DIE RELIGION
Ihre Hauptschrift war das Lotos-Sutra, das Myô Hô Renge Kyô, eine schon vom Umfang her gewaltige Schrift des esoterischen Buddhismus, die einen tiefgreifenden Einfluß auf die Kultur Japans hatte. Allein das Studium des Lotos-Sutras setzte eine hohe Gelehrsamkeit voraus, so daß die religiöse Praxis auf die gelehrten Mönche beschränkt war. Sowohl Shingon als auch die Tendai übernahmen für den Staat und die Bevölkerung die Aufgabe, zu besonderen Gelegenheiten Sutren zu rezitieren. Damit wurde nicht nur für das Wohl des Staates oder die Gesundheit Einzelner gebetet - auch günstiges Wetter oder reiche Ernten konnten mit den richtigen Sutren herbeigebetet werden. Die Bevölkerung lebte in fast magischen Strukturen. Man mußte das Orakel befragen, welche Richtung heute günstig oder ungünstig war, wann die beste Zeit war, um Geschäfte abzuschließen, ja um den besten Tag für das Haareschneiden zu bestimmen. Zum Ende der Heian-Zeit verbreitete sich zusehends das Gefühl, im Zeitalter des mappô zu leben. In indischen Quellen war man der Auffassung, daß sich die Zeitalter gesetzmäßig zu einem Verfall und Untergang entwickeln würden. Die Geschichte gliedert sich nach dieser Auffassung in drei Zeitalter von je 1000 Jahren nach dem Tode des Buddha
Während der ersten Periode nach dem Tode des Buddha’s war Jedem, der genügend strebte, die endgültige Erleuchtung sicher. Später gibt es noch genügend heilige Männer, die sich aufrichtig und standhaft in Meditation üben, aber die endgültige Befreiung nicht mehr erreichen. Während des letzten Zeitalters werden zwar noch Tempel und Pagoden gebaut, unter den Menschen herrscht aber nur noch Ignoranz und Gleichgültigkeit gegenüber dem buddhistischen Gesetz. Demzufolge verbreiten sich Irrlehren, die Zunahme von Begierden, die Schwächung des menschlichen Körpers und Geistes und eine Verkürzung des Lebens. Genshin (942 – 1017), ein gelehrter Tendai - Mönch meint in seiner Schrift "Grundlagen der Erlösung", die Kamo in seiner Hütte verwahrte, daß die Ursache für den Verfall im Zeitalter des mappô im Wesentlichen darin liegt, daß die Vergänglichkeit (mujô) und das Leiden (ku) in Vergessenheit geraten. So werden die Menschen im Streben nach Besitz und Reichtum gefangen und geraten dadurch immer tiefer in das Leiden. Deshalb ruft Kamo das Wissen um die Vergänglichkeit aller Dinge mit geradezu beschwörenden Worten wieder wach: "Unaufhörlich strömt der Fluß dahin, gleichwohl ist sein Wasser nie dasselbe. ...der morgendliche Tau auf den Blüten der Ackerwinde vergeht. Der Tau mag herabfallen und die Blüten fortbestehen, jedoch nur, um in der Morgensonne zu welken. Oder der Tautropfen mag sich auf der Blüte halten, gleichwohl wird er den Abend nicht erreichen." Genshin gehörte zu den wichtigsten Denkern des Jôdo – Buddhismus, einer Schule, die sich innerhalb des Tendai ausbildete. Amida Buddha lebt nach der Auffassung des Jôdo im "Reinen Land", dem "westlichen Paradies". Unklar ist, wo sich dieses Reine Land befindet: vielleicht ganz im Westen, der Richtung des Sonnenunterganges und des Todes? Vielleicht ist es auch nur ein innerer Zustand, den man augenblicklich durch rechte Meditation erreichen kann!
Sicher aber unterschied Amida nicht, ob sich jemand als Mönche fleißig in Meditation übte oder ob er ein einfacher Mensch, vielleicht sogar unreiner Bauer, Jäger oder Fischer war. Alle werden unterschiedslos in das Reine Land eingehen. Nicht mehr die eigene Anstrengung (jiriki) des Übens ist erforderlich, sondern lediglich das Vertrauen auf die Gnade Amidas, die "Kraft des Anderen" (tariki). Man hatte nichts weiter zu tun, als in voller Aufrichtigkeit des Herzens den Namen Amidas mit der Formel "Namu Amida Butsu" (Lobpreis Amida Buddha) zu rufen. Das Nembutsu Rezitieren wurde besonders von Hônen Shônin, ursprünglich ebenfalls ein Tendai - Mönch und Zeitgenosse Kamo’s, als Übung für die einfachen Menschen propagiert, die nicht in der Lage waren, sich in das Kloster zurückzuziehen und voll und ganz den eigenen religiösen Übungen und der persönlichen Erleuchtung zu leben. Hônen zog - das Nembutsu singend - durch das Land und predigte die Erlösung im reinen Land des Amida. Er wurde zunächst von den einflußreichen und konservativen Tendai der Irrlehre bezichtigt und verbannt. Auf seinem Weg in die Verbannung gewann er aber immer mehr Anhänger und er durfte schließlich 1211 in Kyôtô, unweit des Stelle, an der später der silberne Pavillon entstehen sollte, ein eigenes Kloster, das Hônen-In gründen. Die Lehre vom Reinen Land gewann von hier aus großen Einfluß auf die Künste des mittelalterlichen Japan bis hin zum Teeweg.
Kamô zeigt die ganze Spannung der unterschiedlichsten buddhistischen Schulen in seiner Hütte:
"Zum Norden hin habe ich das Innere meiner Hütte mit einem Wandschirm unterteilt, dahinter das Bildnis des Amida Buddha aufgehängt, daneben eines des Bodhisattva Fugen. Davor habe ich das Lotossutra gelegt. ... (im Regal in Lederkörben habe ich ) Abschriften von Werken zur japanischen Poesie und Musik sowie Auszüge aus religiösen Schriften wie den "Grundlagen zur Erlösung (des Genshin) gelegt." Der Boddhisattva Fugen (sanskrit: Samanthabhadra) sitzt auf einem weißen Elefanten zur Rechten des Shakyamuni. Nach dem Lotussutra, der wichtigsten Schrift der Tendai, beschützt er die Gläubigen und hilft ihnen auf dem Weg zur Erleuchtung. Darum hat Kamo das Lotossutra vor ihn gelegt. Lotossutra, Fugen und Amida: die alte elitäre und gelehrte Religion der Tendai neben der neuen volkstümliche Religiosität. Kamo’s Hütte liegt in einer Landschaft, die in ihm starke religiöse Regungen hervorruft: sie ist für ihn schon wie das Reine Land, in das ihn später Amida-Buddha rufen wird: "Der Berg wird Toyama genannt. Schlinggewächse verbergen die Pfade, und die Täler sind dicht bewachsen. Zum WESTEN hin (der Richtung des Reinen Landes!) öffnet sich das Tal jedoch in eine Lichtung. Es ist also keineswegs so, daß mir dieser Anblick nicht die Gelegenheit zur Kontemplation des Reinen Landes im Westen, Amidas Paradies, böte. Im Frühjahr blicke ich auf Wogen von Glyzinien.Violetten Wolken gleich erstrahlen sie im Westen."
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