DAO - WEG

Dao De Jing Nr 1

DAO - WEG

道可道 非常道 - DO KA DO   HI JÔ DO

Bereits der erste Vers stellt nahezu unüberwindbare Schwierigkeiten für eine Übersetzung dar.
Das zentrale Wort in diesem Vers ist DO , meistens als WEG übersetzt.
(Im gesamten Artikel wurde die japanische Aussprache gewählt)

Das Wort kommt dreimal im Vers vor: als erstes und letztes Zeichen und als drittes Schriftzeichen. Das zweite DO ist aber eine andere Wortart als das Erste. Die chinesische Sprache unterscheidet kaum zwischen der verbalen und der substantivischen Bedeutung eines Wortes. Bei der Übersetzung in eine westliche Sprache muss aber dieser Unterschied zwangsweise deutlich ausgesprochen werden. Wir müssen zwischen Verb und Substantiv unterscheiden. Das Schwebende und nicht ganz Festgelegte, mit dem die chinesische Sprache arbeiten kann, geht automatisch bei einer Übersetzung verloren.
Übersetzt man DO als WEG, so müsste man das zweite DO etwa als "weg-en" (verbal) übersetzen. DO könnte auch als "Wort" übersetzt werden, dann wäre es an der zweiten Stelle so etwas wie "sagen". DO könnte auch als "Methode" übersetzt werden, aber wie ist dann die verbale Form von Methode?

Das Schriftzeichen für DO kann unterschiedlich gedeutet werden. DO - WEG Es besteht aus zwei Bildern, die zusammengefügt sind. Im Zentrum steht ein Kopf. Man kann das stilisierte Auge, die Stirn und zwei Haarlocken erkennen. Das umgebende Zeichen links und unten ist das Wurzelzeichen für "gehen". Es ist also offenbar ein Wesen, das Augen hat zu sehen und zu erkennen, das sich auf einem Weg be-wegt. Der Weg liegt dabei nicht nur zu den Füßen dieses wahrnehmenden Wesens. Eine sehr dynamische Linie, die vom Himmel herunter zur Erde verläuft deutet vielleicht an, dass das erkennende Wesen den Weg nicht aus eigener Mächtigkeit geht. Es ist geführt von einer Kraft zwischen Himmel und Erde und es folgt einer gebahnten Spur.
Nach einer anderen Deutung zeigt das Bild einen Jäger, der ein Wild verfolgt und dessen Spur im Dickicht aufnimmt.
Beide Deutungen zeigen eines deutlich: der Weg wird nicht aus eigener Mächtigkeit oder Kraft gegangen, immer ist es ein Wesen, das einer Spur folgt und auf dem WEG geführt ist. Der Weg wird nicht aus eigener Kraft oder Machtvollkommenheit gebahnt und gespurt. Das Auge nimmt lediglich eine bereits gelegte Spur wahr.
Das zweite Wort - japanische Lesung: KA - bezeichnet die Machbarkeit oder Möglichkeit einer Sache, betont aber eher den Aspekt, dass man es eher nicht tut oder tun sollte. 可道 ka do - die Möglichkeit des Wegens oder Sagens, die aber besser vermieden wird. DO KA DO ist der Weg oder das Wort, das jemand aus eigener Macht und Möglichkeit wegen oder sagen kann, es aber besser nicht tut.
Der zweite Teil des ersten Verses ist eine Negation. Er beginnt mit dem Wort NICHT - HI.
"Do als machbar: NICHT ewig(?) DO".

Übersetzung
Der erste Vers lautet in unterschiedlichen Übersetzungen:

Das sagbare Tao ist nicht das Tao des Absoluten.

Ein Dao kann es als Dao bestimmt werden, ist es kein stetiges Dao.

Ist die Führerin des Alls in Worten anführbar,
So ist es nicht die ewige Führerin,

Das Schriftzeichen JO wird oft als "ewig" übersetzt. Richard Wilhelm als der Pionier der Übersetzungen aus dem Chinesischen hat den ersten Vers übersetzt als:

Der SINN, der sich aussprechen läßt,
ist nicht der ewige SINN.

Das erste DO übersetzt er als SINN, das zweite verbal als "aussprechen". Es gibt also einen SINN, den man aussprechen kann und einen "ewigen" SINN. In der alten deutschen Sprache ist Sinn abgeleitet von "sinnan" - unterwegs sein. Demnach wäre Sinn eine durchaus adäquate Übersetzung für WEG und weg-eg. Aber das Wort Sinn ist derart mit Bedeutung belegt, dass es sofort missverstanden wird. Da gibt es eine "Sache" und deren eigentlichen "Sinn". Der Sinn einer Sache ist das Wesentliche. Die Sache selbst verdeckt den eigentlichen Sinn. Damit ist der Sinn so etwas wie die unveränderliche platonische Idee, die in dieser sich stets verändernden Welt niemals anzufinden ist. Erst wenn man sich von dieser Welt der Veränderungen abwendet, findet man zum "Ewigen", das abgetrennt irgendwo über dieser Welt der Dinge schwebt. JO - allgemein Die ersten Übersetzungen des Dao De Jing wurden von französischen Jesuiten angefertigt, die den Text in der Struktur des abendländisch metaphysischen Denkens verstanden.

Aber ganz entscheidend ist, dass das Schriftzeichen JO nicht als "ewig" übersetzt werden kann, ohne die Bedeutung völlig zu verfälschen. Das Zeichen zeigt ein hohes, glänzendes Dach. Unter diesem Dach ist eine Öffnung, ein Fenster, aus dem ein Tuch herunterhängt. Ähnlich aufgebaut ist das Schriftzeichen für Shi , einen Ort mit Marktrecht. An den Markttagen wurde eine Fahne aufgehängt, um öffentlich kundzutun, dass Markttag ist. Das Dach im Zeichen Jo ist noch höher und weiter sichtbar, das Gebäude mit der Fahne ist so hoch, dass darunter sogar noch ein Fenster Platz hat. Mit der Fahne wird Öffentlichkeit hergestellt. Das Schriftzeichen kennzeichnet also etwas ganz Allgemeines, Öffentliches, Gewöhnliches und allgemein Bekanntes. "Ewig" ist es nur in dem Sinne, dass es ohnehin allgemeingültig und damit auch immer und überall anwesend ist.

Der WEG, den man aus eigener Kraft und Macht bahnen und gehen kann - besser aber sollte man dies tunlichst vermeiden - ist nicht der allgemeingültige und gewöhnliche WEG.

Das Bild des Jägers, der die Spur des Tieres verfolgt, gibt eine sehr gute Vorstellung vom Do und beschreibt recht genau den Inhalt des ersten Verses. Der Jäger folgt einer Spur, die er nicht selbst gelegt hat. Wenn er auf dieser Spur seinem eigenen Willen folgt und eine eigene Spur anlegt, so wird er das Wild verfehlen. Er tut also gut daran, sich auf den gespurten Pfad zu begeben und sorgfältig darauf achten, dies Spur nicht zu verlieren. Sein eigener Wille dient lediglich dazu, seine aufmerksame Wahrnehmung wachzuhalten. Wenn er nicht von sich aus der gelegten Spur folgt, wird er das Wild nicht finden, wenn er nach seinem eigenen Willen die Spur neu und anders legt, wird er ebenso fehl gehen. "Der Pfad, den man aus eigenem Willen spuren kann, ist nicht der Pfad, der ALLES Weg-t." Die ersten beiden Bilder der Zen-buddhistischen Geschichte vom Ochsen und seinem Hirten zeigen diesen Sachverhalt sehr genau.
Verlassen in endloser Wildnis
schreitet der Hirte dahin
durch wucherndes Gras
und sucht seinen Ochsen.

Weit fließt der Fluß, fern ragt das Gebirge,
und immer tiefer ins Verwachsene
läuft der Pfad.

Im Anfänglichen verläuft keine Spur.
Wer könnte da suchen?
Beirrt kommt er herein in den tiefen Ort,
den dichter Nebel
und Geflecht von Ranken erfüllt.


Der Hirt macht sich aus eigenem Antrieb, eigenem 'Willen' auf den Weg. Der Antrieb zur Suche entspringt einem Mangel: er hat seinen Ochsen verloren. Der Ochse ist hier das Bild für das Selbst, aber er ist zugleich auch das Bild für das DAO. Lao-Tsi, das 'alte Langohr' reitet auf dem Ochsen, als er das Land nach Westen verläßt. Das ist ein Bild dafür, dass er Eins geworden ist mit dem DAO. Dieser Ritt auf dem Ochsen hat die späteren Zen - Bilder vom Ochsen und seinem Hirten mitgeformt.
Anfänglich sucht der Hirte mitten im dichten Rankengewirr, aber er findet keine gangbare Spur in Richtung auf den Ochsen. Ja, er merkt nicht einmal, dass er im Kreis herumirrt, weil er nicht auf seine Füße achtet. Er streckt seine Nase 'überwärts' und sucht den Ochsen ganz hoch oben. So bemerkt er nicht, dass er immer wieder in seine eigenen Fußstapfen tritt. Dies ist der WEG, der - aus eigener Kraft - gegangen werden kann, 道可道 DO KA DO.

Unter den Bäumen am Wassergestade
sind hier und dort die Spuren des Ochsen dicht hinterlassen.
Hat der Hirte den Weg gefunden
inmitten des dichtwuchenden Grases?

Wie weit auch der Ochse laufen mag
bis in den hintersten Ort des tiefen Gebirges:
Reicht doch seine Nase
in den weiten Himmel,
daß er sich nicht verbergen kann.


Jetzt hat der Hirte die Spur des Ochsen entdeckt und kann ihr folgen. Dazu aber muss er auf den Boden schauen und nicht mehr überwärts suchen. Die Spur liegt unmittelbar unter seinen Füßen. Aber gerade darum übersehen sie die meisten Menschen.

Viele Menschen suchen den Ochsen, doch Wenige haben ihn je gesehen.
Der eine Weg von Helle und Dunkel, auf dem Jegliches fortgeht und kommt.
Hat sich der Hirte auf solchem Wege gefunden, dann ist keine Not mehr.

Der Ochse ist überall. Seine Nase "reicht bis in den weiten Himmel, dass er sich nicht verbergen kann". Dennoch suchen ihn die Menschen vergeblich, weil sie nicht auf das schauen, was unmittelbar zu ihren Füßen liegt. Der Hirte ist jetzt, nachdem er auf den Boden schaut, unversehens aus dem dichten Rankengewirr herausgekommen und die Landschaft hat sich geweitet. Weil er nicht nach oben geschaut hat, ist er jetzt nach oben in die Weite des Gebirges gekommen und die Enge des Rankengewirres hat sich gelichtet. Wer den WEG gefunden hat, für den ist die Not verschwunden.

Der WEG, den man aus eigener Machtvollkommenheit bahnt, ist nicht der Allgemeine Weg. Dennoch muss man sich "willentlich" aufmachen, den WEG zu suchen und zu gehen. Hat man den "allgemeinen WEG" unter den Füßen gefunden, so kann man ihm folgen. Folgt man ihm, so verwirklicht man den allgemeinen WEG.


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