shirayuki no tokoro ma wakazu furishikeba iwa ni mo saku hana to koso mire |
Weißer Schnee fällt gleichmäßig auf alles, und so scheint es denn, als ob Steine Blüten trieben. (zur Interpretation des Gedichtes ) |
Sehr früh ist der Winter mit einer Menge von Schnee gekommen, und der Gartenpfad - der Rōji - des Myōshinan verwandelt sich in ein Yuki-Guni, ein Schneeland.
Der kleine Gartenteich, den wir im Sommer angelegt hatten, ist völlig unter dem Schnee verschwunden, nur noch die Steinlaterne schaut mit einer lustigen Haube von Schnee heraus, so dass man noch ahnen kann, wo sich der Teich versteckt.
Die Stille der Natur gibt uns wieder Zeit zur Besinnung, weil es hier oben, weit ab vom Getriebe der Großstadt, keine Hektik und keine Weihnachtsmärkte gibt.
In der Natur nimmt die grosse Stille immer mehr zu und das Licht wird immer weniger. Bald haben wir die längste Nacht des Jahres.
Man spürt mit allen Sinnen, wie das Alte Jahr zu Ende geht. Es ist wie ein Leben, das langsam immer schwächer wird. Manchmal macht es Angst, wenn man spürt, wie das Alte schwindet. Vielleicht versuchen wir, mit all der Hektik der Weihnachtsvorbereitungen diese Angst zu übertönen?
Im alten vedischen Indien begrüßte der Hausherr jeden Morgen die aufgehende Sonne mit einem Lobgesang auf Agni, dem Feuer. Agni ist nicht nur das physische Feuer, das Licht gibt, es ist auch das geistige Licht, ohne das keine vernünftige Rede geführt werden kann, die hell macht. So hoffte man, dass die Sonne nicht ihre Kraft verlieren und eines Tages nicht mehr wieder kehren würde.
Dann macht es auch Sinn, dass wir uns in der Dunkelheit versammeln und feiern.
In einem, uns allen (hoffentlich!) wohl bekannten Text heißt es:
"Gott sprach: Licht werde! - Licht ward!"
Nach der Auffassung der jüdische Kabbala ist dies nicht ein Vorgang, der irgend wann einmal in grauer Vorzeit geschah. Vielmehr erleben wir jeden Morgen aufs Neue, wie das Licht gerufen wird um dann zu erscheinen. Wieviel mehr ist es in der dunklen Zeit von Nöten, dass wir das Kommen des Lichtes erwarten!In einem alten chinesischen Text heißt es:
Wenn das Yin am stärksten ist, dann wächst das Yang
und mitten in der Mitternacht beginnt der Tag
Aber noch sind wir in der Zeit des wachsenden Dunkels.
Eigentlich sollte ja die Zeit vor Weihnachten die "stille Zeit" sein. Ich weiss nicht, ob es das früher einmal war, aber heute beginnt der "Weihnachtsstress" ja fast schon im Oktober. Die Geschäfte sind angefüllt mit Waren, die man dringend haben muss, obwohl sie niemand braucht, und die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren, so als würden die Weihnachtstage mindestens einen Monat lang andauern.
Aber diese Hektik gib es nicht nur bei uns. In Japan hat zwar das Weihnachtsfest keine Tradition, dennoch findet man schon im Oktober Kaufhäuser mit Weihnachtsdekoration. So hat man das eben aus Amerika gelernt.
Aber diese Hektik gibt es in Japan schon seit alter Zeit. Ein anderer Name für den Dezember ist "Shiwasu" und das bedeutet eigentlich der "rennenden Priester". Diese Zeit ist in Japan das Ende des Jahres. Man muss unbedingt noch alle alten Dinge erledigt haben, weil man sie nicht mit ins neue Jahr nehmen möchte. Das Neue Jahr soll rein anfangen, wie frisch gefallener Schnee. Die Priester sind nun geschäftig, weil sie überall noch ihre Segenssprüche sprechen müssen. So war es jedenfalls früher. Heute müssen eben die Geschäftsabschlüsse und die Jahresbilanzen fertig werden.
Im Teeweg ist es Brauch, dass wir die Dunkelheit genießen und unseren Tee in den frühen Abendstunden bei Kerzenschein bereiten. Aus der Tiefe der Winterfeuerstelle leuchtet das Holzkohlenfeuer und der Teekessel singt. Am letzten Tag des Jahres werden wir kurz vor Mitternacht den letzten Tee des Jahres genießen. Das Holzkohlenfeuer wird so abgedeckt, dass die Glut bis zum nächsten Morgen erhalten bleibt. Dann legen wir neue Kohle auf, und bereiten den ersten Tee des Jahres. Auf diese Weise feiern wir wie das Neue beginnt, aber das Alte dennoch bewahrt wird. Diese Erinnerung an das Alte, das im Neuen bewahrt ist, wäre manchmal in unserer schnelllebigen Zeit sehr heilsam. Denn eigentlich gibt es nicht Neues, das nicht aus dem Alten erwachsen wäre.Gerhardt Staufenbiel (Teezeremonie Lehrer, Leiter des Myōshinan Dōjō)
Carolin Höhn - Domin / Geschäftsführung
in Zusammenarbeit mit chanomiya.com