Lin-Ji Rinzai gemalt von Meister Hakuin |
Darum schilt ihn Rinzai einen blinden Esel, mit dem das wahre Dharmaauge Rinzais erlöschen wird und stirbt. Das letzte Wort des Meisters spricht vom endgültigen Erlöschen der wahren Überlieferung!
Aus und vorbei! Niemand kann sich mehr auf Rinzai berufen, weil er selbst noch im Sterben gesagt hat, dass sein Dharma-Auge erlöschen wird. Da gibt es keinen Trost und keine Hoffnung. Rinzai ist tot!
In den Übersetzungen aus dem Linji-Lu, herausgegeben von Sōtetsu Yūzen (Dr. Zernikow, Berlin) heißt es als Erklärung zum "wahren Dharma-Auge:
der tiefste Grund der Buddhalehre, das Erwachen zur Buddha-Natur, wurde und wird von Generation zu Generation, von Buddha Shākyamuni über alle Zen-Meister bis heute hierher zu uns weitergegeben. Dieses Erwachen zur Buddha-Natur wird durch jap. inka (cin. yin-k'o) bestätigt.
Inka 印可 ist ein Siegel der Anerkennung, das man beruhigt vor sich her tragen kann, damit jeder Mann und jede Frau schon von weitem sehen kann, dass man "erleuchtet" ist. 印 - In ist ein in Stein geschnittenes Siegel, dass in China die kaiserlichen Beamten als "Dienstmarke" trugen, um ihre Autorität im Dienste des Kaiser ausweisen zu können. Es hat den Charakter eines Machterweises gegenüber den Anderen. Entsprach die Weitergabe eines solchen in Stein geschnittenen Autoritätssymols wirklich dem Geist Lin.Ji's? Auf diese Frage hätte der Meister vermutlich ein gewaltiges "Kwatsu!" herausgeschrieen.
Lin-Ji lebte, soweit wir überhaupt etwas über ihn wissen, im 9. Jahrhundet in China, einer Zeit der politischen Wirren und Kämpfe. Es gab keine zentrale kaiserliche Autorität und Macht mehr. Formal gab es zwar noch den Kaiser, aber in den Provinzen übten unabhängige Kriegsherren und lokale Soldatenfürsten die Macht aus. Das waren keine gebildeten Beamte mehr, sondern ehemalige Räuberhauptmänner, entwurzelte Bauern oder Stammeshäuptlinge, ähnlich wie wir es heute etwa in Afganistan erleben. Diese politische Krise ließ jede Sicherheit verschwinden. Was heute gültig war, war morgen vielleicht schon lebensgefährlich.
Lin-Ji war ein konsequenter Erbe dieser Entwicklung. Alle bestehenden Denk-Schulen seiner Zeit scheinen ihm erstarrt und veraltet, nur noch auf ihre Autorität bedacht. Lin-Ji mißtraut jeder Autorität. Er will auch keine neue Schule gründen, die dann sofort wieder in der Gefahr der Erstarrung wäre. Ihm geht es um die Befreiung und um ein Leben aus eigener Kraft und Autorität.
Als Lin-Ji seinen Huang-Po verließ, um sich auf die Wanderschaft zu begeben, wollte ihm Huang-Po seine Armstütze und sein Lespult überreichen, eine symbolische Weitergabe des Dahrma-Auges. Aber Lin-Ji lehnte ab:
Das Dharma hat keinen Bedarf an solchen Dingen. Warum verbrennst du sie nicht?"
Das Dharma hat keinen Bedarf an Siegeln und Abzeichen. Es verwirklicht sich in allen Dingen des Alltags. Meister Dōgen sagt, wenn man den Weg mit ganzem Herzen und ganzer Hingabe übt, dann verwirklicht er sich in allen Dingen.man ergreife die Hufe des Esels und lasse sie das Siegel der Verwirklichung stempeln: genau das bedeutet es, in Übereinstimmung mit dem seit zehntausend Altern Hergebrachten zu handeln
Die Hufe des Esels treffen mit voller Wucht alle Dinge und drücken ihnen den Stempel der Verwirklichung auf, sie treffen mitten ins eigene Herz und drücken den Stempel auf. Dann braucht man keine äußeren Stempel, Siegel oder Diplome. Die benötigt man nur als Ausweis gegenüber den Anderen.
Inka, Menjo oder andere schriftliche Ausweise geben keine Gewähr dafür, dass man innerhalb einer Gruppe von seinem Lehrer anerkannt ist. Im China, das sich nach Lin-ji formt, gibt es ein ausgeprägtes System der Bildung und der Prüfungen. Nur wenn man die entsprechenden Prüfungen bestanden hat, kann man ein Staatsamt übernehmen. Diese Prüfungen geschehen, ähnlich wie bei uns nach festgelegten Regeln. Aber das Bestehen dieser Prüfungen bestätigt lediglich, dass man den Lernstoff bewältigt hat. Ich kannte einmal einen Wissenschaftler, der hatte als einer der Besten seine staatlichen Examina bestanden, war aber in seinem Fach eher unterduchschnittlich. Er hatte auf die Prüfung hin gelernt, indem er die Vorlesungen der Professoren auswendig kannte und auf entsprechende Fragen bei den Prüfungen die gewünschte Antwort hersagen konnte. Aber er hatte niemals gelernt, eigenständig zu denken, weshalb er in seinem Berufsalltag nur mäßig erfolgreich war. Aber dieses Prüfungssystem prüft wenigstens nach "objektiven" Kriterien ein gelerntes Wissen.
Aber darum geht es nicht im Zen und in den vom Zen geprägten Künsten. Wer will "objektiv" prüfen, ob ein Schüler das wahre Dharma-Auge erlangt hat? Wie prüft man so etwas?
In der Praxis des heutigen Japan, wohl auch in Japan und China der Vergangenheit wurde Inka nicht nach objektiv prüfbaren Kriterien vergeben - was sollte auch "objektiv" geprüft werden. Die Vergabe richtet sich nach dem Anpassungsgrad an den Lehrer oder die Gruppe. Ja, man kann auch entsprechende Bestätigungen durch Wohlverhalten oder Geldgeschenke "fördern". Hat man einen gesellschaftlich hohen Rang und / oder spendet viel Geld, so bekommt man jedes Papier der Bestätigung. Sogar der Titel eines Laienpriesters des Zen und damit die Erlaubnis ein -sai als Endsilbe an seinen Namen zu hängen kann erworben werden. Das Kloster bracht Geld und wenn nicht dieser Meister den Titel vergibt, so findet sich eben ein anderer.
Es kann aber durchaus auch sein, dass ein Lehrer seine Schüler mit der Vergabe von Bestätigungen an sich bindet. Nur wer vollkommen willenlos dem Meister folgt, bekommt die Anerkennung, weil dann gewährleistet ist, dass er auch in Zukunft Schüler bleibt und die wirtschaftliche Grundlage des Lehrers sichert. In den Künsten hat sich in Japan in der Edo-Zeit (1603 - 1868) hat sich in Japan das Iemoto System gebildet. Der Iemoto - 家元, wörtlich "Wurzel, Ursprung des Hauses" steht an der Spitze einer Schule. Seine Autorität in unanzweifelbar und absolut, weil er sich in der Regel ableitet als Nachkomme einer Familie in der X. Generation. Ihm ist das ganze Wissen und die ganze Autorität vom Vater übergeben worden, der sie seinerseits vom Vater erhalten hat. Niemand kann die Autorität des Iemoto anzweifeln, weil nur er die Authentizität der Überlieferung Kraft Geburt und durch die Weitergabe des Geistes vom Vater auf den Sohn gewährleisten kann. Als Schüler im Iemoto-System bleibt nur die völlige Unterwerfung unter den Lehrer, der seinerseits seine Autorität vom Iemoto erhalten hat. Eigene Erfahrungen, die möglicherweise zu einer Änderung im Lehrsystem führen und seinee diese auch noch so gering, werden streng geahndet. Dabei wird die Fiktion aufrecht erhalten, dass sich die Lehre seit vielen Geneartionen niemals geändert habe, was nachweislich nicht richtig ist. In Japan spricht man von zwei Wegen zur eigenen Verwirklichung, dem jiriki und dem durch fremde Hilfe, dem tariki. Das Bild für den tariki ist eine junge Katze, die von der Mutter getragen wird. Kaum greift die Mutter dem Kätzchen in den Nacken, so fällt es in eine Starre, und läßt sich ohne jede eigene Anstrengung tragen. Würde sich das Kätzchen auch nur ein klein wenig bewegen, so würde es die Mutter sofort fallen lassen. Innerhalb dieses Systems ist das Loslassen des eigenen Selbst ein vollkommen willenloses sich Übelassen an das System und die Lehrer. Freilich haben die Lehrer eine größere Erfahrung und können den Schüler leiten und führen. Aber im Iemoto System wird jede eigene Willenregung gebrochen und unterdrückt. Das Gewinnen eigener Erfahrungen, die nicht vom System erlaubt sind, wird abgestraft. Überläßt man sich dem System aber vollkommen, so ist der weitere Lebensweg gesichert, besonders auch wirtschaftlich. Das System trägt mich weiter bis zu den Positionen, die der Iemoto - oder wer auch immer, denn das System ist letztlich vollkommen undurchsichtig - erlaubt.
Die Iemoto der großen Kunst-Schulen Japans stellen durchaus eine nicht unbedeutende wirtschaftliche Macht dar. Von ihnen sind nicht nur die Lehrer und Schüler abhängig, sondern ganz viele Handwerker und Künstler, die für die Wege die Geräte herstellen. Für die Teezeremonie werden Keramikwaren, gußeiserne Wasserkessel, Seidenstoffe, Lackwaren, Papierwaren Süßigkeiten, usw. benötigt. Die Iemoto entscheiden, was in ihren Schulen als guter Geschmack gilt. Wer als Handwerker von den Iemoto anerkannt wird, hat für sein Leben ausgesorgt. Sollten einmal die traditionellen Kunstwege sterben, so stirbt damit auch eine ganze Kultur und ganze Wirtschaftszweige. In der alten Kaiserstadt Kyoto etwa ist von einst hundeten von Bogenmachern nur noch ein einziger übrig. Er kann überleben, weil der kaiserliche Haushalt für seine Zeremonien gute und kunstvoll gefertigte Bögen benötigt.
Das japanische Bildungssytem funktioniert weitgehend nach dem selben System. Hat ein Professor einen Schüler einmal angenommen, so muß er dafür sorgen, dass dieser später auch eine angemessene Arbeit findet. Hat man einmal einen Arbeitsplatz gefunden, so verläßt man ihn für sein gesamtes weiters Leben nicht. Man wird - sofern es das System will und man seine eigene absulute Willenlosigkeit unter Beweis gestellt hat - bis zu den höchsten Spitzen getragen. Das Iemoto-System bleibt letzlich völlig undurchsichtig für den Einzelnen. Es ähnelt sehr stark Kafka's Schloß. Irgendwo muss jemand sein, der sagt, was zu tun ist, der absulute Verantwortung für mich übernommen hat. Aber niemand weiß, wo dieser Jemand sitzt, der alles entscheidet.
Wahrer Mensch ohne Rang |
Wer von Rinzais Schülern
Schert sich
Um die wahre Überlieferung?
In ihren Schulen
Ist kein Obdach
Für den blinden Esel,
Der unterwegs
Mit Stab und Strohsandalen
Wahrheit findet.
Hier übt man Zen auf sichrem Boden,
Bequem zurückgelehnt,
Für den eigenen Gewinn.
Der blinde Esel
Rinzais Nachfahren
Wissen nicht um Zen.
Wahre Überlieferung
Lebt
In des blinden Esels Hütte.
Liebe,
Drei Leben,
Sechzig Generationen -
Im Herbstwind einer Nacht
Hunderttausend Jahre
Auf der Webseite eines westlichen Zen-Meisters heißt es:
Nach reiflicher Überlegung habe ich mich entschlossen, die japanische Sanbo-Kyodan-Schule, der ich viele Jahre angehörte, zu verlassen und eine eigene Zenlinie zu gründen. Da ich innerhalb dieser Linie keine eigenen Lehrer/innen ernennen konnte, sah ich mich im Hinblick auf meine vielen Schüler/innen dazu gezwungen, meine eigene Sangha zu gründen.