Seit dem zweiten Weltkrieg sind japanische Künste und Religionen mehr und mehr in Europa heimisch geworden.
Können wir die japanischen Künste ohne Veränderung übernehmen oder müssen sie sich an die Lebensumstände in Europa anpassen?
In Japan ist ebenso vieles im Umbruch begriffen wie in Europa. Die Kulturen sind sich noch nie so intensiv begegnet wie heute. Mit die besten Musiker für klassische Musik kommen aus Japan. Viele Europäer üben Zen, die Kampfkünste oder den Teeweg.
Zunächst übt die Exotik der Wege eine ungeheure Anziehungskraft aus, aber möglicherweise stellt sich im Laufe der Zeit ein gespaltenes Gefühl ein. Einerseits wird man heimisch in der Kunst, die man übt, andererseits wird das Japanische immer fremder.
Ich hatte schon viele Jahre den Teeweg geübt, war aber noch niemals in Japan gewesen, weil ich Angst hatte, in Japan erkennen zu müssen, dass wir eine museale und tote Kunst üben. Als ich in Japan ankam, hatte ich das merkwürdige Gefühl, hier vollkommen zu Hause zu sein, so als hätte ich schon immer hier gelebt. Und das geht mir heute noch so, wenn ich das Land bereise.
Aber andererseits wird mir das Land immer fremder. Wir EuropƤer lernen auf vƶllig andere Weise als die Japaner. Japaner fragen niemals, sie ahmen nach. Wir fragen, weil wir von klein auf das Fragen gelernt haben. Manch Nicht-Japaner hat groĆe Schwierigkeiten, sich auf das Nach-machen einzulassen. Aber nach einiger Zeit merkt man, dass es eine gute Methode sein kann, wenn man einen WEG übt. Aber irgendwann kommt dann doch das "Warum". Und schon hat man sich bei seinem japanischen Lehrer total unmƶglich gemacht.
Und dann das Verhältnis zum Lehrer. In Japan überlässt man sich vollkommen willenlos dem Lehrer. Der wird schon wissen, was für mich gut ist. Oberstes Gebot: Niemals zweifeln, niemals nachfragen, niemals versuchen, eigene Gedanken zu entwickeln. Klar, auf den Wegen liegt das gesammelte Wissen von Jahrhunderten. Also kann ich mich dem vertrauensvoll überlassen.
Wirklich? Geht nicht gerade heute ungeheuer viel vom Alten in Japan verloren? Ein Beispiel ist die Frage nach dem Zusammenhang von Tee und Zen. Für mich gab es keine Frage, dass der Teeweg ein Zen-Weg ist. Tee ist Meditation.
Aber genau das würden die meisten Japaner (oder doch lieber Japanerinnen, denn vielleicht 90 % der Teeleute in Japan sind Frauen) nicht bestätigen. Tee ist eine gute Gelegenheit, alte Traditionen zu pflegen, sprich: einen Kimono tragen, einen Kreis von Leuten zu treffen, die sich auch mit Tee beschäftigen, schöne Gespräche zu führen und ganz nebenbei auch noch gutes Benehmen zu lernen.
Und genau das ist für mich NICHT der Teeweg. Manches davon ist sicher auch ein Nebeneffekt im Teeweg, aber das Zentrale ist das Meditative - für mich und für die meisten meiner Schüler.
Haben wir gar in Japan ein völlig anderes Verständnis des Teeweges? Wer von beiden hat recht? Oder gibt es gar nicht DEN Teeweg? Vielleicht ist der Teeweg für jeden etwas völlig Anderes.
Ein Amerikaner, der sehr viel über den Teeweg weià hat mir einmal gesagt: "Kein Japaner wird jemals in der Lage sein, den Teeweg zu verstehen!"
Upps. Japaner kƶnnen den Teeweg nicht verstehen?
Einspruch: die heutigen Japaner. Tee ist eben das, was die Oma, die Tante oder die Mutter macht. Und mit diesem antiquiertem Zeugs will man mƶglichst nichts zu tun haben.
Der Teeweg hat sich in der Meiji-Restauration stark verƤndert und er hat nach dem zweiten Weltkrieg nochmals groĆe VerƤnderungen erfahren. Nach der Meiji-Restauration inst der Teeweg zu einem konfuzianischen Erzeihungs-system geworden, in dem man im Wesentlichen gute Sitten und rechtes Benehmen gegenüber dem Hƶhergestellten lernt. Heute ist er weitestgehend "Folklore", eine Art von Schuhplatteln eben, das man in Heimatvereinen übt. Tee und Zen? NEIN. Zen ist fürchterlich anstrengend, kein vernünftiger Mensch würde sich einer solchen Tortur unterziehen.
Nur die komischen Ausländer rennen in die Zenklöster und übern Zen. Kein Japaner, der noch bei Sinnen ist und der nicht von seinem Vater oder seinem Onkel den Zen-Tempel übernehmen will, würde sich so etwas antun.
Und dann das VerhƤltnis zum Lehrer.
Wir haben in der Nachkriegszeit so etwas wie antiautoritäre Erziehung ausprobiert. Die Grundidee ist, die Menschen zu freien und mündigen Bürgern zu erziehen. Die grundsätzliche Erziehungsidee in Japan ist es, den Menschen gruppenfähig zu machen. Auf den Schulausflügen sieht man die kleinen Stöpsel der unteren Klassen. Alle tragen gelbe Mützen. Die von der anderen Schule oder der anderen Klasse tragen rote Mützen. Und die anderen blaue. Bei Reisegruppen geht immer ein Reiseleiter mit einer gelben, roten oder blauen Fahne voran, damit niemand aus der Reihe tanzt.
Sicher würde unseren Schulen etwas mehr Respekt dem Lehrer gegenüber gut tun. Aber wollen wir zur UniformitƤt erzogen werden? Ein Lehrer, der mir nicht erklƤrt bzw. überhaupt nicht erklƤren will, wozu das gut ist, was ich gerade lernen soll, ist für mich kein echter Lehrer. Das muss keine groĆartige ErklƤrung sein: "das stƤrkt die Atmung" z.B. Das reicht, das sehe ich ein und ich verstehe, dass der Lehrer weiĆ, was er mit mir tut.
Ich glaube, dass sich vieles in der Vermittlung der alten kostbaren Wege Ƥndern muss, wenn sie in den Westen kommen. Aber wir wollen auf keinen Fall das wirklich Wesentliche Verlieren. Vielleicht sind die Japaner gerade dabei, das zu tun.
Wir müssen vieles verƤndern. VerƤndern aber heiĆt bewahren!