処 朝 遊 没 賓 主
脚 頭 脚 底 起 清 風
itsukai ûnkan o to kashi owari
nanbokutôsai katsuru tsûsu
sekisho chihô yû hinshû o botsu
kiyaku tô kiyakutei seifû o

Ein einziges Mal die Wolken-Sperre vollständig durchdringend hinübergegangen:
Süden Norden Osten Westen: lebendiger Weg weitet sich
abends am Ort, morgens spielend: Verschwinden von Gast und Gastgeber
Fuß Kopf Fuß – von unten bis oben reiner Wind.

Die unüberwindbare Barriere ist nicht nur überwunden, sie ist ganz eifach verschwunden, alle Richtungen sind weit und offen. Der lebendige Weg weitet sich nach Norden, Süden, Osten und Westen, in alle Richtungen. Es gibt weder Grenzbarriere noch Nicht-Barriere. Zwar weitet sich der Weg in alle Richtungen, aber eigentlich gibt es auch keine Richtungen mehr, so wie es weder Gast noch Gastgeber gibt, da alle Unterschiede, die ein Einzelnes ausgrenzen, verschwunden sind. Am Abend ruhend, heimgekehrt an den Ort des Ursprunges, kann er beliebig wieder hinausgehen und in alle Richtungen umherziehen, da es weder ein Innen noch ein Außen gibt.

Wie in der Geschichte vom Hirten, der auszog, um seinen Ochsen zu finden, ist er heimgekehrt und hat vergessen, dass er je seinen Ochsen, sein eigentliches Selbst verloren hatte.

Daitô Kokushi hat nach dieser Erfahrung 20 Jahre unter der Gojo-Brücke in Kyoto gelebt. Unter die Bettler gemischt übte er dort Zenmeditation, um seine geistige Reife weiter zu trainieren.

So wie mit KAN verhält es sich mit der Perle der Wunscherfüllung. Solange man sie sucht und mit aller Kraft nach ihr strebt, kann man sie nicht erreichen. Erst wenn man wie Buddha wunschlos geworden ist, merkt man, dass man die Perle nicht braucht, aber dann bekommt man sie geschenkt.
Aber ist der Mensch wirklich gemacht um glücklich zu sein?
In der Evolution sind wohl die Menschen, die einfach immer glücklich waren, ausgelesen und ausgestorben. Überlebt haben die, die mit Stress umgehen können und die im Lebenskampf nicht versagen.
Nur der Wunsch nach dem glückhaften Zustand der Wunschlosigkeit bleibt als unerfüllter Traum. Oder sollte es doch möglich sein, einmal so zufrieden zu leben?


Das Buch, aus dem dieser Text stammt, mit dem voraussichtlichen Titel:
"Von Drachen und anderen Menschen in China und Japan"
wird voraussichtlich im Mai erscheinen. Es wird etwa 200 Seiten mit vielen Abbildungen enthalten und ca. 15 Euro kosten. Wer das Buch jetzt schon vorbestellt, erhält einen Rabatt von 10 %. Selbstverständlich verpflichtet die Vormerkung noch nicht zum Kauf.

Im Sommer dann wird in einem Nürnberger Museum die lange vorbereitete Drachenausstellung eröffnet und bis Spätherbst zu sehen sein. Weiteres wird noch bekannt gegeben.


Japanfest in Eckental

Am Samstag / Sonntag, den 5. und 6. Mai wird wieder in Eckental ein großes Japanfest statt finden. Besucher sind herzlich willkommen. In diesem Jahr erwarten wir sogar eine Gruppe mit japanischen Taiko Trommeln. Auch der Japanische Generalkonsul wird das Fest besuchen.

NEU: Gesprächskreise über Skype

Es ist der Vorzug des Landlebens, dass man die Stille und die Natur geniessen kann. Aber manchmal, wenn wieder einmal die Internetverbindung über Funk ausgefallen ist, wird es zu still. Denn das Internet ist heute die unverzichtbare Brücke zur Welt. Aber seit Neuestem gibt es hier eine schnelle und stabile Verbindung, die auch genutzt werden wird.
Die Gesprächskreise hier im Myoshinan haben schon eine lange Tradition. Viele Teilnehmer kamen von weit her und es lohnt kaum für ein oder zwei Stunden eine weite Reis auf sich zu nehmen. Aber nun hält auch hier die Technik Einzug.
Seit einiger Zeit schon nutzen wir erfolgreich Skype für den Unterricht, warum sollen wir nicht auch unsere Gesprächskreise mit bis zu 5 oder 6 Personen über Skype führen? Skype selbst ist kostenlos, nur wenn man die Premiumversion nutzen will, die Videokonferenzen für mehr Teilnehmer ermöglich, zahlt man etwa 40 Euro im Jahr. Dafür kann man dann noch in ein Land der Wahl, selbstverständlich außerhalb von Deutschland, kostenlos telefonieren.

Wer also Interesse an einer Teilnahme an Gesprächskreisen via Skype hat, möge sich bitte anmelden. Weitere Formalitäten werden dann besprochen. Start wird voraussichtlich nach einer Testphase im April sein.

Seminare Teeweg

Über die Ostertage ist wieder ein intensive - Seminar im Teeweg im Myoshinan. Anmeldungen sind noch möglich.

Selbstverständlich kann auch - wie schon immer - individueller Unterricht, auch als Intensivkurs gebucht werden. Einfach per Anfragen im Myoshin An

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Viele Grüsse an {name}

Gerhardt Staufenbiel (Teezeremonie Lehrer, Leiter des Myōshinan Dōjō)

in Zusammenarbeit mit chanomiya.com


 


autor: g.staufenbiel   | © myōshinan chadōjō / teeweg.de