Monatsbrief Dezember 2011

Leider kam der Monatsbrief in der letzten Zeit nicht mehr so regelmäßig. Aber das nächste Jahr, das ein Jahr des Wasser - Drachens wird, wirft schon lange seinen Schatten voraus.
Wir bereiten eine Ausstellung mit Drachen im Siebold Museum vor, und da gab und gibt es im Vorfeld eine Menge zu tun. Unter anderem ist geplant, ein Buch mit Geschichten über chinesische und japanische Drachen zu schreiben. Immerhin ist ja der Drache das stärkste und wichtigste Fabelwesen in Ostasien. In China hat man ein Grab gefunden, in dem neben dem Toten die Figur eines Drachen und auf der anderen Seite die eines Tigers aus Muscheln gelegt war. Die Entstehungszeit des Grabes wird von den Archäologen inzwischen auf etwa 6500 v. Chr geschätzt. Das Paar Tiger und Drache ist heute noch eine standardmäßige Darstellung in China und Japan.

In diesem Monatsbrief wollen wir uns mit Drachen im I Ging befassen.

Drachen im I Ging

Das I Ging ist die älteste Schrift Chinas.

Wir wollen hier nicht das gesamte I Ging untersuchen, sondern nur die Rolle, die Drachen im I Ging spielen. Schon in der Entstehungsgeschichte wimmelt es nur so von Drachen. Und das erste Zeichen, das Quian - der Himmel heißt, zeigt, wenn man es genauer anschaut, lauter Drachen, die aus der Tiefe des Wassers aufsteigen, bis sie allmählich vollkommen im Himmel verschwinden. Das I Ging soll vom ersten Kaiser Fu-Xi (oder Fu Shi) erfunden und geordnet worden sein. Fu-Xi lebte am Gelben Fluss, zu einer Zeit, als es noch keine gewebten Kleider gab, keine Waffen aus Metall und keine Netze zum Fangen von Fischen, und als das Kochen von Speisen noch nicht erfunden worden war. So erzählen es jedenfalls die Geschichten über ihn. Aber vieles, was man von ihm hört, klingt doch eher wie ein Märchen.

Fu-Xi - das klingt, wenn man es spricht wie Fuh-schi, soll geboren worden sein, als seine Mutter am Ufer des Gelben Flusses in eine Schlammpfütze aus gelbem Löß trat. Davon wurde sie schwanger, und Fu-Xi wurde geboren. Also ist er ein direkter Nachkomme der gelben Erde Chinas. In manchen Erzählungen war seine Mutter die Schlangen- oder wahrscheinlich eher drachengestaltige Nü-Wa, wörtlich „weibliche Schlangengottheit“. Aber das scheint dann doch etwas gewagt, weil er Nü-Wa ja später heiratete. Also formte man die Geschichte ein wenig um, und nun war Nü-wa die Schwester und zugleich spätere Gemahlin von Fu-Xi. Das ist zwar immer noch etwas schwierig, aber wir werden später sehen, warum es absolut nötig war, dass die beiden Geschwister heirateten.

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NÜ-Wa Palast in Handan, Provinz Heibei

Nü-Wa ist aber nicht nur als Gemahlin des Fu-Xi wichtig, sie ist selbst eine große und mächtige Gestalt, unabhängig von ihrem Bruder-Gemahl. Sie wird in den vielen verschiedenen Volksstämmen Chinas, nicht nur unter den Han Chinesen heute noch als große Göttin verehrt. In der Provinz Heibei am Gelben Fluss kann man heute noch den Palast der Nü-Wa besuchen, der als prächtiger Tempel in eine Felsengrotte hinein gebaut ist.

Einmal kämpfte der Wassergott Gonggong, der vermutlich auch ein Drache war, gegen den Feuergott Zhurong. Gongong‘s Oberkörper sah wie der eines rothaarigen bärtigen Mannes aus, sein Unterkörper war drachen-schlangen förmig. Der Kampf zwischen Feuer und Wasser findet ja heute immer noch statt, mal gewinnt das Feuer, mal das Wasser, aber wenn beide im Gleichgewicht sind, dann kann nur Gutes entstehen.

Als der Wassergott merkte, dass er den Kampf verlieren würde, stürzte er sich in den Berg Buzhou, der eine der Säulen des Himmels war. Der Himmel, der nun nur noch auf drei Pfeilern stand, stürzte ein, und das Wasser vernichtetet alles. Wilde Bestien, Drachen und Schlangen verwüsteten die Erde. Da schmolz Nü-Wa fünffarbige Steine im Feuer und reparierte damit den Himmel. Man sieht, dass so früh schon das bunte Glas erfunden wurde, noch lange, bevor die Menschen das Kochen lernten. Noch heute kann man Nü-was Scherben aus farbigen Glas am Himmel sehen. Manchmal leuchten sie im Abendlicht oder nach Gewittern bunt und farbig, so wie Nü-Wa sie eingesetzt hatte. Daran sieht man, dass die Geschichte wahr sein muss, denn man kann die Folgen ihrer Tat heute noch mit eigenen Augen sehen.

Nun nahm Nü-Wa die Füße von einer riesigen Schildkröte, selbstverständlich, das wissen wir jetzt schon, ist die Schildkröte auch ein Drache. Die beiden längeren Füße setzte sie im Westen als Himmelsstütze ein, die beiden kürzeren im Osten. Daher kommt es, dass der Himmel im Westen Chinas, wo die hohen Berge bis nach Tibet reichen, wesentlich höher ist, als im Osten, wo der Himmel ganz tief über der flachen Ebene des Gelben Flusses liegt, dort wo der Gelbe Fluss in das Meer einmündet. Nü-Wa nahm nun Asche aus Schilf und trocknete damit das viele Wasser aus. So brachte sie die Welt, die durch den Streit des Wasser- und des Feuergottes vollkommen aus den Fugen geraten war, wieder in Gleichgewicht.

Fu-Xi war offenbar nicht ganz so mächtig wie seine Schwester, die scheinbar eine Ur-Mutter gewesen ist. Aber immerhin hat er das I Ging erfunden.

Einmal, vor langer, langer Zeit, gab es eine furchtbare Flut, die alles Land bedeckte, und alle Menschen ertranken. Es wird nicht erzählt, ob das die selbe Flut war, die Nü-Wa dann austrocknete. Nur Fu-Xi und seiner Schwester Nū-Wa überlebten, weil sie sich auf den hohen Berg Kunlun in Tibet zurückgezogen hatten. Der war so hoch, dass das Wasser nicht bis hier hinauf reichte. Solche Geschichte müssen ganz einfach wahr sein, weil wir die ja auch schon gehört haben. Nicht nur, das Noah bei der großen Flut mit seiner Arche auf dem Ararat landete. Auch im alten Griechenland erzählt man die gleiche Geschichte, dort heißen die beiden Geschwister Deukalion und Pyrrha, und sie überlebten auf dem hohen Gipfel des Parnass oberhalb von Delphi.

Nach einer anderen chinesischen Geschichte - und es gibt ganz viele verschiedene Geschichten in China über das Urpaar Nü-wa und Fu-Xi, weil jede Volksgruppe sie anders erzählt, wurden die Beiden von einer riesigen Schildkröte vor der Flut gewarnt. Und Riesen-Schildkröten sind nun mal bekanntlich eine Erscheinungsform von Drachen.

Nach der Flut waren nur noch Fu-Xi und Nü-Wa übrig. Sie wollten so gern wieder Menschen schaffen, aber weil sie ja Bruder und Schwester waren, konnten sie das nicht auf die übliche Weise tun. Also beteten sie zum Herrscher des hohen Himmels um ein Zeichen. Der göttliche Herrscher befahl ihnen, Menschenfiguren aus Ton zu fertigen. Zugleich gab er ihnen göttliche Kräfte, und alle Tonfiguren wurden zu lebendigen Menschen, die Figuren, die Fu-Xi gemacht hatte, zu Männern, und die der Nūwa zu Frauen. Deukalion und Pyrrha in Griechenland waren in einer ähnlichen Notlage, aber bei ihnen genügte es, dass sie die Knochen ihrer Mutter hinter sich warfen. Diese Knochen waren - so verstanden es jedenfalls die Beiden - die Steine, die rund um den Gipfel des Parnass lagen, denn die Steine sind ja die Knochen unserer Mutter Erde. Steine, die Pyrrha hinter sich warf, wurden Frauen, die Steine des Deukalion, wie könnte es anders sein, Männer. Pyrrha heißt übrigens „die Rote“. Sie ist rot wie das Feuer ,Pyr‘. Also wurde sie immer mit roten Haaren dargestellt. Vielleicht heißt sie aber auch so, weil sie rot war die die fruchtbare Erde Griechenlands.

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NÜ-Wa und Fu Xi

Nü-Wa und Fu-Xi hatten keine rote Erde zur Verfügung, sondern nur den gelben Löß, aus der Gegend rund um den Gelben Fluß, der ja von dem gelben Löß seinen Namen hat. Also nahmen die beiden für ihre Arbeit die Gelbe Erde, die überall am Gelben Fluß zu finden ist, und so sind die Chinesen eben die „Gelben“. Sie sind so gelb, weil sie aus der Erde des Gelben Flusses stammen. Als man dann bei uns im Barock die Welt aufteilte in die vier Erdteile, so waren weiß und schwarz schon vergeben.Die „Schwarzen“ kamen aus Äthiopien, die „Weissen“ aus Griechenland und Europa. Man hatte damals auch schon gehört, dass die Chinesen gelb sind, also blieb für das neu entdeckte Amerika nur noch die Farbe rot übrig. Darum sind die Ureinwohner Amerikas einfach die Roten. Aber hat jemand schon mal einen Indianer mit roter Haut gesehen? Oder einen Chinesen mit gelber? Die sehen alle, wenn sie nicht in der Sonne waren, genauso weiß aus wie wir auch.

In einer Geschichte formte nur Nü-Wa die Figuren und stellte sie zum Trocknen auf, als es zu regnen begann. Eilig brachte sie die Figuren in eine Höhle, aber einige waren schon vom Regen beschädigt. Daher kommt es, dass manche Menschen mit fehlenden Gliedmaßen oder mit Beschädigungen geboren werden. In manchen Nü-Wa Tempeln in China verkaufen die Menschen an bestimmten Feiertagen auch kleine, aus Ton geformte „Hunde“ , die Nini-gou, Schlamm-Hunde. Aber das sind nicht nur Hunde, sondern auch andere kleine Tiere aus Ton. Zur Begründung erzählt man, Nü-Wa habe ja schließlich nicht nur Menschen aus der gelben Erde formen müssen, die Tiere waren ja auch alle durch die Flut vernichtet! Vielleicht hat ja der erste Kaiser von China  Qín Shǐhuángdì, nach dessen Familie der Qin - gesprochen Chin - das große Land heute noch China heißt, seine Idee der Armee aus Tonkriegern von diesem Mythos der Nü-Wa. Menschen kann man aus Ton formen! Weiter im Westen soll da noch jemand auf eine solche Idee gekommen sein!

Wenn man sich das Bild des Geschwister - Ehepaares anschaut, so sieht man, dass sie beide einen menschlichen Oberkörper und einen schlangen- drachenartigen Unterkörper haben. Sie gleichen damit aufs Haar den schlangenartigen Drachen, die ganz China bevölkern. In den Händen halten sie Werkzeuge, wie Zirkel oder Zimmermanswerkzeuge, weil sie ja die Welt neu wieder geordnet hatten. Im Hintergrund sieht man die Sterne des Himmels, den Nü-Wa repariert hatte, unten ist der Mond und oben die Sonne zu sehen

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Später aber, als die sich Menschen in der neuen Ordnung eingerichtet hatten, nahm Fu-Xi menschliche Gestalt an, und er wurde der erste Urkaiser der Menschen am Gelben Fluss.

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Fu Xi sinnt über die
Ordung des I Ging nach

Nachdem also die Welt soweit wieder hergestellt war, musste Fu-Xi nun daran gehen sie zu ordnen. Eines Tages saß Fu-Xi meditierend am Ufer des Gelben Flusses, eingehüllt in Felle von Löwen und Panthern, denn die Menschen konnten ja noch keine Stoffe weben. Da stieg plötzlich ein Drachenpferd aus den Fluten des Stromes. Das Wesen hatte zwar die Gestalt eines Pferdes, aber es trug Drachenschuppen, die hell strahlten. Eigentlich war dieses Drachenpferd der Gelbe Fluss selber, der sich in der Form des Drachens zeigte. Dieses Drachenpferd trug seltsame Zeichen auf dem Rücken. Um diese Zeichen zu verstehen, „blickte er empor und betrachtete die Bilder am Himmel, blickte nieder und betrachtete die Vorgänge auf Erden. Er betrachtete die Zeichnung der Vögel und Tiere und die Anpassung an die Orte. Unmittelbar ging er von sich selbst aus, mittelbar ging er von den Dingen aus. So fand er die acht Zeichen, um mit den Tugenden der lichten Götter in Verbindung zu kommen und aller Wesen Verhältnisse zu ordnen“. So wird in einer alten chinesischen Schrift über die Entstehung des Yi Jing berichtet.

Die acht Zeichen sind Bilder, die alles zwischen Himmel und Erde abbilden. Die Ordnung der Zeichen lernte Fu-Xi aus der Betrachtung des Drachenpferdes, aus der Beobachtung von sich selbst und der gesamten Welt. Sie bestehen aus drei übereinander angeordneten Strichen, die Erde, Mensch und Himmel vertreten. Noch heute zeigt das Schriftzeichen für den König 王 die drei Ebenen Himmel, Mensch und Erde, die durch eine senkrechte Linie verbunden sind: der König ist derjenige, der in der Lage ist, diese drei Ebenen miteinander in Einklang zu bringen. 

Gedanken zum I Ging

Im I Ging gibt es „gebrochene“ und „ganze“ Linien. Das kommt daher, dass man - vielleicht noch vor den Zeiten von Fu-Xi - Schildkrötenpanzer im Feuer erhitzte und schaute, welche der Linien auf dem Panzer in der Hitze brachen, und welche nicht. Die ganzen Linien sind fest und hell, die gebrochenen weich und dunkel. Kombiniert man die drei Linien zu einem Zeichen, so entsteht ein Bild. Es gibt acht mögliche Kombinationen der festen und der gebrochenen Linien.


乾 Qián 坤 Kūn 離 Lí 坎 Kǎn 兌 Duì 艮 Gèn 震 Zhèn 巽 Xùn
Himmel Erde Feuer Wasser See Berg Donner Wind
天 Tiān 澤(泽) Ze 火 Huǒ 水 Shuǐ 地 Dì 山 Shān 雷 Léi 風 Fēng

In der Tabelle stehen oben die Namen der Zeichen, die sie im I Ging tragen, ganz unten, wie sie im Chinesischen im Alltagsgebrauch heißen.

Drei feste, helle Striche sind der Himmel ☰, drei weiche Linien die Erde ☷. Eine dunkle, weiche Linie in der Mitte mit zwei festen hellen Linien außen ist das Bild des Feuers ☲: eine Flamme ist in der Mitte dunkel. Betrachtet man zum Beispiel eine Kerzenflamme, so sieht man einen dunklen Kern, der außen von einem hellen Lichtkranz umgeben ist. Der Kern ist deshalb dunkel, weil dort die Flamme am Brennmaterial haftet, das noch so kalt ist, dass es nicht brennt, aber außen ist die Temperatur hoch und das Material verbrennt. Darum ist das Feuer auch das „Haftende“, weil es anhaftet am Material. Wenn das Brennmaterial aufgezehrt ist, erlischt die Flamme. Auch Menschen können „brennen“, aus Leidenschaft oder weil sie für ihre Sache brennen. Aber das Bild des Feuer gibt eine Warnung: Wenn das Haftende, dem die Leidenschaft anhaftet, aufgezehrt ist, erlischt das Feuer. Ein weiser Mensch achtet darum darauf, dass dem Feuer immer wieder Nahrung gegeben wird, damit er nicht „ausbrennt“. Weil das Feuer brennt, leuchtet es und macht hell, ähnlich wie der Himmel, der aus hellen Strichen geformt ist.
Aber der Himmel ist von Natur aus hell, er verzehrt sich nicht wie das Feuer.

Feuer ist auch hell und leuchtend. Es bringt Licht und Klarheit, Verstehen und Intelligenz, weil es mit seinem Licht das Dunkel der Ignoranz vertreibt. Feuer strebt nach oben, Wasser nach unten. Wenn oben Wasser ist und unten Feuer, und wenn beide in einem guten Gleichgewicht sind, so entsteht das Bild des Kochens von Wasser. Aber es ist große Vorsicht geboten. Wenn das Feuer zu stark ist, entwickelt sich viel Dampf und das Wasser verschwindet oder kann gar explodieren. Oder es kocht über und löscht dann das Feuer. So kann man aus dem Verhältnis von Feuer und Wasser große Vorsicht und Behutsamkeit lernen. Man könnte noch viel erzählen über die anderen Zeichen und ihre Kombinationen, aber das ist dann ein anderes Thema.

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Die Ordnung des "frühen Himmels"
nach Fu Xi"

Fu-Xi dachte nach und ordnete die acht möglichen Zeichen aus drei Linien in der Ordnung, wie er sie auf dem Drachenpferd gesehen hatte. In der oberen Hälfte des Kreises liegen die Zeichen, in denen das Helle überwieg, im unteren das Dunkle. Ganz oben ist das Zeichen des Himmels mit drei ganzen, hellen Strichen. Im Uhrzeigersinn folgen dann der Wind, das Wasser, der Berg. Ganz unten liegt mit drei dunklen, weichen Strichen die Erde. Dann folgt der Donner mit einem hellen Strich unten, dann das Feuer und der See. Die Anordnung der Zeichen durch Fu-Xi ist streng logisch.

Die gegenüberliegenden Zeichen sind jeweils das genaue Gegenbild des Anderen: Jeder helle Strich wird im Gegenzeichen zum Dunklen und umgekehrt. Zu den hellen, ungebrochenen, ganzen Strichen gehört die Zahl Eins, zu den gebrochenen, weichen die Zahl zwei, weil die auch teilbar ist. Wenn man den hellen Strichen die Zahl Eins und den dunklen die Zahl Zwei zuordnet, so ergibt die Summe aller Striche zweier Gegenzeichen genau Neun. Und die Neun ist eine heilige Zahl, weil sie die erste neue Zahl nach der Acht ist. Es gibt genau acht Zeichen des I Ging, acht Himmelsrichtungen usw. Die Neun ist die erste Neue. Im Griechischen heißt Neun En-nea, die erste Neue. Also hat man auch in Europa mit dem achter System gerechnet. Die Neun ist die erste Neue und die Zahl der Drachen.

Viel später, aber immerhin noch vor über viertausend Jahren, soll der Kaiser Yu, der Yade - Kaiser (YU - Di), der später von den Daoisten als göttlicher Kaiser verehrt wurde, wieder einmal am gelben Fluss meditiert haben, als eine riesige Drachenschildkröte aus dem Wasser stieg, die ebenfalls merkwürdige Zeichen auf ihrem Rücken trug. Der Yadekaiser dachte nach und fand in den Zeichen eine andere Anordnung der acht Trigramme als Fu-Xi.

Natürlich ist die Schildkröte, die aus dem Gelben Fluss stieg, ebenfalls ein Drache, nur eine andere Erscheinungsform. Der Unterschied zwischen dem Drachenpferd und der Drachen-Schildkröte besteht darin, dass sich das Drachenpferd sofort aufschwingt und zum Himmel fliegt, während die Schildkröte die Welt auf ihrem Rücken trägt. Darum tragen Drachenschildkröten in China, Japan und Korea oft gewaltige Steintafeln oder Grabdenkmäler auf ihrem Rücken, auf denen wichtige Ereignisse verzeichnet sind, die wir Menschen nicht vergessen sollen.

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Ordung des "Späten Himmels"
nach dem Gelben Kaiser Yu Di

Die Anordnung der Zeichen, wie sie Fu-Xi aus dem Muster auf dem Drachenpferd entnahm, ist eine ganz stabile Ordnung. Alles ist im Gleichgewicht und vollkommen ausgewogen. Aber das ist wohl doch die Himmlische Ordnung. Der Himmel ist stabil, auch wenn er sich ständig verändert. Aber die Abfolge von Tag und Nacht, von den Jahreszeiten und den 28 - jährigen Zyklen der Wiederkehr des Gleichstandes von Sonne und Mond sind immer gleich und unveränderlich. Aber in der Welt, in der wir leben, ist die Veränderung von ganz anderer Art. Dort gibt es Geburt und Tod, dort folgt Generation auf Generation. Und diesen Wandel sah der Yadekaise Yu-Di in den Zeichen auf dem Rücken der Schildkröte.

Wir beginnen unsere Betrachtung der Zeichen dieses mal nicht mit dem oberen Zeichen, sondern mit dem Zeichen ganz rechts, im Osten des Kreises. Dieses Zeichen ist der Donner. Man sieht einen hellen Strich unten, darüber zwei dunkle, gebrochene Striche. Das ist das Bild eines Drachen, der aus der dunklen tiefe der Erde beginnt, zum Himmel aufzusteigen. Der Donner ist nach chinesische Auffassung kein himmlisches Phänomen. Es ist die Erde, die dröhnt und erschüttert wird. Das geschieht bei Erdbeben, die aber in China nicht so häufig sind wie in Japan. Es geschieht auch, wenn die Menschen tüchtig feiern und die Trommeln schlagen und zur Musik tanzen. Das tun sie in Zeiten des Aufbruchs, zum Beispiel im Frühjahr. Der Aufbruch liegt im Osten, weil von dort her die Sonne am Morgen aufsteigt und allmählich ihr Licht am ganzen Himmel verbreitet. Also ist der Donner das Erschütternde, das uns Menschen ergreift in der Freude, das und in der Aufbruchstimmung. Darum liegt der Donner im Osten und seine Zeit ist das Frühjahr, wenn die Erde wieder aufbricht nach der langen Winterruhe und sich neues Leben zeigt.

Das nächste Zeichen ist der Wind mit einer weichen, dunklen Linie unten und zwei hellen Linien oben. Wären es drei helle Linien, so wäre dies der Himmel. Der Donner, der aus der Erde hervor bricht und der Wind, der unter dem Himmel sanft dahin streicht, sind wie zwei Gegensätze, aber beide bringen den Neuanfang, denn der Wind, der warm über die Gewässer streicht, bricht das Eis und bringt neue Wärme und neues Leben. Er ist zugleich auch das Holz, nicht das tote und trockene Holz, das gut brennt, sondern das Holz oder die Pflanzen, die nun im Frühjahr den Boden aufbrechen und wieder neues Leben in der Pflanzenwelt bringen. Das nächst Zeichen ganz im Süden hat zwei helle Striche außen und einen dunkeln in der Mitte. Es ist das Feuer, das schon näher beschrieben worden ist. Das Holz ist gewachsen und kann nun das Feuer nähren. Das Feuer bringt Wärme, aber vor allem auch das Licht. So ist ein Mensch, der sich auf den Weg gemacht hat und aus dem Aufbruch nun neues Wachstum gestiftet hat, in einer Phase seines Lebens, in der sein Ruhm zu leuchten beginnt wie das Feuer. Aber es liegt hier eine Mahnung verborgen: Nähre deine Substanz, sonst erlischt das Feuer!

Darum ist das nächste Zeichen die Erde, die Mutter, die alles Leben nährt. Es ist eine Zeit, in der der Mensch seine Basis festigen muss, damit er nicht ausbrennt und erlischt.

Das nächste Zeichen ganz im Westen und im Herbst ist der See. Eigentlich ist der See kein See. Manche übersetzten Dui, so heißt das Zeichen im Chinesischen auch als Sumpf. Aber es ist kein Sumpf. Schauen wir genauer hin, so sehen wir zwei helle Striche unten und einen weichen oben. Wäre der unterste Strich auch ein dunkler Strich, so wäre es das Zeichen des Wassers. Aber hier ist kein abgründig tiefes Wasser gezeigt, sondern ein ganz flaches Wasser, das in seiner stillen Oberfläche den Himmel spiegelt. Darum sieht man, wenn man nach unten auf den Wasser - Spiegel schaut, den Himmel oben. Dui ist nicht nur ein flaches Wasser, es ist der Spiegel, der den Himmel spiegelt. Es ist eine Zeit des Nachdenkens und Reflektierens, in der wir zwar nach unten schauen, um unsere Wurzel zu finden, aber genau dadurch erkennen wir den Himmel, den wir in unserem Inneren spiegeln. Die Zeit des Dui ist der Herbst, in der die Ernte des Jahres und die Ernte des Lebens eingefahren wird.

Wenn wir so reflektiert haben, werden wir rein und klar wie der Himmel selbst. Und der Himmel ist das Zeichen, das nun folgt. Es sind die drei hellen Striche im Nordosten.
Aber der Mensch kann nicht immer in dieser Himmlischen Klarheit stehen bleiben. Wenn man alles erreicht hat, was es zu erreichen gibt, kann es sein, dass man beginnt, sich zu fragen, ob das denn nun alles war. Alles fällt ab und wird bedeutungslos, so wie im Winter die Bäume kahl werden und der Raureif und der Schnee alle Farben aus dem Leben verschwinden lassen. Aber Farben waren doch das Leben und die Leidenschaften! Das Wasser ganz im Norden ist nun der Winter, die Kälte, das Abgründige und Verschlingende, die Gefahr, in der Tiefe der Depression zu versinken. Aber der Winter macht auch klar und stark, weil alles Unwesentliche weg fällt und man zum eigentlichen Kern vordringt. Die Zeit des tiefen Winters ist die Zeit, in der man in sich geht, und in der Wärme der geborgenen Stube zur Ruhe kommen kann. Deshalb ist diese Zeit eine Zeit, die uns vorbereitet, unser inneres Wesen zu vervollkommnen.

Das letzte Zeichen in der Reihe ist der Berg im Nordosten. Es ist ein heller Strich über zwei dunklen. Dies ist das Bild des Berges, der aufgetürmte Erde ist, die man weithin sehen kann. Es gibt einen Spruch im Zen: „Der Berg ist ruhig von Anbeginn an, immer!“
Der Berg steht unerschütterlich und still. Das ist der Mensch, der seine innere Stabilität gewonnen hat und in Weisheit und Ruhe einfach da ist. Der Berg als die Vollendung ist vom Bild her die genaue Umkehrung des Donners, der den Anfang bildete: Donner ist ein heller Strich unter zwei dunklen, Berg ist ein heller Strich über zwei dunklen. Es ist die Vollendung!

Aber wie es so ist im Leben, nichts kann so bleiben, wie es ist. Das einzig Beständige ist die Veränderung. Darum kann der Berg auch sture Starrheit und Unbeweglichkeit sein nach dem Prinzip des bayrischen Beamten: „Das haben wir schon immer so gemacht“ bzw. „Das haben wir noch nie so gemacht“ oder auch: „Da könnt ja jeder kommen“. Darum muss der Berg als Erstarrung unbedingt aufgebrochen werden, und dazu bedarf es des Donners. Und schon beginnt der Zyklus wieder von vorn.

Der Donner ist nicht nur das Licht und das Leben, das aus der Erstarrung neu wieder von unten her aufbricht, es ist auch das Bild des Drachen, der sich aus dem winterlichen Schlaf erhebt und der langsam, aber sicher zum Himmel aufsteigt.

Drachen im ersten Zeichen des I Ging, dem Himmel.

Das zeigt sich im I Ging, wenn man die Zeichen weiter betrachtet. Die Zeichen, die im Buch der Wandlung, dem I (Wandlung) Ging (Aufzeichnungen) verwendet werden, entstehen aus einer Doppelung der Bilder, aus den drei Strichen. Also zum Beispiel Himmel über Himmel oder Feuer über Berg. Himmel über Himmel ist das Erste der vierundsechzig möglichen Kombinationen der acht Bilder, und es heißt, wie könnte es anders sein: Quian, der Himmel. Das Bild zeigt lauter Drachen, die von unten her aufsteigen und bis in den Himmel fliegen. Um das verständlich zu machen, muss ich nun doch noch ein klein wenig ausholen.

Die Zeichen des I Ging wurden ja nicht nur als Weisheitsbuch gelesen, sie wurden auch benutzt, um Vorhersagen für das Leben zu gewinnen. Der Mensch wollte schon immer und will immer noch allzu gern wissen, wie seine Zukunft aussieht. Dazu hat man das I Ging befragt, indem man Schafgarbenstängel aus einem Bündel von 50 Stängeln nach einem bestimmten System abgezählt hat. Wie das genau geht, kann ich hier nicht erklären, weil wir eigentlich etwas über Drachen erfahren möchten.

Nur soviel sei verraten: Man teilt die Stängel sechs mal für die sechs Linien und für jede Linie drei mal in zwei ungefähr gleich große Haufen und zählt sie nach einem bestimmten System für die sechs Linien ab, von der untersten bis zur obersten. Dabei ergeben sich nach komplizierten Berechnungen für jeder der sechs Linien die Zahlen sechs, sieben, acht oder neun.
Die Sieben erzeugt eine ganze Linie, die Acht eine gebrochene.
Die Sechs eine gebrochene Linie, die sich wandelt, das heißt sie wird sich in der Zukunft in eine ganze Linie verwandeln.
Die Neun ist eine ganze Linie, die sich wandelt, also zu einer gebrochenen Linie wird.
Das klingt kompliziert, ist aber aus der Natur abgeleitet. Der frühe Morgen ist eine Zeit, in der das Licht erscheint, aber das Licht kann noch immer weiter zunehmen. Der Mittag ist die Zeit, in der das Licht den höchsten Stand erreicht hat, und es muss abnehmen. Also wird diese Zeit irgendwann zur Dunkelheit werden. Die Sieben steht also für die Zeit des frühen Morgens, in der noch keine Veränderung statt findet, sondern nur noch eine Verstärkung des Lichtes. Aber die Neu steht dann für den Mittag, der das Licht brechen wird, also für eine Zeit, die eine Wandlung des Lichts und eine Zunahme des Dunkels bringt, auch wenn man das noch nicht so gleich merkt.

Befragt man also das I Ging und bekommt bei dem Zeichen Quian für alle Positionen eine Linien, die für eine Neun steht, dann erschienen lauter Drachen. Wörtlich steht da:

用九:見群龍无首,吉
Überall Neun: Sehen Schar Drachen ohne Kopf - Glück.

Was das „ohne Kopf“ bedeutet, versuchen wir später zu verstehen.

Aber es ist natürlich ausgesprochen selten, dass alle Linien durch eine Neun gebildet werden. Das ist fast so wie der Sechser im Lotto, kommt also vielleicht, wenn überhaupt, höchsten einmal im Leben eines Menschen vor. Viel wahrscheinlicher ist es, wenn eine oder zwei Linien durch eine Neun gebildet werden. Im Buch gibt es für jede Linie ein Urteil, das es zu beachten gilt. Wir schauen uns einmal die einzelnen Linien an.

Steht als als erste Zahl für den untersten Strich eine Neun, so lautet das Urteil:

初九 濳龍 勿用
Erster - Neun: Untergetaucht Drache - nicht Gebrauch.

Na ja, das klingt schon ein wenig wie Chinesisch, aber das ist es ja auch. Aber hier wollen wir den Text ungeschönt, genau so wie er im Chinesischen da steht übersetzen. Die Sprache des I Ging ist knapp, so knapp, dass nur ein paar ganz schlichte Worte dort stehen, und es ist ziemlich leicht, diese Worte falsch zu verstehen. Hier stehen nur vier einzelne Schriftzeichen: 'untergetaucht Drache nicht Gebrauch'. Oft kann man nicht unterscheiden, ob das Wort ein Substantiv oder ein Verb ist, und die Bedeutungen können vielfältig sein. Wenn man bös wäre, könnte man sagen, jeder liest aus dem I Ging das heraus, was er heraus lesen möchte.
„Erster Neun“ heißt natürlich, dass man beim Befragen für die unterste Position Linie mit einer Neun bekommen hat. Und die Neun steht ohnehin für den Drachen. Aber der Drache ist „untergetaucht“. Untertauchen tut man im Wasser. Der Drache ist tief im Wasser untergetaucht, was ja auch eigentlich sein Element ist. Viele Drachen leben im Wasser, entweder in Flüssen wie dem Gelben Fluß oder in der Meerestiefe. Von Zeit zu Zeit können sie auftauchen, wie das Drachenpferd des Fu-Xi. Und erst, wenn sie auftauchen, hat das einen Nutzen. Solange das Drachenpferd des Fu-Xi noch untergetaucht war, war es nutzlos: „nicht Gebrauch“, nicht zu gebrauchen, es bringt keinen Nutzen.

Die Situation ändert sich aber, wenn man für die zweite Linie eine Neun erhält. Wörtlich heisst es da:

九二:見龍在田,利見大人
Neun Zwei: sehen Drache erscheinen Reisfeld Ernte sehen Groß Mensch

Zu der Zeit, als dieser Text geschrieben wurde, kannte man noch keine Zeichensetzung. Es stehen einfach 10 Schriftzeichen nebeneinander und der Leser kann raten, was das bedeuten soll. Aber klar ist, dass „Zwei Neun“ bedeutet: „Wenn an der zweiten Stelle im Zeichen eine Neun steht ...“ Und was ist dann: „Der Drache erscheint auf dem Reisfeld!“
Der Drache, der bisher untergetaucht war, erscheint nun, so wie das Drachenpferd des Fu-Xi oder die Drachenschildkröte des Yadekaisers Yu Di. Wenn der Drache auf dem Feld erscheint, dann bringt er Regen, Fruchtbarkeit und neues Leben. Der Satz geht weiter mit dem Wort Ernte oder Ertrag. Das Schriftzeichen RI 利 zeigt ein Gras, das mit einem Messer oder einer Sichel geschnitten wird. Die letzten drei Schriftzeichen bedeuten: „Sehen Groß Mensch“. Manche Übersetzer schreiben: „Es ist förderlich, den großen Mann zu sehen!“. Aber ist das gemeint? Es könnte auch bedeuten:
„Wenn der Drache auf dem Feld erscheint, so regt sich Wachstum, an dessen Ende die Ernte steht. Dann ist es wichtig, das Große im Menschen zu sehen!„
Nach dieser Deutung geht es nicht darum, das ich als kleiner Wicht mich zum Großen Mann begebe, es ist vielmehr wichtig, dass Große im Menschen allgemein, also auch in mir selbst zu sehen. Wenn der Drache erscheint, wächst nicht nur die Frucht auf dem Felde, sondern auch das Große im Menschen. Der Drache und das Große im Menschen gehören zusammen! Diese Deutung wird gestützt durch das Urteil zur dritten Linie, in der nicht mehr die Rede von Drachen, sondern vom „edlen Menschen“, dem Jun Zi ist:

九三:君子終日乾乾,夕惕若,厲,无咎。
Neun Drei: Edler Mensch den ganzen Tag: Himmel Himmel - Beim Eindunkeln Erschauern wie Widrigkeit - kein Fehler!

Der edle Mensch, der ganz ohne Fehler ist, ist den ganzen Tag über wie der Himmel, der doppelt genannt wird. Er ist klar wie der Himmel, und wie dieser unermüdlich in Bewegung. Wenn die Drachen auf dem Felde erschienen sind und das Große im Menschen gesehen wurde, dann kann der Mensch, der das Große in sich trägt auch den ganzen Tag unermüdlich tätig sein. Er ist dann wie die Drachen selber, die neues Leben bringen. Ein wenig müder wird der edle Mensch aber am Abend dennoch, es ist zum Beginn der Dunkelheit wie ein Erschauern und Innehalten. Aber das sind die notwendigen Phasen der Reflexion und der Regeneration. Wenn der Edle diese Phasen einhält und sich nicht in der unermüdlichen Tätigkeit aufzehrt, dann gibt es keine Fehler. Halten wir kurz inne. Mit diesen drei Strichen haben wir das untere Trigramm vollendet. Der Drache ist untergetaucht, der Drache erschein, der Edle ist unermüdlich mit der Kraft des Drachen tätig. Damit ist die Energie des Drachen beim Menschen angekommen, der sie in seiner Tätigkeit verwirklicht.

Nun beginnt mit dem vierten Strich das obere Trigramm, und wieder erscheint der Drache. In der ersten Linie war er noch untergetaucht, jetzt scheint er etwas wackelig:

九四:或躍在淵,无咎。 Neun Vier: Hüpfen (Tänzeln) vielleicht Abgrund - ohne Fehler

Der Drache ist zwar nicht wörtlich erwähnt, aber er scheint am Abgrund zu stehen und unsicher zu sein, ob er abheben und fliegen soll. Darum tänzelt er unsicher. Immerhin ist er bereits sehr hoch gestiegen, aus der Tiefe des Wassers, in dem er untergetaucht war, auf die Reisfelder, wo er Regen und neues Leben brachte. Nun beginnt sein Aufstieg bis in den Himmel - kein Wunder, dass er etwas tänzelt.
In einem alten Kommentar heißt es: „Sei wie der spirituelle Drache im Abgrund; er steigt hinab in die tiefsten Tiefen und steigt auf mit größter Leichtigkeit. Er kann sich in Frieden zurückziehen oder rechtzeitig vordringen.“ Das Tänzeln am Abgrund ist wie eine letzte Besinnung und ein Innehalten, um die Richtigkeit der Handlung zu bedenken oder um den rechten Zeitpunkt abzuwarten. Der Drache stürmt nicht einfach besinnungslos und ohne jede Rücksichtnahme auf in den Himmel.

Mit der fünften Linie ist der Drache dort angekommen, wo er hingehört: am Himmel.

九五:飛龍在天,利見大人。
Neun Fünf: Fliegender Drache am Himmel. Ertrag: Sehen Groß Mensch.

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Wolkendrache

Der Drache fliegt am Himmel. Dort gehört er hin. Aber er hat einen Zyklus durchlaufen vom - nutzlosen - Aufenthalt unter Wasser bis hinauf zum Himmel. Der zweite Teil des Urteils enthält wieder „ Ertrag Sehen Groß Mensch“ wie schon beim zweiten Strich, als der Drache auf dem Feld erschien. Wieder wird die Stelle meistens so gedeutet, dass es förderlich ist, den großen Menschen zu sehen, wobei dann noch meistens voraus gesetzt wird, dass der große Mensch natürlich ein Mann sein muss. Richard Wilhelm übersetzt:

„Fördernd ist es, den großen Mann zu sehen.“

Aber im Text ist nicht von dem Mann 男, sondern einem Menschen 人 die Rede. Es ist auch nicht klar, ob dieser große Mensch ein Anderer ist, oder der Fragende selbst.

In China gibt es das Sprichwort: Wenn der Drache am Himmel fliegt, erscheinen Wolken. Die Wolken entstehen nach der mythischen Vorstellung aus dem Atem des Drachen. Sie verdüstern den Himmel nicht, sondern sie bringen segensreichen Regen. Darum sind Wolken - Drachen Glückszeichen und die Wolken sind Glücks-Wolken. Himmels-Drachen und Wolken gehören zusammen wie die zwei Seiten einer Münze. Wenn also der Drache am Himmel erscheint, müssen die Wolken hinzu kommen. Man verwendet in China dieses Wort, um anzudeuten, dass sich zwei ähnliche Dinge ergänzen oder anziehen. Wenn ein guter Herrscher erscheint, dann kommen gute Untertanen von ganz allein hinzu. Wenn ein großer Mensch erscheint, dann gesellen sich andere hinzu, die zu ihm passen. Wenn der Drache am Himmel erscheint, dann ist der Ertrag, dass zugleich der große Mensch erscheint. Vielleicht sind wir das selber, die zum Drachen oder zum großen Menschen werden sollen. Jedenfalls bezeichnet man in Japan die Mönche eine Klosters als „Wolken“. Sie sind wie Wolken und Wasser - Un - Sui. In vielen Tempeln gibt es die Wolkenhalle, in der sich die Mönche versammeln. Häufig ist die Decke der Wolkenhalle mit Drachen verziert, die am Himmel fliegen und von Wolken umgeben sind. Die Mönche unterziehen sich den strengen Übungen des Klosters, weil sie selbst Drachen werden wollen. Darum tragen auch viele buddhistische Priester den Drachen in ihrem Priesternamen und viele Tempel nennen sich mit dem Namen des Drachen, so zum Beispiel der Ten-Ryu-Ji, der Tempel des Himmelsdrachens in Kyōto.

In China und Japan gibt es die Geschichte vom Drachentor. Karpfen, die im Oberlauf des Gelben Flusses aus dem Laich geschlüpft sind, verlassen den Ort ihres Ursprunges und schwimmen hinaus bis ins offene, Gelbe Meer, das gelb ist vom Löß den der Fluss mit sich führt. Zur Laichzeit schwimmen sie gegen den Strom zurück zum Ursprung. Aber im Oberlauf des Flusses gibt es steile Felsen und Wasserfälle, die zu überwinden sind. Derjenige Karpfen, der es schafft, die engen und steilen Felsen des „Drachentores“ zu überwinden, werden zu Drachen. In China und Japan sagt man, wenn jemand eine schwierige Prüfung bestanden hat, die ihn nun befähigt, ein hohes Amt einzunehmen: „Der Drache hat das Drachentor überwunden.“ Das heißt natürlich nicht anderes als: „Er ist jetzt selber ein Drache!“

Aber mit der fünften Linie ist das Zeichen ja noch nicht zu Ende, es gibt noch eine sechste Linie.

上九:亢龍有悔。
Oben Neun: Hochmütiger Drache haben (sein) Bedauern.

Wenn der Drache aufgestiegen ist bis zum Himmel, ist er ein Gong-Long, ein hochmütiger Drache. Ihm ist sein Aufstieg förmlich zu Kopf gestiegen, er wird hochmütig und kann sogar gewalttätig werden. Die Bedeutung „gewalttätig“ hat das chinesische Wort 亢 gong auch. Im Japanischen taucht das Schriftzeichen für 'gong' 亢, japanisch gesprochen 'kō' nur zusammen mit dem Drachen aus. Ein Kō-Ryu ist ein voll zum Himmel aufgestiegener Drache.

Die Aufstiegsbewegung des Drachen ist ganz oben angekommen. Statt in Jubel auszubrechen, spricht das I Ging eine Warnung aus: werde nicht stolz und hochmütig, wenn du oben angekommen bist. So geht das I Ging immer vor. Großes Glück, das auf dem Höhepunkt angekommen ist, kann nicht größer werden, es muss sich in Unglück wandeln. Findet man großes Glück im I Ging, so wird gesagt: „Sei nicht traurig!“ Wenn dagegen das Unglück am tiefsten Punk angekommen ist, so heißt es: “Freu dich! - Es kann ja nur noch besser werden!“

Wir hatten schon ganz am Anfang unserer Überlegungen gesehen, dass eine Schar von Drachen am Himmel erscheint, wenn alle Strichen aus einer Neun gebildet werden.

用九:見群龍无首,吉。 Überall Neun: Sehen Schar Drachen Nicht Kopf, Glück.

Die Schwierigkeit dieser Stelle besteht in den Worten „NICHT KOPF“. Haben die Drachen keinen Kopf? In China sagt man, wenn sich der Himmel blutrot färbt, ein Gewitter und Blitze niedergehen: “Die Drachen Kämpfen“. Haben sie sich gegenseitig die Köpfe abgeschlagen und ist der Himmel rot vom Drachenblut? Das kann nicht sein, denn am Ende des Urteils steht schlicht: „Glück“ 吉. Das Schriftzeichen für Glück zeigt einen vollen Topf, der mit einem Deckel sicher verschlossen ist. Entweder ist es ein Reistopf, der gut gefüllt ist, so dass die Menschen keinen Hunger leiden müssen oder es ist ein Topf, der mit Gold und Reichtümern gefüllt ist. Wenn die Drachen miteinander kämpfen und sich gegenseitig das Haupt abreissen, denn kann das unmöglich Glück bedeuten. Jede Linie, die aus einer Neun gebildet wird, so haben wir oben schon gesehen, ist auf dem Höhepunkt angekommen und sie wandelt sich. Die Feste Linie wird weich, und das Zeichen Himmel mit sechs festen Strichen wandelt sich in das Zeichen Erde mit sechs weichen Strichen. Erde bedeutet Hingabe. In einem alten Kommentar heißt es: „Die Streitlust der obersten Linie kennt keine Hingabe“. Die oberste Linie war ja der hochmütige und streitlustige Drache. Der Kommentar fährt fort: „Der Hochmut der obersten Linie verliert das Ursprüngliche. Lauter Neunen stellt das Ursprüngliche wieder her.“ Lauter Neunen haben das Zeichen in Erde verwandelt, deren Striche aus lauter Sechsen gebildet werden. Darum heißt es: „Die Streitlust der oberen Linie kennt keine Hingabe. Lauter Sechsen stellt die Hingabe wieder her.“

Die Streitlust des hochmütigen Drachen wandelt sich in Hingabe, wenn lauter Neunen erscheinen und die Drachenschar am Himmel fliegt. Hingabe aber ist das Gegenteil von Streit. Die Drachen sind einander gewogen in Hingabe. Darum haben sie kein Haupt. Das heißt nicht, dass sie keine Köpfe haben, sondern einfach keinen Anführer, kein Haupt. Das Schriftzeichen für Haupt 首 stellt zwar ein Auge mit einem Haarschopf darüber dar, aber es bedeutet nicht nur den Kopf, sondern eben auch den Anführer. Die Drachenschar voller Hingabe ist „demokratisch“ und einig. Sie brauchen keinen Anführer, alle sind gleich. Und das bedeutet Glück. Es gibt ein großartiges Buch von dem viel zu früh verstorbenen Sinologen Wolfgang Bauer: China und die Hoffnung auf Glück. Das klingt so einfach, aber Bauer zeigt, dass die Suche nach Glück fast das gesamte Denken der Chinesen beherrscht hat, von den Anfängen bis zu Mao. Ja, Maos Idee von der Gleichheit der Menschen steht so schon im I Ging. Alle waren gleich, ganz besonders Moa. Oder? Und was haben sie getan? Alles Alte ohne Respekt und Rücksicht zerschlagen und zerstört. Das waren dann aber doch eher hochmütige Drachen, die zu bereuen haben.

Glück braucht Hingabe und Weichheit, Achtung voreinander und das Streben, hinauf an den Himmel zu kommen, nicht, alles klein zu schlagen, was anders ist.

Dann fliegt eine Schar von Drachen am Himmel. Aber wir haben ja schon gesagt, dass es nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung ausserordentlich selten ist, dass alle Linien aus eine Neun gebildet werden. Das ist wie der Sechser im Lotto. Aber was bleibt, ist die Hoffnung, doch irgend wann einmal eine Schar von Drachen am Himmel zu sehen.

Und mit dieser Hoffnung und dem Wunsch, dass wir alle im nächsten Jahr eine Schar von Sechs fliegenden Drachen sehen werden, möchte ich allen ein schönes Fest und ein gutes Neues Jahr wünschen.

TERMINE

  • 21. Januar 2012:
    Vernissage im Sieboldmuseum in Würzburg.
    Beginn 17:30 Uhr.
    Das Museum ist eine Stunde vor der Vernissage geöffnet.
  • 22. Januar 2012: Führungen durch die Drachenausstellung, Vorführung einer feierlichen Teezeremonie im Teehaus des Museums, Shakuhachi - Meditationen. Ab 14:30 Uhr bis 17:00 Uhr
  • 15. - 19.2.2012:
    Seminar Tee und Zen, Benediktushof. Anmeldung im Benediktushof
    Benediktushof
  • Februar 2012:
    Teeseminar in München, Teehaus Tushita Tushita
  • 10.-11. März 2012
    Einführung in den Teeweg Samstag 13-17 Uhr & Sonntag 9-17 Uhr (€ 80).
    Übungsmaterial wird gestellt. Anmeldung nötig - Teilnahmebeschränkung.
    Möglichkeit zu fort- laufendem Unterricht.
    Ort: Dōjō e.V. Regensburg
    Dōjō Regensburg

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Gerhardt Staufenbiel (Teezeremonie Lehrer, Leiter des Myōshinan Dōjō)

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